Drei Wanderer. Helmut Tack

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Название Drei Wanderer
Автор произведения Helmut Tack
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347055377



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      «Aber warum streitet Ihr. Es ist doch für mich nur ein Lob, wenn sich der Wirt und Schiedsrichter nicht beherrschen kann.»

      Seine Freunde und Erzählpartner wandten sich gegen ihn.

      «Was soll das heißen? Du versuchst, den Wirt zu beeinflussen. Er wird nicht unbefangen urteilen können, wenn Du ihm so um den Bart gehst.»

      Hannibal versuchte zu glätten, was sich zur Flut erhob.

      «Nicht doch Freunde, das liegt mir fern. Ich will ein gerechtes Urteil. Und deshalb werde ich weiter berichten.»

      Er sog noch einmal an der Pfeife, und verbreitete ihren unangenehmen Dunst.

       Erste Geschichte – Der Alte und die Bäume

      Wie gesagt, er hatte keine Lust mehr am Leben, hatte den Genuss daran verloren. Doch er durfte nicht sterben. Irgendetwas hinderte ihn daran, sich aus dem Leben zu schleichen.

      Was wollte er noch im Sein, wenn es kein Dasein war. Und in einer dieser Phasen besuchte ich ihn.

      Er saß in einem tiefen Sessel vor seinem Haus und schien sich zu wärmen. Es war ein fast lächerliches Bild, das er in dieser Pose bot.

      Die Haare waren ungepflegt, die Haut von mangelnder Pflege gegilbt. Auf seinem Gesicht lag eine Anspannung, wie man sie nur bei Schwerstarbeitern kennt, nachdem sie ihr Tagewerk beendet hatten. Alles an ihm schien eine Mischung aus Spannung und Entspannung zu sein. Er wirkte verklärt und doch angestrengt. Wenn man sich still neben ihn setzte, hatte man den Eindruck, man könne seine rasenden Gedanken knistern hören.

      Ohne ein Wort zu sagen, setzte ich mich dazu.

      Er schien mein Kommen nicht bemerkt zu haben, schien von seinen Gedankengängen so weit entrückt zu sein, dass er die hiesige Welt nicht mehr wahrnahm.

      Nach fast einer Stunde des Wartens hatte ich den Mut, ihn anzusprechen. Es konnte ja auch etwas Ungewöhnliches passiert sein. Er konnte krank geworden, am Verzweifeln sein und Hilfe brauchen. Aber wie sollte man einem Menschen helfen, wenn man nicht wusste, was ihn bedrückte.

      «Na Alter, was ist los? Du bist so still», fragte ich.

      Erst da sah er mich an.

      In seinem Blick waren Fragen über Fragen. Alles an ihm schien nach Antworten zu suchen.

      Wenn Ihr einmal einen Menschen so gesehen habt, werdet Ihr verstehen, was ich meine. Das vergisst man sein Leben lang nicht.

      Der Alte schien völlig gebrochen.

      Mit einem Zittern, das seinen ganzen Körper schüttelte, lehnte er sich an mich und begann zu weinen. Große, bittere Tränen rannen über seine Wangen und durchnässten meine Jacke. Ich hatte das Gefühl, als würden sie den Stoff verbrennen. Als ich die Nässe auf der Haut spürte, als seine Tränen selbst die letzte Stofffaser meiner Jacke durchdrungen hatten, erfasste mich tiefes Mitleid.

      Dieser Alte zeugte vier Kinder. Sie mit seiner Hände Arbeit versorgt, sich, wie er sagte, für sie abgeschunden. Nun war er allein.

      Seine Frau war schon seit einigen Jahren tot, und die Kinder hatten ein leichteres Auskommen gefunden. Einmal im Jahr, wenn überhaupt, kamen sie mit ihren Kindern, seinen Enkeln. Er kannte die kleinen Geister kaum. Sie nannten ihn immer Onkel.

      Ich hatte damals eingewandt, «Deine Kinder müssen ihnen doch gesagt haben, wer Du bist.»

      Der Alte hatte nur mit den Schultern gezuckt.

      «Ach die, die haben andere Sorgen. Zum Beispiel, wie sie das neue Auto bezahlen.»

      Die Bitterkeit seiner Worte war nicht zu überhören, obwohl er darüber lachte. Nun weinte er sich aus.

      Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, erlebte ich ein solch offenes Gefühl bei ihm. Als er seine Tränen getrocknet hatte, sah er mich mit leerem Blick an.

      «Mein Sohn, der Peter, Du weißt, wen ich meine. Mein Sohn ist tot!»

      Ich erwartete Tränen, doch seine Augen blieben trocken. Er sah mich nur seltsam an.

      Ich wollte ihm irgendetwas sagen. Wollte ihm sagen, wie leid es mir tut, ihm mein Mitgefühl ausdrücken. Es ging nicht. Die Worte blieben mir im Halse stecken, waren dort gleichsam angewachsen.

      Dieser Mann hatte vieles erlebt, hatte selbst in seiner Verlassenheit immer darauf gehofft, den Hof an seinen einzigen Sohn weitergeben zu können. So wie er ihn von seinem Vater erhalten hatte. Nun trat eine neue Leere in sein langes Leben. Das ließ mich schweigen.

      Was konnte diesen Mann noch trösten? Wohl bloß die eigene Erlösung. Doch was war für ihn Erlösung? Wie sollte seine Seele geheilt, wie Sorgen und Verzweiflung von ihm genommen werden? Ich war hilflos und konnte ihm nur über die Schulter streichen.

      «Das ist so schade», war alles, was ich noch sagen konnte, «Das ist so schade.»

      Er nickte stumm.

      Wir saßen den ganzen Nachmittag vor dem Haus. Keiner sagte dem anderen etwas Belangloses. Nur sitzen und denken, denken und erinnern, erinnern und in sich hineinreden, war alles, was wir konnten.

      Worte der Trauer zogen ihre Bahnen in meinem Hirn und ließen keinen Platz für andere.

      Unter anderen Umständen hätte ich sie ausgesprochen, in der selbsttrügerischen Hoffnung, etwas Kluges zu sagen. Doch hier, in der allgegenwärtigen Beklommenheit, wagte ich es nicht. Alles was tiefgründig erschien, verlor an Gewicht. Erfahrungen wurden unsinnig. Jedes Wort verlor an Kraft, ehe es gedacht war.

      Es dunkelte früh an diesem Tag. Und der Alte kommentierte das mit den Worten: Gott verhängt seine Fenster vor meinem Leid.

      Die Zweifel des Alten, die Bitternis seiner Tage schwangen in diesen Worten mit. Wir gingen zu Bett.

      Ich konnte lange nicht einschlafen. Dachte darüber nach ob ich, der ungebunden jeden Tag durch das Land zog, tatsächlich freier war als der Alte. Trieb mich nicht nur die Angst davor, dieses Elend zu erleiden? Oft hatte ich mich nach einem Heim, einer Familie gesehnt. Hatte mein Dasein als Wanderer verflucht. Doch in dieser Nacht bestätigte sich meine Lebensphilosophie.

      Zugegebenermaßen war ich in meiner Freiheit gewissen Zwängen unterworfen, lief aber wenigstens nicht Gefahr, wie der Alte eines Tages zu zerbrechen.

      Der Alte schlief schlecht. Stundenlang hörte ich sein Bett knarren, hörte sein Stöhnen und seine Rufe nach dem Sohn. Jeder schnitt mir ein Stück aus der Seele. Gegen Morgen schlief er endlich ein.

      Die Last des Tages hatte ihn eingeholt und gab ihm den notwendigen Schlaf. Als wäre sein Schnarchen für mich das erlösende Signal, schlief ich auch ein.

      Am Morgen erwachte ich kurz und vernahm aus der kleinen Küche geschäftiges Treiben.

      Er war schon aufgestanden, hatte seinen Rhythmus wiedergefunden. Mit diesem Gedanken schlief ich erneut ein.

      Als ich dann gegen Mittag erwachte, hörte ich nichts mehr. Über dem Haus des Alten lag eine Stille, als hätte man ein Tuch darüber geworfen. Beunruhigt stand ich auf.

      Der Alte war weg. Überall im Haus, auf dem Anwesen suchte ich ihn und fand nur eingedrückte Blecheimer mit Korn und Federvieh. Er war verschwunden, ohne einen Hinweis auf seinen Aufenthalt zu hinterlassen.

      In dieser Situation konnte ich nicht weiterziehen. Es vergingen zwei Abende und zwei Morgen, der Alte blieb aus.

      Das machte mich unruhig. War er so verzweifelt, dass man mit allem rechnen musste? Einen Tag wollte ich noch warten. Einen Tag mir einreden, dass ich das alles nur träumte.

      Am vierten Tag, als ich die Hoffnung auf seine Rückkehr schon fast aufgegeben hatte, erwachte ich in meinem Bett und hörte die bekannten Geräusche aus der Küche.

      Ohne mich lange zu besinnen, stand ich auf und ging zu dem Alten.

      Mein erster Gedanke war, seine Abwesenheit war eine Fantasie. Doch ein Blick auf den Kalender belehrte mich eines