Der Seele tiefer Grund. Beate Berghoff

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Название Der Seele tiefer Grund
Автор произведения Beate Berghoff
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347094444



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nie etwas ausgemacht. Lernen, Studieren, Denken, Beten, das war für ihn der Alltag gewesen seit er fünf Jahre alt war, er kannte nichts anderes. Im Lernen hatte er sich immer leichtgetan.

      Sein Kloster, das irgendeiner von Heinrichs Vorfahren gegründet hatte, hatte ihn als Priester zu Heinrichs Gut geschickt. Irgendwie dachte Alban, dass sein Talent hier verschwendet war. Alban hatte im Kloster Pläne gehabt, er war sogar Novizenmeister geworden und wollte den Novizen die klare, unverfälschte Benediktinerregel mit den monastischen Tugenden beibringen. Ständig hatte er überlegt, was man im Kloster anders machen könnte, um wirklich ein Leben des Studierens, der Reflexion, der Keuschheit und der Arbeit zu führen. Einige der Brüder hatten seine Reformbestrebungen begrüßt, aber etlichen gerade der älteren Brüder, die die Regel oft recht locker auslegten, war es dann auf die Dauer zu viel geworden. Der Abt hatte ihn als Störenfried und Konkurrenten gesehen und war vermutlich froh gewesen, den ehrgeizigen Alban loszuwerden. Und nachdem Alban Gehorsam gelobt hatte, war ihm gar nichts anderes übriggeblieben, als wie vom Abt befohlen nach Rabenegg zu ziehen und einen versoffenen, uninteressierten Ritter samt seinen ungebildeten Dienstboten und Bauern zu betreuen.

      Zuerst hatte Alban gehadert mit seinem Schicksal, aber mittlerweile war er ganz froh darüber. Er hielt die Messen, Taufen, Eheschließungen, letzten Ölungen, Beerdigungen, nahm Beichten ab und versuchte regelmäßig, Heinrich und seine primitiven Freunde zum Kirchgang zu bewegen. Ansonsten ließ man ihn in Ruhe, und Alban konnte ohne Einmischung durch den Abt und ohne die strenge Fremdbestimmung im Kloster seinen Tagesablauf gestalten. Er konnte in Ruhe lesen und studieren, denken, schreiben, Lieder komponieren. Eigentlich war sein Leben ganz in Ordnung. Manchmal machte es ihm zu schaffen, dass er es nicht weit gebracht hatte. Er war kein Abt, kein Bischof, kein Hauslehrer in einer wichtigen Familie. Etliche seiner Geschwister waren irgendwo Abt, Äbtissin oder gar Ratgeber beim Herzog. Einer seiner Brüder war sogar ein Diplomat, der schon einmal beim Papst gewesen war, um Verhandlungen mit dem Papst und dem Herzog zu leiten.

      Alban war nur der Hauspfaffe in einem heruntergekommenen Rittergut, und das führte dazu, dass er alleine denken und philosophieren musste. Er korrespondierte mit verschiedenen anderen Denkern, besonders liebte er die Lehre des Thomas von Aquin. Er studierte dessen Theorien mit tiefer Hingabe und Ehrfurcht.

      Thomas von Aquin war gar noch nicht so lange tot und seine Schriften hatten einen aufregenden Bezug zum heutigen Leben, ganz im Gegenzug zu Albans anderem Helden: Augustinus von Hippo. Alban hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alle ihre Werke zu besitzen, was eigentlich ein aussichtsloses Unterfangen war: Der Heilige Augustinus alleine hatte fast 100 Werke verfasst. Oft ließ Alban sich Werke von anderen Klöstern schicken und kopierte sie selbst. Er konnte sie abschreiben und dabei gleich studieren. Besonders liebte er die Confessiones des Thomas von Aquin und das unvergleichliche Werk über die Dreieinigkeit, „De Trinitate“. In einsamen Stunden studierte er die Werke zur Gnadentheologie und fühlte sich seltsam getröstet.

      Alban wäre auch gerne so ein großer Gelehrter, vielleicht sogar ein Kirchenlehrer gewesen, und deswegen verfasste er auch selbst Schriften. Vermutlich würde die nie irgendjemand lesen, aber für Alban war es das Schönste überhaupt, an seinem Tisch zu sitzen und seine eigenen Auslegungen zu schreiben. Er kannte die Heilige Schrift und verschiedene Werke zur Auslegung genau und konnte alle seine Gedankengänge ausführlich belegen. Teile seiner Ergebnisse teilte er auch seinen Korrespondenzpartnern in langen Briefen mit und las im Gegenzug deren Abhandlungen. Es war ein wunderbarer Austausch mit gelehrten Männern, etwas, das seine Seele wärmte.

      Und jetzt sollte er seine Zeit opfern, um einen Stallknecht zu unterrichten. Was sich der Herr Heinrich dabei nur gedacht hatte? Gewiss, der Knecht war sein Halbbruder, war aber aufgewachsen in Unwissenheit. Irgendwie fühlte Alban sich beleidigt. Er, ein gelehrter Mann, einer der wenigen Menschen, die die Schriften des Thomas von Aquin lesen konnten und auch verstanden, er sollte einen Stallknecht unterrichten.

      Eigentlich war das eine Zumutung.

      Da aber der Hochmuth eine Todsünde war und zu den sieben Hauptlastern gehörte, wollte Alban sich doch herablassen. Er würde den Hochmuth bekämpfen und demütig sein und sich so den Himmel verdienen. Natürlich wusste Alban aus seinen Studien, dass er das nicht alleine konnte: Schließlich hatte er durch den Sündenfall nur eine eingeschränkte Willensfreiheit, nur Gott konnte die Gnade schenken, die eigenen Willensschwächen zu überwinden. Wie schon der wunderbare Anselm von Canterbury in seinen faszinierenden Werken geschrieben hatte, konnte man sich nur mit Gottes Hilfe aus der Sünde lösen: einfach indem man Gott drum bat.

      Alban nahm sich fest vor, Gott um Hilfe und Gnade zu bitten und dann über seine eigene Demutsübung zu schreiben, ähnlich wie in den Confessiones von Thomas von Aquin: Wie man durch Gnade und Demut in sich selbst die Todsünden auslöschen konnte und dadurch Tochtersünden vermied. Er überlegte, welchen lateinischen Namen er seinem Werk geben konnte. Vielleicht „Et humilem“, – von der Demut -, aber vielleicht war dieser Name schon vergeben? Er würde nachforschen müssen und freute sich schon darauf.

      Am nächsten Tag kam Martin nach der morgendlichen Krankenpflege und dem Frühstück zu Bruder Alban. Er war aufgeregt und gleichzeitig froh: Seit Wochen hatte er jeden Tag Brettspiele gespielt und konnte sie schon nicht mehr sehen. Aber vielleicht würde das eh anders werden. Heinrich hatte beschlossen, sich mehr für sein Gut zu interessieren und für die Zeit von Martins Abwesenheit den Verwalter zu sich bestellt. Er wollte künftig erklärt bekommen, was auf seinem Gut zu tun war und welche Arbeiten es zu verrichten gab. Martin hatte nicht ganz verstanden, warum der Herr das tun wollte. Ganz offensichtlich kümmerte ihn die täglich anfallende Arbeit und die lebenswichtige Planung von Saat, Ernte, Vorräten und Kleidung nicht, und Routine war für ihn ein Graus. Aber aus irgendeinem Grund schien er bestrebt, sich zu ändern. Aus irgendeinem Grund, den Martin noch nicht herausgefunden hatte, wollte Heinrich sein Leben ändern. Martin war es nur recht, er profitierte davon. Seit Wochen schon hatte er genug zu essen, niemand schlug ihn, und er saß in Heinrichs warmer Kammer, während draußen klirrende Kälte herrschte. Und nun sollte er sogar lesen und schreiben lernen dürfen, warum auch immer.

      Aufgeregt betrat er Albans Kammer. Sie hatte viel Licht, im Gegensatz zu den anderen Kammern im Winter. Alban hatte einen eigenen Feuerplatz mit Kamin, ein Fenster zur Südostseite und etliche Kerzen im Raum. Das Fenster war nicht wie sonst mit dicken Holzläden verschlossen, sondern in den Holzrahmen war Pergament gespannt. Man konnte auch Holzbretter über das Pergament schieben, wenn es zu kalt wurde, aber durch das Pergament vor den Fenstern kam nochmal zusätzlich Licht herein. Es war eine raffinierte Lösung, so fand Martin. Der Raum hatte Licht, trotzdem konnte man die Läden aufmachen und hinausschauen, und man konnte sie mit Holz wetterfest machen. Ob sich Bruder Alban das wohl selbst ausgedacht hatte?

      Der Priester empfing ihn ohne Enthusiasmus. Er musterte seinen neuen Schüler und hätte am liebsten die Nase gerümpft, aber er sagte sich ständig vor, dass Hochmuth eine Todsünde war und er ja in den Himmel kommen wollte zu all den von ihm verehrten Theologen.

      Er setzte sich an den Tisch und überlegte kurz, ob Martin sich auch hinsetzen oder stehen sollte. Seinem Rang nach müsste er eigentlich stehen, aber Alban dachte kurz dran, dass er Heinrichs Halbbruder war und anscheinend jetzt hoch in der Gunst stand. Also seufzte er ergeben und bedeutete Martin, sich zu setzen. Sie begannen mit dem Alphabet. Alban erklärte ihm die Buchstaben und ließ Martin dann die Buchstaben mit einem geschmiedeten Schiefergriffel auf einer Schiefertafel schreiben.

      Pergament und vor allem Papier waren teuer, nie im Leben würde Alban solch kostbare Sachen an einen Stallknecht verschwenden.

      Martin begriff schnell. Alban ließ ihn Wörter schreiben und Martin machte sich eifrig an die Arbeit. Sein Gesicht glühte, wegen des Kamins aber auch wegen der Freude. Dann zeigte ihm Alban noch, wie man Zahlen schrieb und übte mit ihm einige kleine Rechenaufgaben. Irgendwann war die Unterrichtsstunde um, und Martin war selig. Es war zu schön gewesen.

      Den restlichen Tag war Martin abwechselnd von Freude und von Furcht erfüllt. Ständig musste er an den Unterricht denken und freute sich drauf, am nächsten Tag wieder schreiben und rechnen zu dürfen. Allerdings wusste er auch, dass es jederzeit wieder vorbei sein konnte. Warum auch sollte er so etwas Wundervolles bekommen? Er hatte kein Recht darauf. Irgendwann war Heinrich wohl wieder gesund und