Название | Der Seele tiefer Grund |
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Автор произведения | Beate Berghoff |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783347094444 |
Martin schwieg, und Heinrich bemerkte, dass sein Halbbruder seine Begründungen anscheinend nicht halb so gut fand wie er selbst. Deswegen fragte er nach: „Und, was meinst Du dazu?“ Martin stand an einem Scheideweg. Sollte er wirklich sagen, was er dazu dachte? Anscheinend interessierte es den Herrn wirklich. Wollte er, dass Martin ihm uneingeschränkt Recht gab und ihm sagte, dass das alles nicht umsetzbar war? Oder vielleicht brauchte er einen Freund, der ihm in den Hintern trat? Aber was, wenn er dann wütend wurde? Anscheinend dachte er zu lange nach, den Heinrich hakte nach: „Nun? Was denkst Du? Du kannst mir ruhig die Wahrheit sagen, ich werde nicht wütend werden.“
Martin wurde rot. Anscheinend wusste Heinrich genau, was er dachte. Dann konnte er es genauso gut aussprechen. Vielleicht nicht ganz im Wortlaut, er musste höflich bleiben. „Wie gesagt, Ihr seid ein freier Mann. Wenn Ihr singen wollte, dann tut das. Wer soll es Euch verbieten? Wer soll Euch auslachen? Ihr könnt doch selbst beschließen, wen Ihr als Gast holt und wen nicht. Ihr könnt das alles selbst entscheiden. Und wenn Ihr Gäste habt, die nicht muszieren, dann braucht Ihr das doch vor denen nicht zu tun? Ihr könnt über Euer Leben selbst entscheiden, viele können das nicht.“ Martin senkte den Kopf und meinte leise: „Ich auch nicht.“
In diesem Moment wurde Heinrich klar, wie privilegiert er eigentlich war. Er konnte machen, was er wollte, nur seine eigenen seltsamen Wertevorstellungen hielten ihn davon ab. Das, und seine Faulheit. Die Pferdezucht würde viel Arbeit machen. Er konnte Fachleute anstellen, aber dann würde er ja auch wieder nur herumsitzen.
„Ich auch nicht“ hatte Martin gesagt und es hatte traurig geklungen. Er durfte nichts in seinem Leben selbst entscheiden. Ob Martin wohl auch Träume hatte? Oder irgendwann einmal gehabt hatte? Irgendwie war es Heinrich nie in den Sinn gekommen, dass leibeigene Dienstboten Träume haben könnten. Sie waren in Heinrichs Weltbild nur eine halbe Stufe über den Nutztieren gestanden. Dumm, verschlagen und faul, das waren die Ansichten des Vaters über die Knechte und Mägde gewesen. Aber er wusste ja nun, dass er Vater nicht unbedingt Recht gehabt hatte mit seinen Ansichten. Was, wenn das auch dummes Zeug war? Also fragte Heinrich: „Und Du? Wovon träumst Du?“
Martins Überraschung war deutlich zu sehen. Verwundert sah er Heinrich an, kaute auf seiner Unterlippe herum, öffnete den Mund – und schloss ihn wieder. Heinrich war neugierig und fragte nach. „Ja? Was wolltest Du sagen?“
Martin zögerte kurz und meinte dann: „Ich brauche nicht viel. Genug zu essen, einen warmen Platz im Winter und … und.“ Wieder brach er ab und starrte auf den Boden.
Heinrich wusste so ungefähr, was Martin hätte sagen wollen, aber das war für beide vermutlich nicht sehr angenehm. Keine Misshandlungen. Sicher war es das, aber besser, sie würden das Thema nicht anschneiden.
Sie schwiegen einige Momente, dann fragte Heinrich: „Und früher? Von was hast Du geträumt, als Du ein Junge warst?“ Er war gespannt, ob da irgendetwas war. Martin sah nicht so aus, als wenn er gerne darüber gesprochen hätte, aber was blieb ihm schon übrig? Also antwortete er pflichtschuldig:
„Ich wollte Müller werden. Oder …“
Er verstummte wieder. Heinrich hakte nach: „Oder?“
Ganz leise hauchte Martin: „Oder Mönch.“
„Mönch?“ Heinrich konnte es nicht fassen. „Warum Mönch?“ Martin zuckte die Schultern. Immer noch leise meinte er: „Na ja, Mönche lernen lesen und schreiben. Und Latein. Sie können die Heilige Schrift lesen und Texte über fremde Länder und die Ansichten von gescheiten Leuten studieren. Sie können malen und muszieren, und das hätte ich auch alles gerne gekonnt und gemacht.“
Heinrich war perplex. Das hatte er nicht erwartet. Man hatte ihn als Kind auch gezwungen, Latein zu lernen, aber für ihn war es eine Qual gewesen. Viele Ritter konnten gar nicht lesen und schreiben, aber seine Mutter hatte Wert daraufgelegt und der Vater später auch.
Anscheinend wusste Martin gar nicht, was er sich da wünschte. Lesen und schreiben war für den Alltag ganz nützlich, aber Latein? Außerdem: Malen und musizieren? Anscheinend war Martin genauso ein Weichei wie er selbst. Wieder musste Heinrich lachen. Sie waren schließlich Brüder, kein Wunder! Ihre Mutter hatte auch musiziert, gemalt, gestickt, und sie konnte tatsächlich Latein. Für eine Frau war das ganz beachtlich, vermutlich konnte sie das, weil sie in einem Kloster in Frankreich aufgewachsen war. Anscheinend war Martin seiner Mutter ziemlich ähnlich.
Heinrich hörte auf zu essen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sofort legte Martin auch den Löffel weg. Heinrich seufzte und aß weiter, damit Martin auch essen konnte und satt wurde. Während des Essens dachte er nach und fasste einen Entschluss. Er wollte dem neuen Halbbruder, der ihn so wunderbar pflegte, ein Geschenk machen. Vielleicht würde er ihn dann doch irgendwann mögen? Vielleicht würde er damit seine Schuld loswerden? Sie schoben das Geschirr zur Seite und Heinrich lehnte sich faul zurück. Martin beobachtete ihn, immer bereit, aufzuspringen und etwas für ihn zu tun.
Heinrich studierte sein Gegenüber und fragte sich gespannt, wie er wohl reagieren würde. Er begann: „Wenn Du willst, dann kannst Du lesen und schreiben lernen.“
Martin sah ihn nur wortlos an. Vielleicht hatte er nicht verstanden? Heinrich versuchte es erneut:
„Der Pfaffe kann Dir lesen und schreiben beibringen, oder ich übernehme das. Wir haben ja genug Zeit momentan.“
Immer noch kam keine Reaktion. Martin saß ganz still da und trug die Maske aus Stein.
Heinrich versuchte es ein drittes Mal: „Martin, hör zu: Wenn Du lesen und schreiben lernen magst, dann kannst Du das tun. Es ist ein Geschenk von mir. Der Pfaffe und ich können es Dir beibringen. Du kannst auch Latein lernen, wenn Du Dir das unbedingt antun willst. Und wir können zusammen singen, Bruder Alban kann gut singen und hat das auch richtig gelernt.“
Heinrich hatte nicht vorgehabt, das gemeinsame Singen mit Bruder Alban anzusprechen, aber es war einfach so mit herausgekommen. Martin regte sich. Er hatte große Augen und kaute wieder auf seiner Unterlippe herum, wie so oft. Heinrich wurde langsam ungeduldig und bot noch an: „Wenn Du magst, kannst Du morgen anfangen.“
Martin verkrampfte sich, als er fragte: „Warum? Warum wollt Ihr, dass ich lesen und schreiben lerne?“
Heinrich verstand nicht. „Aber Du wolltest doch lesen und schreiben lernen? Das ist ein Geschenk von mir. Eine Belohnung, weil Du mich so gut pflegst.“
Heinrich wartete nun auf eine Reaktion, doch Martin schwieg. Anscheinend konnte er sich nicht vorstellen, dass Heinrich ihm einfach nur irgendetwas Gutes tat, ohne Hintergedanken. Die Stille wurde unbehaglich, Martin bemerkte das sicher auch, denn er antwortete verlegen: „Ich würde gerne lesen und schreiben lernen. Und Latein.“ Angespannt sah er Heinrich an. Heinrich lächelte und meinte: „Abgemacht. Morgen fängst Du an. Schickst Du mir den Pfaffen gleich noch her, wenn Du gehst?“
Martin verstand den Wink. Er wünschte eine gute Nacht und ging. Das benutzte Geschirr würde nachher irgendeine der Mägde holen. Martin suchten Bruder Alban und fand ihn in seiner Kammer. Mit klopfendem Herzen sah er sich um. Überall waren Pergamentrollen und sogar einige Bücher standen herum. Es gab einen Schreibtisch und ein Lesepult, und noch einige Gerätschaften, von denen Martin gar nicht wusste, was sie waren. In einer Ecke stand eine kleine Harfe, daneben lag eine Flöte. Pflichtschuldig richtete Martin dem Priester aus, dass der Herr ihn zu sehen wünschte, und ging wieder.
Ob er wohl wirklich lesen und schreiben lernen dufte?
Kapitel 6: Der Mann Gottes: Bruder Alban
Bruder Alban war nicht sehr erbaut darüber, einen Stallknecht zu unterrichten. Er stritt kurz mit Heinrich drüber, fügte sich dann aber, obwohl Heinrichs Ansinnen eine Zumutung und Beleidigung war. Alban selbst entstammte einer Grafenfamilie, war jedoch