Stasi-Konzern. Uwe Klausner

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Название Stasi-Konzern
Автор произведения Uwe Klausner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839243909



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auf dem Gewissen hat. Sei’s drum – ändern lässt sich daran sowieso nichts mehr. Wichtig ist, dass wir den größtmöglichen Nutzen aus dem Schlamassel ziehen. Und dass sich so eine Pleite nicht wiederholt. Alles, was recht ist, Kamerowski: Langsam frage ich mich, weshalb wir jedes Jahr eine halbe Milliarde zum Fenster rauswerfen und über 30.000 Kostgänger durchfüttern, wenn sie zu dämlich sind, dem Abschaum aus dem Westen das Handwerk zu legen. Knapp 10 Prozent des Polizei- und Armeeetats – und wofür? Für nichts, Herr Generalmajor, für nichts und wieder nichts! Ich will Erfolge sehen, Kamerowski – kapiert? Dafür werden Sie und die übrigen Genossen bezahlt.« Der Stasi-Chef holte tief Luft. »Ein Tunnel nach dem andern, so viele, dass man mit dem Zählen nicht mehr hinterherkommt – Sie werden zugeben, dass es so nicht weitergehen kann.« Krebsrot im Gesicht, lockerte Mielke seine Krawatte. »145 Meter lang, und keiner will etwas bemerkt haben. Wissen Sie was, Genosse: Das können diese Jammerlappen von Grenzern ihrer Großmutter erzählen. Aber nicht mit mir, Freunde, nicht mit mir! Wenn dieser Unglücksrabe unter der Erde ist, könnt ihr euch auf was gefasst machen! Da werden Köpfe rollen, glauben Sie mir.«

      »Erlauben Sie mir eine Bemerkung, Genosse Minister?«

      »Aber nur eine. Je mehr gequatscht wird, desto weniger kommt dabei raus.«

      Kamerowski schluckte. »Ich bin überzeugt, die zuständigen Stellen werden alles tun, um die Umstände, die zum Tod von Unteroffizier Schultz geführt haben, restlos aufzuklären.«

      »Zu Ihrer Information, Kamerowski: Laut Gutachten sind insgesamt zehn Schüsse auf ihn abgefeuert worden, davon zwei aus der Waffe eines faschistischen Banditen.«

      »Höchste Zeit, dass diesen Flucht… dass den faschistischen Provokateuren das Handwerk gelegt wird«, erwiderte der Sekretariatsleiter und schaute derart arglos drein, dass Mielke beschloss, den Versprecher zu ignorieren. »Sonst machen wir uns zum Gespött.«

      Der MfS-Chef ging jedoch nicht darauf ein. »Und sein Kamerad, dieser …«

      »Maier. Soldat Volker Maier. Was ist mit ihm?«

      »Haben Sie dafür gesorgt, dass er zum Schweigen verdonnert wird?« Die Stirn in Falten, ließ sich Mielke in seinen Sessel sinken. »Nicht auszudenken, wenn etwas durchsickern würde – am Ende vielleicht noch nach drüben! Wenn das passiert, Genosse, können wir einpacken.« Der Mann, um den selbst Spitzenkader einen Bogen machten, schürzte die farblosen Lippen. »Dann möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken, Kamerowski!«

      Der Angesprochene tat so, als habe er den drohenden Unterton nicht bemerkt. »Die Tür zum Hof«, fuhr er stattdessen mit Blick auf das nächste Dia fort, den Zeigestock, den er wie ein Gewehr präsentierte, in der rechten Hand. »Der linke Flügel offen, der rechte zum Tatzeitpunkt geschlossen. Man beachte die Blutflecken, in erster Linie auf dem Treppenabsatz.«

      »Ich habe Augen im Kopf, Genosse. Weiter.«

      Klick. Ein Geräusch, das sich wie Entsichern einer Waffe anhörte. Fotos von Einschusslöchern in der Backsteinwand, von Blutflecken auf dem Hofpflaster, herumliegenden Patronenhülsen, Mülltonnen und drei Stufen, die zum nur wenige Schritte von der Hintertür entfernt gelegenen Toilettenhäuschen führen.

      Klick.

      Das Innere des Toilettenhäuschens. Knopfdruck. Der Einstieg in den Tunnel 57. Ein Klicken. Abermals der Einstieg, diesmal aus der Vertikalen. Ein Knacken, untermalt vom Rauschen des Projektors. Und dann, um die Niederlage perfekt zu machen, die Skizze eines Schachtes, der in schnurgerader Linie Richtung West-Berlin führt.

      Nach Wedding, wo Mielke aufgewachsen war.

      »Wenn ich könnte, würde ich die Bastarde der Reihe nach liquidieren. Persönlich.«

      »Ich finde, das ist der falsche Weg.«

      Es gab nur wenige, die den Mut besaßen, Mielke zu widersprechen, unter ihnen der Agent, der den Decknamen ›Radek‹ trug. Außer dem Minister, der die Wahrung seiner Identität zur Chefsache erklärt hatte, war sein Name niemandem bekannt. Gemunkelt wurde natürlich viel, auch darüber, dass es eine Sondereinheit gab, an deren Spitze besagter Radek stand. Da Geheimhaltung jedoch oberstes Prinzip war, wagte niemand, den kursierenden Gerüchten auf den Grund zu gehen.

      »Es sei denn, so etwas kommt noch öfter vor.« Dem Mann, der mit verschränkten Armen am Türbalken lehnte, war es recht so. Anders als bei Kamerowski, der Mielke verblüffend ähnlich sah, handelte es sich bei ihm um einen gänzlich anderen Typ. Kamerowski war untersetzt, stiernackig und der geborene Speichellecker, Radek das genaue Gegenteil. Vom Aussehen her viel älter, in Wahrheit jedoch knapp zehn Jahre jünger als der Büroleiter, wies er keinerlei besondere Merkmale auf, weder was sein Allerweltgesicht, das stets angefeuchtete Haar, die Geheimratsecken und schiefergrauen Augen noch was den Rollkragenpullover, die dunklen Hosen und das cremefarbene Jackett betraf. Radek war es recht so, denn er wollte – und durfte – auf keinen Preis auffallen. Als Leiter der ›Sektion Omega‹, deren Aufgabe darin bestand, Maulwürfe, Überläufer und Verräter aufzuspüren, war dies oberstes Gebot. Und die halbe Miete, um zu überleben. »Dann, wie ich wohl nicht eigens betonen muss, müssen wir natürlich einschreiten.«

      »Soll das heißen, Sie sind dafür, die Angelegenheit auf sich beruhen zu …«

      »Damit wir uns nicht falsch verstehen, Genosse Kamerowski: Wenn der Genosse Minister den Befehl erteilt, die Schuldigen zu liquidieren, wird er selbstverständlich ausgeführt. Was mich betrifft, bin ich der Meinung, dass es derzeit Wichtigeres zu tun gibt, als einen Rachefeldzug gegen westliche Saboteure zu führen.«

      »So? Und was denn?«, erwiderte der Sekretariatsleiter, zog die Vorhänge zurück und schaltete den Projektor wieder aus. »Ich dachte, es sei alles gesagt.«

      »Wenn Sie sich da mal nicht irren, Genosse Generalmajor«, gab Radek zurück, die Augenlider, die von eisgrauen Brauen überwölbt wurden, fast vollständig geschlossen. »Ich habe lediglich gesagt, dass es ratsam wäre, wenn wir uns auf andere Dinge …«

      »Und auf welche?«, blaffte Mielke, dem die Art, wie Radek um den heißen Brei herumredete, an den Nerven zehrte. Ein Blick auf seinen Vertrauten, und der Grund hierfür wurde ihm jedoch auf Anhieb klar. »Soll das heißen, es gibt schlechte Nachrichten? Und was Sie betrifft, Kamerowski – tun Sie mir den Gefallen und lassen uns allein. Ich möchte mit Radek unter vier Augen reden.«

      »Wie Sie wünschen, Genosse Minister.«

      »So, Radek, den wären wir los!«, richtete Mielke das Wort an den 43-jährigen Dresdener, nachdem dieser unaufgefordert Platz genommen und es sich auf dem Sessel vor Mielkes Schreibtisch bequem gemacht hatte. »Und jetzt raus mit der Sprache – was ist passiert?«

      Die Rechte über den Augen, mit der er sie gegen das hereinflutende Tageslicht abschirmte, ließ sich Radek mit seiner Antwort Zeit. »Etwas, woran wir möglicherweise zu kauen haben werden«, begann er nach reiflicher Überlegung, der Blick auf den Fingerkuppen und dem darüber streichenden Daumen. »Aber noch ist bekanntlich nicht aller Tage Abend.«

      Das Läuten des Telefons, Teil einer links von Mielke befindlichen Apparatur, durch die er führende Funktionäre per Direktleitung erreichen konnte, sorgte dafür, dass Radek seine Ausführungen unterbrach.

      »In Ordnung – stellen Sie durch.« Mielkes Miene sprach Bände, und man musste nicht Radek heißen, um zu erkennen, dass ihm der Schreck in sämtliche Glieder gefahren war. »›Verdächtig‹?«, rief er stirnrunzelnd aus, den Hörer am rechten Ohr. »Inwiefern, Herr Professor? Ach was, wer kommt denn auf so eine Idee! Wie? Unsinn! Major Czerny genießt mein vollstes Vertrauen. Er hat auf meinen ausdrücklichen Befehl gehandelt. Wieso? Das lassen Sie mal lieber meine Sorge sein. Ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig. Wenn Sie wollen, wenden Sie sich an den Generalstaatsanwalt. Oder an das Ministerium des Inneren. Auf Anfrage wird es sicherlich bereit sein, Ihnen eine Kopie … ›Ohne mich zu informieren‹ – was, bitte schön, soll das heißen? Damit Sie Bescheid wissen, Herr Professor Prokop: Um das Obduktionsprotokoll ausgehändigt zu bekommen, muss ich niemanden um Erlaubnis fragen. Am allerwenigsten Sie. ›Ein ungeheurer Vorgang‹? Überlegen Sie sich genau, was Sie sagen. Sie haben es hier nicht mit einem Ihrer Assistenzärzte zu