Stasi-Konzern. Uwe Klausner

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Название Stasi-Konzern
Автор произведения Uwe Klausner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839243909



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ihm war nicht totzukriegen, und er genoss es, den künftigen Schwiegersohn an der Nase herumzuführen. »Wenn ich ehrlich bin, Hajo«, tat er mit erheblicher Verzögerung kund, »wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, wem ich glauben soll.«

      »Mir, wem denn sonst!«

      »Du hast gut reden, Hajo«, sprach Sydow mit Bedacht, erhob sich und trat ans Fenster, von wo aus man einen Blick auf den Hof und das angrenzende Hinterhaus werfen konnte. Im Gegensatz zur Vorwoche ließ das Wetter zu wünschen übrig, und am Himmel, wovon nur ein winziger Ausschnitt zu sehen war, zogen Regenwolken auf. »Im Ernst: Woher soll ausgerechnet ich wissen, wer lügt und wer die Wahrheit sagt? Du warst dabei – ich nicht.«

      »Na schön: Er hat auf den Grepo geschossen.«

      »Wer hat auf ihn geschossen?«

      »Christian.«

      »Hat dieser Christian auch einen Namen?«

      »Er heißt Zobel, Christian Zobel!«

      »Warum denn so missmutig? Mehr wollte ich gar nicht wissen.« Sydow legte eine Kunstpause ein. Dann fragte er: »Und woher stammt die Waffe?«

      »Ob du’s glaubst oder nicht, Herr Kriminalhauptkommissar: aus Polizeibeständen.«

      Sydow gab ein nachdenkliches Nicken von sich. Um nachzuvollziehen, wie der Tunnelbau überhaupt möglich war, musste man nicht viel Fantasie besitzen. Ohne die – gelinde gesagt – stillschweigende Duldung seiner Ex-Kollegen wäre ein Unternehmen wie das vom vergangenen Wochenende nicht möglich gewesen. Außerdem kostete so was eine Stange Geld, von Schaufeln, Spitzhacken und technischem Zubehör einmal abgesehen. Woher dieses Geld kam, war ein offenes Geheimnis, gab es doch einen Haufen Leute, die mit den Genossen eine Rechnung offen hatten. »Da erzählst du mir nichts Neues, Hajo.«

      »Na also. Und wo liegt dann das Problem?«

      »Das Problem, junger Mann, besteht darin, dass ein Mensch zu Tode gekommen ist.«

      »Schon mal was von Peter Fechter gehört, Tom?«

      »Du brauchst jetzt nicht ironisch zu werden, Hajo. Ich weiß, dass die da drüben Befehl haben, auf Flüchtende zu schießen. Und ich weiß auch, wie viele Tote es seit dem Mauerbau gegeben hat. Aber ich bin dagegen, dass den Grepos mit gleicher Münze heimgezahlt wird, frei nach dem Motto: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Versteh mich nicht falsch, Hajo: Ich hab die Klugscheißer von der SED gefressen, und wenn ich könnte, würde ich den ganzen Laden hochgehen lassen. ›Deutsche Demokratische Republik‹ – wenn man da nicht das Kotzen kriegt, weiß ich auch nicht mehr! Aber all das, die Mauer, das Propagandagetue, die Stasi und der Maulkorb, den sie den armen Teufeln verpasst haben, rechtfertigt nicht, dass …«

      »Der Tod eines Menschen als etwas Nebensächliches hingestellt wird, ich weiß.« Marquard schüttelte missbilligend den Kopf. »Falls du es vergessen hast, Tom: Ich studiere Theologie.«

      »Weißt du was, Hajo: Ich finde, es bringt nichts, wenn wir anfangen rumzudiskutieren. Erzähl mir lieber, wie es dir ergangen ist.« Die Arme vor der Brust verschränkt, drehte sich Sydow um. »Oder darf ich das nicht wissen?«

      »Doch.«

      »Na also – dann schieß los.«

      Der Theologiestudent, nach dem sich so manche Schwiegermutter die Finger geleckt hätte, seufzte aus tiefster Seele. »Die hätten den Laden dicht machen sollen«, flüsterte er, in Gedanken bei den Ereignissen, die er vom Dachboden des Hauses in der Bernauer Straße beobachtet hatte. »Aber nein, Reino und Zobel konnten den Hals nicht voll kriegen!«

      Einmal in Fahrt, war Marquard nicht zu bremsen, und da er froh war, dass er ihn so weit hatte, nahm Sydow kommentarlos Platz.

      »Aber so ist es nun mal: Wenn du nicht aufpasst, kann es sein, dass du auf die Schnauze fällst. So wie Christian. Ich versteh das nicht, Tom – ehrlich. Die hätten doch merken müssen, mit wem sie es zu tun haben. Noch einem Kumpel Bescheid sagen, der rübermachen will! Eine dümmere Ausrede hab ich in meinem Leben noch nicht gehört. Zu dumm, dass ausgerechnet wir drauf reingefallen sind.« Sichtlich aufgebracht, hielt es Marquard nicht mehr auf seinem Stuhl, und er begann ruhelos hin- und herzulaufen. »57 Ost-Berliner, Männer, Frauen, Kinder – und dann so etwas! Das hältst du ja im Kopf nicht aus. Aber lassen wir das. Wo waren wir gerade stehen … genau! Ziemlich genau um halb eins kam dann Leben in die Bude. Da sind nämlich die zwei Wartburgs und eine Kradstreife aufgetaucht. Weshalb, war mir auf Anhieb klar. Dank der Gaskandelaber konnte man nämlich genug sehen. Meinen Augen getraut hab ich trotzdem nicht. Da hast du wochenlang geschuftet, tonnenweise Sand durch die Gegend gekarrt, jede freie Minute unter Tage verbracht – und dann, wenn du denkst, das Ding ist gelaufen, tauchen auf einmal die Grepos auf. Ich also nichts wie ans Funkgerät, um die Jungs am Tunnelende im Westen zu warnen. ›Erbse an Kochtopf – Gefahr im Verzug!‹

      Keine Ahnung, wie wir auf derart bescheuerte Codewörter gekommen sind. Egal: Die Jungs in der stillgelegten Backstube haben die Warnung umgehend weitergegeben. Wir hatten nämlich zwei Grubentelefone, musst du wissen. Genützt hatte es leider wenig. Als die Warnung eintraf, war das Geballere bereits in vollem Gang.«

      »Geballere?«

      »Was hast du denn gedacht, Tom! Die waren bewaffnet, mit Kalaschnikows. Das hat gekracht, dass man geglaubt hat, wir sind im Krieg.« Marquard gab ein nachdenkliches Schnauben von sich. »Mich wundert, dass alle wieder heil rübergekommen sind. Falls nicht, hätte ich nicht in ihrer Haut stecken wollen. Die wären ihres Lebens nicht mehr froh geworden, jede Wette. Bei so was versteht die Stasi keinen Spaß.«

      »Das kannst du aber laut sagen.« Sydow legte die Stirn in Falten, und die Miene, mit der er Marquard musterte, sprach Bände. »Wenn ich dir einen Rat geben darf, Hajo: Zu niemandem ein Wort. Wärst nicht der Erste, der von der Stasi entführt worden ist. Um sich zu rächen, ist denen jedes Mittel recht.«

      »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass …«

      »Denk bloß nicht, die können dir nichts anhaben. Das wäre der größte Fehler, den du machen kannst. Der Stasi-Konzern ist schwer am Expandieren. Der hat überall seine Filialen – auch hier, im vermeintlich freien West-Berlin.«

      »Da sagst du mir nichts Neues, Tom«, erwiderte Marquard resigniert. »Keine Angst, ich bin auf der Hut.«

      »Wenn du alles so genau weißt – weshalb bist du dann hier?«

      »Gute Frage!«, stieß Marquard hervor und blieb mit dem Rücken zu Sydow stehen. »Gründe dafür gibt es viele.«

      »Und die wären?«

      »Zunächst mal wollte ich mir alles von der Seele reden. Glaub mir, Tom: Die letzten paar Tage waren kein Zuckerschlecken für mich. Und schon gar nicht für meine Kameraden. Speziell Christian macht zur Zeit viel durch. Kannst dir vorstellen, dass ihm der Tod von diesem Grepo auf den Magen geschlagen hat. Der weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht – ehrlich. Wie dem auch sei, er behauptet steif und fest, dass es Notwehr war. Ihm sei keine andere Wahl geblieben, meint er.« Marquard gab ein bitteres Lachen von sich. »Den will ich sehen, der in dieser Situation anders gehandelt hätte. Hinterher ist man sowieso schlauer, vor allem die Klugscheißer, die momentan über uns herziehen. Weißt du was, Tom, die können mich alle mal!«

      »Du bist doch nicht gekommen, um mir das zu sagen, oder?«

      »Nein, ganz bestimmt nicht.«

      »Hör zu, Hajo, falls du Ärger mit Vroni hast, ist es vielleicht besser, du redest mit Lea.«

      »Ich will aber nicht mit Lea darüber reden, sondern mit dir.«

      »Auf gut deutsch: Ich soll retten, was noch zu retten ist.«

      »So könnte man es bezeichnen.« Sonst nie um eine Antwort verlegen, rang Hans-Joachim Marquard nach Worten. »Sie … sie nimmt es mir übel, dass ich ihr die Sache mit dem Tunnel verheimlicht habe.«

      »Auf die Gefahr, es mir bei dir zu verscherzen: Ein ganz klein wenig kann ich sie verstehen.«

      »Ich mittlerweile