Störtebekers Erben. Susanne Ziegert

Читать онлайн.
Название Störtebekers Erben
Автор произведения Susanne Ziegert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839256909



Скачать книгу

saßen die Tagesgäste, egal, zu welcher Uhrzeit sie eintrafen, mit dem Inselspezialgetränk Eiergrog, einem Kaffee oder Krabbenbrötchen auf der Terrasse vom Inselkaufmann unter den drei knorrigen Eichen. Doch heute waren seine Bänke aufeinandergestapelt und angekettet.

      »Keine Ahnung«, sagte sie und dachte daran, dass Peter Hein offenbar am Abend vorher auch nicht zu Hause gewesen war, sie hatte ihn auch im »Seemannsgarn« nicht gesehen, obwohl dort fast die komplette Inselbevölkerung versammelt war.

      Sie hatte gehört, dass ihr Nachbar manchmal am Morgen nicht rechtzeitig aufgeschlossen hatte, zumal in seinem Laden mit Ausschank und einem immer größer werdenden Gartenlokal manchmal bis in den späten Abend feuchtfröhlich gefeiert wurde. Aber an diesem Tag war das unwahrscheinlich, Niedrigwasser war gegen elf Uhr. Jeden Tag verschoben sich die Gezeiten um etwa eine halbe Stunde, das war das wichtigste Naturgesetz, denn hier diktierten noch immer die Gezeiten den Lebensrhythmus.

      Aus dem kleinen Inselchen wurde ein hektischer Ort, wenn die Wattwagen für eine gute Stunde mehrere Hundert Menschen vor dem Turm absetzten. Margo war immer noch erstaunt, wie sich die ganze Stimmung von einer Sekunde auf die andere veränderte, und wie plötzlich nach der Abfahrt der Tagestouristen wieder Ruhe einkehrte.

      Sie machte ihre Zigarette aus und beschloss, »Störtebekers Wunderkammer« einen Besuch abzustatten. Der kleine Laden befand sich unter der Pension im Turm, hatte aber einen eigenen Eingang, der über eine Stahltreppe zu erreichen war. Dort befanden sich noch die originalen Gewölbe, wo der Turmvogt, den die Hamburger Kaufleute zur Überwachung des Seeverkehrs in den Norden geschickt hatten, seine Amtsstube hatte. Unter seinen Räumen sollte angeblich der Pirat Störtebeker nach seiner Festnahme im Verlies geschmort haben. Mark Cors, der Ex-Schwiegersohn des Inselkaufmanns, der den Laden betrieb, hatte den berühmten Piraten verewigt. Sie trat ein und sah sich um, er hatte die Gewölbe weiß gestrichen und an vielen Stellen das Mauerwerk freigelegt, dazwischen standen Glasvitrinen mit seinen Schmuckkreationen aus Bernstein. Sie entdeckte ihn an einem der Glasschränke, wo er zwei älteren Damen seine Bernsteinschmuckstücke zeigte. Er breitete mehrere Colliers auf seinem Tresen aus und nickte Margo knapp zu. Sie wollte warten, bis er seine Kundschaft abgefertigt hatte, und sah sich nach neuen Kreationen und besonderen Bernsteinen um. Plötzlich kam eine blonde junge Frau auf hohen Absätzen in den Laden gestürmt und schrie mit überschnappender Stimme:

      »Papa ist tot!«

      Sie wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt, dann sah sie Mark feindselig an und kreischte: »Aber du freust dich ja vielleicht.« Er wollte ihr nachgehen, aber sie war schon dabei, die Treppe hinab zu stürmen, und schrie ihm noch »Fass mich nicht an« zu.

      Die beiden älteren Damen standen erschrocken und unschlüssig herum. Beinahe hätte die wütende Frau Margo, die an der Tür stehen geblieben war, umgerannt. Sie sah sie hasserfüllt an und kreischte weiter: »Du Schlampe, du Erbschleicherin. Ich kann mir denken, was du vorhattest.« Margo war völlig perplex, und ehe sie eine Antwort parat hatte, hörte sie nur noch das schnelle Hämmern der Absätze auf der Stahltreppe vor dem Laden.

      »Meine Ex-Frau«, erklärte Mark überflüssigerweise.

      Kapitel 4

      Rike hörte das Zwitschern ihres Telefons schon, als sie die Tür noch gar nicht aufgeschlossen hatte. Eigentlich hatte sie frei, Überstunden abbummeln, und die Zeit für einen langen Spaziergang mit Prinz genutzt, ihren Mischlingsrüden, den sie vor einem halben Jahr aus dem Tierheim mitgenommen hatte. Das damals mitleiderregend winzige Häufchen Hund war inzwischen ein stattlicher Rüde geworden, dessen stürmische Liebesbekundungen eine weniger durchtrainierte und hochgewachsene Person umgeworfen hätten.

      Obwohl sie ansonsten keine Frau war, die Probleme hatte, sich durchzusetzen, versagte ihre Autorität gegenüber ihrem Hundebaby, wie sie Prinz insgeheim noch nannte, das sie am Anfang mit der Flasche aufgepäppelt hatte. Sie nahm sich immer wieder vor, irgendwann mit dem Vierbeiner die Hundeschule zu besuchen. Jetzt zumindest schien er genauso erschöpft zu sein wie sie. Sie waren die drei Treppen von ihrem Haus zur Elbe hinuntergestiegen, wo Prinz sich am Strand ausgetobt hatte, und immer wieder vergeblich versucht hatte, Möwen zu fangen. Rike liebte es, den Binnenschiffen hinterherzusehen, die Sand oder Kies auf die Baustellen Hamburgs transportierten. Sie waren dann über eine Stunde elbaufwärts gelaufen, an Villen und einem Golfplatz vorbei, durch einen kleinen Wald und eine Fläche voll Heidekraut, eine Landschaft, die sie an ihre Kindheit erinnerte.

      Das Handy, das zwischendurch verstummt war, zwitscherte leider schon wieder. Ärgerlich sah sie die Nummer der Polizeizentrale. Im letzten halben Jahr hatte sie Hunderte von Überstunden angesammelt, und doch wurde meistens sie angerufen, wenn Not am »Mann« war, schließlich war sie ja ledig und hatte keine Kinder.

      »Von Menkendorf«, sagte sie schroff in den Hörer, als es wieder klingelte, und hörte überrascht die Stimme von Kriminaloberrat Karl Roth, dem obersten Leiter der Mordkommission. Der altgediente Kripomann war so etwas wie ihr Mentor, seit sie ihn noch als Jurastudentin nach der Vorlesung angesprochen und er sie ermutigt hatte, zur Polizeiakademie zu wechseln, um bei der Kriminalpolizei Karriere zu machen.

      »Friederike, ich weiß, Sie haben sehr viele Überstunden gesammelt und noch nie eine Ermittlung geleitet. Aber wir haben einen Mordfall, und ich möchte, dass Sie diesen übernehmen. Ich bin davon überzeugt, dass Sie mittlerweile genug Erfahrungen haben, und die Fähigkeiten bringen Sie sowieso mit«, sagte er in einem schmeichelnden Ton und warb weiter: »Das ist auch eine große Chance für Sie.«

      Offenbar gab es wirklich einen Engpass, dachte sich Rike und wusste in dem Moment, dass sie ihrem Mentor diese Bitte schlecht abschlagen konnte.

      Wegen der herbstlichen Grippewelle war das Kommissariat dünn besetzt, die Beamten von zwei der drei Hamburger Mordbereitschaften waren mit den Ermittlungen einer Todesserie im Altenheim mehr als ausgelastet.

      »Da sitzt uns der Senator persönlich im Nacken«, erklärte Roth. Das Ganze, so lockte er, habe auch eine angenehme Seite, der Tote liege auf der Insel Neuwerk, dem schönsten Stadtteil Hamburgs. »Nehmen Sie die Spusi und das ganze Team mit«, ordnete er an und fügte hinzu: »Ach ja, Sie fliegen mit der »Libelle 1«. Im Moment ist der Schiffsverkehr ausgesetzt. Genießen Sie den Ausflug, so etwas werden Sie nicht oft geboten bekommen. So schwer kann es nicht sein, auf einer Insel mit 30 Einwohnern einen Mörder zu finden.«

      Rike folgerte, dass er mit der »Libelle 1« wohl einen der beiden Hubschrauber der Hamburger Polizei meinte. Diese wurden vor allem für die Suche nach Vermissten oder die Überwachung von Demonstrationen eingesetzt, sie hatte noch nie gehört, dass Kommissare der Mordkommission damit zum Einsatz geflogen worden waren.

      Das Ganze musste tatsächlich dringend sein. Sie sollte mit Volker Hendrichs, einem erfahrenen Kriminaltechniker, schnellstmöglich losfliegen, zwei Kollegen sollten ihnen folgen.

      Der Chef hatte ihr ausgerechnet Robert Galinowski zugeteilt, mit dem sie gemeinsam auf der Polizeiakademie gewesen war. Ein unangenehmer Wichtigtuer, der nichts konnte, als hohle frauenfeindliche Sprüche zu klopfen, und versuchte, sich damit zu profilieren. Sie waren während der Ausbildung mehrfach aneinandergeraten. Die andere Kollegin, Mareike Schmidt, kannte sie nur flüchtig, die junge Frau war erst vor zwei Wochen in ihre Abteilung versetzt worden. Eigentlich gehörten fünf Polizisten zu einer Mordbereitschaft, doch Roth hatte erklärt, dass er unmöglich mehr Mitarbeiter abstellen könne. Er selbst wollte die Ermittlungen von Hamburg aus koordinieren.

      Rike fuhr ihren Rechner hoch und druckte eine Mail mit einem Briefing aus, das sie während der Fahrt lesen wollte.

      Während des Gesprächs mit Roth hatte sie nicht zugeben wollen, dass sie keinerlei Vorstellung hatte, wo sich diese Insel eigentlich genau befand. Sie gab den Namen in einen Kartendienst ein und war erstaunt. Neuwerk lag ganz und gar nicht in der Nähe von Hamburg, sondern 100 Kilometer weiter nördlich vor Cuxhaven in der Nordsee. Trotzdem gehörte der Ort administrativ zu Hamburg-Mitte. Man lernte in dem Job doch fast jeden Tag etwas dazu, das schätzte sie an der Polizeiarbeit.

      Sie packte ein paar Kleidungsstücke und ihren Laptop in einen Seesack, dann schnappte sie sich den Hundekorb und Spielzeug für Prinz und klingelte am Haus nebenan.