Название | Störtebekers Erben |
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Автор произведения | Susanne Ziegert |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783839256909 |
Der bekannte Musiker war eindeutig gesprächiger als sein Cowboynachbar. Alle Kinder auf der Insel hatten schon immer gemeinsam die Schulbank gedrückt. Aber damals war die Schulklasse mit 15 Kindern noch deutlich größer, während heute nur eine einzige Schülerin dort lernte.
»Seitdem haben wir uns etwas aus den Augen verloren«, berichtete Prell. »Kein einfacher Mensch«, sagte er über den Toten und sah nachdenklich über den Tresen hinweg.
»Er hat immer einen Konkurrenten in mir gesehen. Denn eigentlich war Peter Hein das große Unterhaltungstalent in der Klasse, er spielte die Hauptrollen bei unseren Weihnachtsstücken und sang in der Schülerband. Damit war es dann leider vorbei mit der künstlerischen Karriere. Am Ende wurde er Alleinunterhalter für Touristen, als er vom Schwiegervater den Laden übernahm. Seine Frau bediente, er machte Konversation und sonnte sich in der Bewunderung seines Publikums.« Er rieb den Daumen an den Zeigefinger. »Das ist natürlich eine Goldgrube, aber eben auch ein Goldener Käfig. Als ich meinen ersten Hit gelandet hatte, der im Radio lief, hat er das richtiggehend übel genommen und kaum noch mit mir geredet.« Prell schüttelte den Kopf, als er an seine Anfänge auf der Bühne zurückdachte.
Kurz danach hatte Prell auch sein Restaurant »Seemannsgarn« eröffnet, doch dies hätte beinahe in der Pleite geendet. »Anfangs hatten wir in unserem Lokal zwei Jahre lang kaum Gäste. Bis zu dem Tag, als mitten in der Saison wirklich alle Lokale voll waren, und eine Familie langjähriger Inselbesucher zögerlich hereinspazierte.«
Damals hatte ihnen das Wasser bis zum Hals gestanden, die Bank begann die Geduld zu verlieren und hatte bereits mit einer Zwangsversteigerung gedroht. »Wir waren so knapp vor dem Untergang«, theatralisch presste er Zeigefinger und Daumen zusammen. Dann war diese Familie gekommen, hatten sich umgesehen und erstaunt festgestellt, dass es im »Seemannsgarn« hübsch und sauber war. Sie waren danach jeden Tag bei ihnen essen, mit immer mehr Freunden und Bekannten. Am Ende seines Urlaubs hatte der Vater dieser Familie zu Prell gesagt: »Wissen Sie, wir haben uns lange gar nicht herein getraut, weil wir beim Kaufmann die Geschichte von den toten Ratten in der Küche gehört hatten.« Er stellte Galinowski ein volles Glas auf den Tresen und schlug dann auf den Tisch.
»Ich fiel damals aus allen Wolken. Solche Lügen hatte mein alter Kumpel verbreitet, und da die Touristen immer zuerst beim Kaufmann landen, haben die einen großen Bogen um das ›Seemannsgarn‹ gemacht. Das hat sich dann aber schlagartig geändert«, erinnerte sich Prell.
Galinowski hatte fleißig mitstenografiert und fragte dann: »Wo waren Sie denn gestern Abend?«
Prell sah ihn ungläubig an: »Junger Mann, diese Ereignisse sind über 20 Jahre her, Sie wollen mich doch wohl nicht verdächtigen?«
Reine Routine, versicherte er, allerdings wäre der Sänger höchst verdächtig, wenn er nicht ausgerechnet an dem Abend bei der Feuerwehr das Rettungsboot repariert hätte. Trotzdem hatte er einen Knüller, dachte er und beeilte sich, um rechtzeitig zur Besprechung mit allen Kollegen im Leuchtturm zu kommen. Prell war vielleicht nicht der Einzige, den Peter Hein verleumdet hatte. Die anderen saßen schon im Ratssaal und waren mit ihren Computern beschäftigt, er war gespannt, wie sie auf seine Entdeckung reagieren würden. Doch in der Sitzung, die die Menkendorf kurz darauf anberaumte, kam er gar nicht mehr zu Wort.
Es war ausgerechnet diese Neue aus dem Osten, Mareike Schmidt, die ihm die Schau stahl. Denn die hatte eine Beschreibung des mutmaßlichen Mörders: »Ein durchtrainierter Typ in schwarzer Windjacke mit einem Pferdeschwanz und ausrasierten Schläfen und Nacken.« Zwei befreundete Paare, die abends am Deich entlang spaziert waren, hatten ihn auf den Friedhof der Namenlosen gehen sehen. Sie hatten ein Fernglas und Kameras dabei, da sie Vogelbeobachtungen machten, und ihn eindeutig identifiziert, als er den beleuchteten Mittelweg entlanggelaufen war. Sie hatte die Vernehmungen aufgenommen und spielte sie ihnen vor. Beide Paare waren sich vollkommen sicher, und sie hatten ihn zudem noch zufällig mit abgelichtet, als sie die dreiarmige Straßenlaterne mit dem Wappen Hamburgs fotografiert hatten, die am Anfang des Mittelwegs stand.
Der Mann, so folgerte die Menkendorf, musste Paul Conelly sein, den hatten sie beim Frühstück gesehen, und die Beschreibung passte sehr genau. Die Zeugen hatten ihn auf einem Handybild zudem erkannt. Er hatte alles abgestritten und dann gar nichts mehr gesagt, aber nach der Durchsuchung seines Zimmers im Leuchtturm waren sie überzeugt, den Richtigen gefunden zu haben. Ihm blieb ein Zweifel, das war einfach zu schnell gegangen. Aber er hatte ja sowieso nichts zu sagen. Und wenn die Menkendorf sich blamierte, konnte das nur gut für ihn sein.
Kapitel 11
Sie hatten ihm tatsächlich Handschellen angelegt. Mit den Händen auf dem Rücken war es mühsam, die ausgetretene Holztreppe am Turm hinabzugehen. Gegenüber dem gepflasterten Platz stand der Hubschrauber startbereit auf der Wiese. Paul hatte den tosenden Fluglärm gehört, als er noch beim Frühstück saß, und sich gefragt, ob es irgendeinen Notfall gab. Dann war alles ganz schnell gegangen.
Die von Menkendorf und ihr etwas kurz geratener Kollege, dessen Namen er vergessen hatte, standen vor ihm und hatten ihm erklärt, dass er festgenommen sei und nach Hamburg überstellt werde. Der Polizist half ihm, in den Hubschrauber einzusteigen, löste seine Handschellen, um ihn anzuschnallen, und fixierte ihn dann am Sitz. Ihm gegenüber nahm die Menkendorf Platz, an seiner Seite deren jüngere Kollegin.
Der Hubschrauber stieg senkrecht in die Höhe, bis er sich weit über der grünen Spitze des Turms befand, drehte einen Kreis in Richtung der nördlich gelegenen Vogelinseln Scharhörn und Nigehörn, die unter ihnen gelblich aus dem Wattenmeer ragten. Hunderte von Vögeln waren, von ihrer Ankunft aufgeschreckt, losgeflattert und flüchteten sich in einer beeindruckenden V-Formation in die Ferne. Der Pilot drehte über die grau-silbern glitzernde Landschaft in Richtung Festland ab. Paul sah hinab auf das Meer, das gerade begonnen hatte, sich zurückzuziehen, und die kleine grüne Erhebung mit dem roten Turm. Insel meiner Hoffnung – er lächelte bitter. Wie kurz hatte er vor dem Ziel gestanden, und nun?
Unter anderen Umständen hätte er den komfortablen und schnellen Transport in seine Heimatstadt durchaus geschätzt. Aber mit den Handschellen am Sitz fixiert war ein Helikopterflug nicht wirklich ein Vergnügen. Er sah zur Kommissarin gegenüber, die mit unbewegtem Gesicht in einem Aktenordner las. Die hatte sich in ihn als Verdächtigen Nummer 1 verbissen.
Sie hatte ihn mit nüchternem Magen schon vor dem Frühstück zur ersten Vernehmung gebeten und ihn später verhaftet, nachdem ihn mehrere Menschen durch die Tür hindurch angesehen und heftig genickt hatten. Offenbar hatten die ihn am Todesabend von Hein gesehen, er hatte daher auch nicht länger seine zwei Besuche auf dem Friedhof geleugnet. Sie wollte ihm jedoch nicht glauben, dass er Peter Hein bei seinem zweiten Grabungsversuch an dem Abend dort tot aufgefunden hatte.
Er musste an Störtebeker denken, der vor über 600 Jahren ebenso unfreiwillig die Reise nach Hamburg angetreten hatte. Das war zumindest eine der unzähligen Geschichten, die über den Piraten erzählt wurden. Einer der Überlieferungen zufolge soll der Anführer der Vitalienbrüder im April 1401 bei Helgoland seinen Verfolgern wortwörtlich ins Netz gegangen sein, nachdem ein Verräter flüssiges Blei in die Schiffssteuerung gegossen hatte und die Kogge danach manövrierunfähig war. Die Soldaten der Hanse hatten das Schiff geentert und ein Netz über den gefürchteten Kämpfer geworfen, um ihn so außer Gefecht zu setzen. Nach der Ergreifung hatten sie ihn im Keller des Neuwerker Turms eingesperrt, bevor er seine letzte Reise zur Hinrichtung auf dem Grasbrook in Hamburg antrat.
Wie gut, dass das Mittelalter vorüber war, so musste Paul zumindest nicht mit Ketten an den Füßen herumlaufen. Er fragte sich, ob er die U-Haft auch Margo zu verdanken hatte. Schließlich hatte die Pittbull-Frau sie auch in die Mangel genommen und war nicht gerade zimperlich, diese ehrgeizige Karrieristin. Wollte ihren adligen Namen wohl in Kürze durch den davorstehenden Dienstgrad Hauptkommissarin aufpolieren.
Er dachte wieder an Margo und bedauerte, dass er sich von der Insel entfernen musste. Sie war seine absolute Traumfrau. Er dachte an den tiefgründigen Blick ihrer blauen Augen und ihre seidigen langen Haare, die ihr wie ein glänzender Umhang über den Rücken fielen, an