Im Bauch des Wals. Annemarie Bauer

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Название Im Bauch des Wals
Автор произведения Annemarie Bauer
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783940112866



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die Mutter nun, sollte es doch auch schön haben als Kind, schöner als sie mit ihren Eltern, die sich ständig irgendwelche Sorgen machten. Jetzt ist B. eine Person geworden, die unbekümmert das tut, worauf sie Lust hat. Aber es ist auch wahr, dass sie keineswegs die Mutter dadurch kränken will. Sie ist nur anders geworden, als es A. ist. „Ich werde mit ihr eine Diskussion führen, einen Vertrag machen über die Küchenordnung in Ferienzeiten, so wie schon einer über das Ausgehen während der Schultage und am Wochenende an die Innenseite der Küchenschranktür geklebt ist.“

       Vom Paar zur Gruppe

      Die primäre soziale Verbindung bei Primaten ist das Paar – ursprünglich das Paar Mutter-Kind. Durch die lange, verletzliche Kindheit gibt es eine von starken Gefühlen getragene Beziehung zwischen dem kindlichen Organismus und einem vertrauten Erwachsenen, in der Regel der biologischen Mutter. Dieses Beziehungsmodell bleibt auch im Erwachsenen erhalten: Wie die oben beschriebene Szene zeigt, reagiert die Mutter mit durchaus kindlichen Gefühlen der Zurückweisung, der Kränkung, des Unverstandenseins. Indem sich die Mutter an ihre eigene kindliche Abhängigkeit und Angst erinnert, kann sie das Kind trösten und ihm über seine Krisen hinweghelfen. Auf diesem Weg wird das Selbstgefühl gesunder Menschen gefestigt: Sie fühlen sich in andere ein und bestätigen sie. Dadurch werden sie sicherer, dass ihnen Gleiches mit Gleichem vergolten wird.

      Eine weitere Qualität der Paarbeziehung ist die Spiegelung. Eine Paarbindung ist die symmetrischste Form des Kontaktes, die es gibt, und von allen symmetrischen Beziehungen ist die zum eigenen Spiegelbild am symmetrischsten. Das ist vor allem deshalb bedeutungsvoll, weil alles Fremde von uns mit primär gemischten Gefühlen betrachtet wird: Es weckt Neugier und Angst zugleich. Dabei ist die Neugier umso stärker, je vertrauter uns der Rest der Umgebung, und die Angst umso ausgeprägter, je weniger wir mit dem Rest der Umgebung vertraut sind; dann überfordern uns neue Reize sehr schnell. Wenn ein neues Spielzeug im vertrauten Kinderzimmer steht, weckt es Neugier; wenn wir im nächtlichen Wald ein merkwürdiges Geräusch hören, wollen wir es nicht erforschen, sondern fürchten uns.

      Die Beziehung zum eigenen Spiegelbild schafft Vertrauen in die Kontinuität des eigenen Ichs. Ähnlich beschaffen sind Beziehungen, die uns „spiegeln“, die wir zu Menschen aufbauen, von denen wir glauben, dass sie ganz genau so sind, wie wir sie uns wünschen, und sich so wenig verändern wie unser eigenes Spiegelbild. Vor allem für traumatisierte Menschen, die wenig Neugier entwickeln können und darauf angewiesen sind, dass sie ihre Umwelt kontrollieren, sind solche Selbst-Objekte sehr wichtig. Entsprechend groß ist ihre seelische Not, wenn sie feststellen müssen, dass sich eine solche Beziehung verändert.

      So wundern sich viele Frauen darüber, dass ihr Partner sie kaum zu registrieren scheint, wenn sie den Abend mit ihm zusammen verbringen. Er sieht fern, liest Zeitung, sagt kein Wort. Sobald sie aber Anstalten macht, die Wohnung zu verlassen, um eine gesprächigere Freundin zu besuchen oder ins Kino zu gehen, reagiert der Partner unerwartet heftig und fordert den gemütlichen Abend zu zweit ein. Hier wird der Selbstobjekt- und Spiegelcharakter einer Beziehung deutlich: Wichtig ist nicht die Interaktion – die ist schließlich mit unserem Spiegelbild ebenfalls nicht möglich – sondern die Präsenz.

      Diese Qualität des Spiegelbildes ist übrigens in der Volkssage fassbar. Demnach erkennt man menschenähnliche Unholde wie z. B. Vampire daran, dass sie in einem Spiegel kein Bild erzeugen. Vampire haben kein Spiegelbild und können daher auch nicht „spiegeln“, d. h. bestätigen, anerkennen.

       Das Dreieck

      Die Paarbeziehung ist im guten Fall die harmonischste, gleichgewichtigste, überschaubarste Beziehung. In ihr kann sich eine verletzte Psyche erholen, in ihr werden Möglichkeiten des Erlebens – auch der Erotik – freigesetzt, die sich in keiner anderen Konstellation derart entfalten. Sowohl aus der Einsamkeit heraus wie auch aus der Gruppe – etwa einer Schulklasse – heraus sehnen sich Menschen nach einem besten Freund, einem Seelenzwilling, einem Menschen, mit dem sie Erlebnisse teilen können. Nur eine so besetzte Beziehung bewahrt uns vor einem Gefühl der Einsamkeit, das nicht nur den Einzelgänger, sondern auch den Menschen in einer Clique oder in einem Betrieb befallen kann.

      Seelische Reife entsteht nicht dadurch, dass Menschen ihre früheren – etwa kindlichen – Merkmale völlig ablegen, sondern durch Umformungen, in denen die Psyche ähnlich ökonomisch vorgeht wie der ganze Organismus. Es ist in der Entwicklung der menschlichen Bewegungsfähigkeit ja auch nicht so, dass wir nicht mehr auf allen Vieren krabbeln können, wenn wir gehen gelernt haben. Die Ökonomie organischer Entwicklung sieht immer so aus, wie es der Denkmalspfleger gegen den Architekten durchzusetzen sucht: Es wird möglichst viel des bereits Vorhandenen erhalten; nur ganz selten wird ein System zerstört und aufgelöst, um ein anderes an seine Stelle zu setzen, viel öfter wird das vorhandene System erweitert, ergänzt, durch neue Funktionen bereichert, in welche die bisherigen harmonisch integriert werden.

      So sind in Familien und Gruppen in der Regel Zweier- und Dreierbeziehungen parallel möglich. Vater und Mutter haben ihre Ehe; das Kind hat eine Vaterbeziehung und eine Mutterbeziehung. Oft gibt es regelrechte Arbeitsteilungen – der Vater ist die Autorität in Schulfragen, die Mutter ist zuständig, wenn es Probleme mit den Freundinnen oder Freunden gibt.

      Alle Dreiecksbeziehungen sind gefährdet, sich in rivalisierende Zweierbeziehungen auflösen. So soll während Scheidungsauseinandersetzungen das Kind plötzlich entscheiden, ob ihm die Mutterbeziehung „wichtiger“ ist als die Vaterbeziehung.

      Das Hinzukommen eines Dritten in eine Zweierbeziehung ist so etwas wie eine Reifeprüfung. Das gilt vor allem für die Geburt eines Kindes, die gerade die modernen, hoch individualisierten Paare auf eine harte Probe stellt.

      Sie belastet fast immer die Fähigkeiten eines Paares, den gewohnten Austausch an Zärtlichkeit, Lust und Bestätigung aufrechtzuerhalten. Das Kind schreit Bedürfnisse unabweisbar hinaus, auf deren Befriedigung ein Erwachsener stumm zu warten pflegt und die er nicht einmal sich selbst eingesteht. Es liegt wie ein Magnet im Zimmer, der an sich reißt, was bisher zwischen den Erwachsenen hin und her floss.

      In jeder Liebesbeziehung begegnet der Mensch paradoxen Situationen, die der Mathematik des Rechts spotten. Die eigene Eifersucht ist quälend und schreit nach Rücksicht; die Eifersucht des anderen ist lästig und sollte verschwinden. Ich will gerne meinen Partner immer haben, wenn ich ihn brauche – aber weshalb belästigt er mich schon wieder mit seinen Ansprüchen? Ich bin schüchtern und ängstlich, ich würde so gerne erobert und verführt werden – wieso kapiert meine Partnerin nicht, was sie da tun müsste, andere Frauen erraten doch auch die Wünsche der Männer! Ich hätte gern einen Mann, der weiß was er will, und nicht einen Flunsch zieht, wenn ich nicht wieder die Initiative ergreife …

      Die Ursachen solcher Widersprüche liegen in dem instabilen Gemisch, aus dem die Liebe der Erwachsenen gemacht ist. Ihre Elemente sind unter anderem die Bindung des Kindes an die Eltern, die Lustquellen der Erotik und eine soziale Norm, die versucht, eine Kultur funktionsfähig zu erhalten und widersprüchliche Interessen auszugleichen. Aus diesen Elementen schafft die Liebe eine Synthese, wie ein Maler aus Pigmenten, Öl und Leinwand ein Bild, ein Kunstwerk eigener, unwiederholbarer Art erschafft.

      Die kindlichen Ansprüche an den idealisierten, den absolut vertrauenswürdigen Partner, der es verdient, dass zu ihm aufgeschaut wird (der Mann, derʼs wert ist, die Frau mit Klasse …) sind dabei viel schwerer zu erkennen und zu berücksichtigen als die sexuellen Wünsche. Sie haben auch eine schlechtere Presse, sie werden nicht als das gehandelt, was sie sind – Emotionen, Affekte, Leidenschaften, Irrationales, sondern als Normen, als Verhalten, das sich entweder gehört oder ungehörig ist. Aber die winzigen Kleinigkeiten, aus denen wütende Beziehungskämpfe erwachsen, verraten die hochgespannte Idealisierung einer Beziehung, die wie ein Luftballon bereits durch den winzigsten Defekt ihre Form verlieren kann.

      Ein hilfreicher Begriff ist hier die „Grundstörung“, ein von Michael Balint geprägter Ausdruck. Wenn Menschen während ihrer eigenen, frühen Kindheit nicht ausreichend „gespiegelt“, d. h. einfühlend