Название | Im Bauch des Wals |
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Автор произведения | Annemarie Bauer |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940112866 |
Führungsfrauen: die Konstruktion des Geschlechts
Was kann das Habitus-Konzept für die Beratung von hochqualifizierten Frauen ermöglichen?
Habitusorientierte Beratung – am Beispiel von hochqualifizierten Frauen in Organisationen
Das Aufdecken von Widersprüchen
Die Gefahr der totalen Anpassung oder gar Dissoziation
Wissen um die institutionelle Abwehr
Wie kann man einen eigenen Habitus entwickeln?
Sichtbarmachung der eigenen Bildungsbiografie
Vorwort zur dritten Auflage
Dieses Buch ist aus einer langen Zusammenarbeit zwischen einer sozialwissenschaftlich und pädagogisch ausgebildeten Hochschullehrerin mit intensivem Interesse an Psychoanalyse und einem Psychoanalytiker mit intensivem Interesse an Organisationen und Institutionen entstanden. Unsere erste Absicht war, gegen das Desinteresse anzukämpfen, das sozial engagierte Helfer nicht selten überfällt, wenn sie sich mit den Strukturen beschäftigen sollen, in denen sie arbeiten. Der Titel spiegelt die damit verbundenen Ohnmachtsgefühle.
Seither hat sich der Umfang fast verdoppelt; 2019 sind noch einmal Aufsätze über spezielle Fragen, neue Konzepte sowie eine neue Autorin hinzugekommen. Ein Teil der neuen Konzepte wurde in dem Masterstudiengang Supervision und Beratung der Universität Bielefeld erprobt und entwickelt.
München, im Januar 2019
Wolfgang Schmidbauer
Einleitung
Wie werden aus den vielen, hoch motivierten und gut ausgebildeten Anfängerinnen und Anfängern in der Praxis der sozialen Berufe so schnell resignierte, freizeitorientierte, von Erschöpfung gezeichnete Arbeitskräfte?
Wer als Organisationsberater und Supervisor Gelegenheit hat, sich mit solchen Motivationsverlusten im Praxisschock auseinander zu setzen, begegnet immer wieder einer umfassenden Ahnungslosigkeit und einem tiefen Desinteresse für die Strukturen, in denen Sozialberufler tätig sind. Sie haben gewissermaßen einen Beruf erlernt, ohne zu wissen, was ein Beruf ist. Sie sind in soziale Einrichtungen eingetreten, werden von diesen bezahlt, können sich in ihnen entwickeln oder an ihnen scheitern. Aber sie wissen nicht und es scheint sie zunächst auch nicht zu interessieren, was eine Hierarchie ist, warum es Machtunterschiede gibt und wie es möglich wird, mit ihnen konstruktiv umzugehen.
Unersetzliche Anregungen hat uns allen die langjährige, zum Teil gemeinsame Arbeit in Balintgruppen für Supervisoren gegeben. Wir haben immer wieder mit einer interessierten und vielseitig gebildeten Gruppe von Beratern die Hintergründe aufzeigen können, warum eine Einrichtung so ist, wie sie ist. Wir haben uns damit beschäftigt, ob das jähe Ansteigen der Ausreißerquote in einem Kinderheim mit dem „geheimen“ sexuellen Verhältnis zwischen dem Chef und der Hauswirtschaftsleiterin zusammenhängt. Wir haben uns gefragt, ob es eine billige Metapher oder ein Spiegelphänomen ist, wenn es in Kindergärten so kindisch zugeht oder eine Stationsleiterin nicht weiß, ob sie die alkoholkranke Mitarbeiterin pflegen oder führen soll. Wir haben über die Rolle der Laientheologen in der katholischen und über die der Diakone in der evangelischen Kirche nachgedacht und herauszufinden versucht, welches Gesicht das Peters-Prinzip1 in sozialen Einrichtungen hat.
Mit dem vorliegenden Text wollen wir vor allem jene Menschen, die keine Gelegenheit für ein Soziologiestudium oder eine Supervisionsausbildung haben, dafür gewinnen, sich für Institutionen zu interessieren. Es ist jammerschade, wenn kluge und neugierige Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Sozialpädagoginnen die Lust an der Arbeit verlieren, weil sie das Sozio-Chinesisch, mit dem ihnen während ihrer Ausbildung die sozialen Strukturen deutlich gemacht wurden, ebenso schnell vergessen wie sie es widerwillig erlernt haben,. Wir alle leben in diesen Strukturen wie der Schiffbrüchige im Bauch des Wals. Wir können ihnen nicht entkommen, aber wir können uns in ihnen orientieren, und auf diese Weise viele schmerzhafte Zusammenstöße und vergebliche Bemühungen vermeiden. Damit trägt dieses Wissen zum Ideal professioneller Arbeit bei: mit möglichst wenig Aufwand möglich viel zu erreichen.
Wer sich dafür entscheiden kann, eine entmutigende, nach seinem ersten Gefühl unerträgliche Arbeitssituation zu erforschen, hat eine Chance für seine Entwicklung gewonnen. Anstöße für eine solche Forschung bietet immer die Geschichte der Widerstände und Unzuträglichkeiten, denen wir in Institutionen begegnen, mit denen wir zu tun haben.
Wer sich beispielsweise klargemacht hat, dass die medizinische Ausbildung an der Leiche beginnt und die Kontrolle über „weiche“ Gefühle und Spontaneität traumatisch erzwungen wird, kann anders mit Ärzten umgehen. Wer sich mit der Geschichte einer Bruderschaft, eines Ordens beschäftigt und sich nicht scheut, im Lexikon oder im Internet über die Namen und Gedanken charismatischer Gründer nachzuforschen, wird erheblich besser verstehen, warum sich seine Vorgesetzten (und deren Senioren, Oberinnen, Äbte oder Generale) so verhalten, wie sie es tun. Kenne ich die Legende des Heiligen, nach dem unser Krankenhaus benannt ist? Weiß ich, wie unsere Beratungsstelle finanziert wird? Entscheiden wir in unserem Team demokratisch, oder schieben wir alle Probleme über die wir uns nicht einigen können auf die lange Bank, weil es doch besser ist, alle zu frustrieren als eine auszugrenzen? Dürfen wir nicht über ein Problem reden, weil nicht alle Beteiligten anwesend sind, oder ist das ein Ausweichmanöver, das in einer professionellen Arbeit nichts zu suchen hat? Sind Erzieherinnen dazu da, Kinder glücklich und zufrieden zu machen, und Psychologen, Antworten zu finden? Warum gelingt das manchmal nicht und was muss dann getan werden? Ist die betagte Frau, die nachts nicht schlafen kann, ein pflegerisches Problem? Oder ein medizinisches, das der Neurologe mit einem Medikament löst?
1Nach diesem Prinzip wird jeder Mitarbeiter in einer Hierarchie so lange befördert, bis er die Stelle seiner maximalen Inkompetenz erreicht hat; dann steigt er nicht weiter auf.
Teil I
Biologische und psychologische Grundlagen
Wolfgang Schmidbauer
Zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit
Zu den Widersprüchen des menschlichen Erlebens gehört, dass wir uns zwar als Einzelne erleben, aber gleichzeitig ohne ein Gegenüber nicht lebensfähig sind. Wie radikal das gilt, zeigt das grausame Experiment des Staufer-Kaisers Friedrich II, der herausfinden wollte, ob die menschliche „Ursprache“ die Sprache der Bibel, die der Römer, die der Araber oder aber eine ganz unbekannt Sprache sei. Aus diesem Grund ließ er Waisenkinder von Ammen aufziehen, denen strikt verboten wurde, die kleinen Wesen anzusprechen, sich mit ihnen durch irgendein Wort, ja selbst eine Geste zu verständigen. Der Chronist berichtet, dass die Ursprache