900 MINUTEN. S. Johnathan Davis

Читать онлайн.
Название 900 MINUTEN
Автор произведения S. Johnathan Davis
Жанр Языкознание
Серия 900
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958350557



Скачать книгу

stand mir wohl ins Gesicht geschrieben. Kyle musste die Frage gar nicht erst stellen.

      Er trat in die Mitte des Raums und erklärte: »John und ich brechen auf, um Medikamente für seinen Sohn zu finden.« Er sagte dies, während er mir direkt in die Augen sah. Die Art, wie er es sagte, gab mir das Gefühl, dass wir tatsächlich in der Lage sein würden, das durchzuziehen. Schließlich mussten wir es, oder mein Sohn würde sterben.

      »Wir werden uns anziehen und an der Oberfläche treffen«, sagte Kyle. »Wir brechen in einer Stunde vor den Toren auf. Wir werden sofort alles vorbereiten müssen.« Er blickte sich im Raum um und fragte dann: »Wer kommt mit uns?«

      Kapitel 5

       Du wirst doch wohl nicht zum Hippie, oder?

      

      Nachdem ich von Tyler und Deanna Abschied genommen hatte, stieg ich eine Treppe hoch, die zu einem Teil des Feldes über dem Bunker führte. Dieses war befestigt und von einer Reihe großer Zementmauern umgeben. Ich ging zu meinem guten Freund. Dem einzigen Mann, dem ich vertrauen konnte. Er trug eine Sonnenbrille, hinter der sich seine Augen verbargen. Kyle hatte seinen Kopf zur Sonne geneigt. Seine Ausrüstung war in der Nähe aufgestapelt und er nutzte den Moment der Ruhe, um die Zeit im Freien zu genießen, atmete tief durch und zog die frische Luft in seine Lunge. Ich dachte nicht, dass er bemerkte, wie ich neben ihn trat.

      »Es gibt nichts Schöneres, als unter freiem Himmel zu sein«, sagte er, während er ausatmete.

      Ich sah hoch und beobachtete, wie eine Reihe Wolken träge über den herrlich blauen Himmel schwebten. Es gab Momente, in denen man fast vergessen konnte, wo wir waren und was passiert war. Die Wolken scherten sich einen Dreck darum, ob Menschen oder Zis die Landschaft durchstreiften. Sie bewegten sich einfach weiter. Es war derselbe Himmel, den die Dinosaurier betrachtet hatten und er würde, lange, nachdem die Menschen ausgestorben waren, noch immer der gleiche sein. Ich fand Trost darin, dass sich in den sieben Monaten nicht alles verändert hatte, seitdem die Toten anfingen … na ja, nicht tot zu bleiben.

      »Du hast einen kleinen Lagerkoller bekommen, oder?«, fragte ich, während ich einen Blick auf Kyle warf.

      »Ich wäre vollkommen glücklich, wenn ich hier draußen ein Zelt aufschlage und nie wieder nach unten in diese Katakomben gehe«, antwortete er und betonte Katakomben, während er auf seine schwarzen, verrußten Hände hinabsah.

      »Du wirst doch wohl nicht zum Hippie, oder?«

      Er sah mich mit ernstem Gesicht an und sagte: »Ich weiß nicht. Du wirst doch wohl nicht zum Wookie, oder?«

      Ich strich mit der Hand über den Bart, den ich seit Wochen nicht abrasiert hatte, lächelte und antwortete: »Touché …«

      Langsam ließ ich meinen Blick über den Hof schweifen und sah Menschen herumwuseln und sich bereit machen. Es war jedes Mal eine große Sache, wenn wir Avalon betraten oder verließen, und es brauchte seine Zeit, um alles vorzubereiten. Dennoch ertappte ich mich dabei, wie ich unruhig mit dem Fuß auf den Boden stampfte. Ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass wir nicht schnell genug waren.

      Ich drängte ihn und fragte nach der Zeit, wohl wissend, wie die Antwort lauten würde. Ohne das Gesicht von der Sonne abzuwenden, hob Kyle sein Handgelenk auf Höhe meines Gesichts. Eine verrostete, vergoldete Uhr mit einer zerkratzten Front schob sich vor meine Augen. Ich warf kaum einen Blick auf die Uhr, die langsam vor sich hintickte, und murmelte »Shit« vor mich hin. »Wir verlieren bereits Tageslicht.«

      Kyle blieb gelassen und versuchte, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich kannte ihn gut genug, um zu verstehen, dass er Zeit brauchte, um sich mental vorzubereiten, bevor er nach draußen vor die Mauern Avalons ging.

      Das war seine Art, an die Dinge heranzugehen, und bedeutete in keiner Weise, dass er sich der Dringlichkeit nicht voll und ganz bewusst war.

      Der Hof, wie wir das Land nannten, das wir von der Außenwelt abgeschnitten hatten, war unser kleines Stück Sicherheit hier draußen. Wir hatten einige Gärten, in denen wir saisonales Gemüse anbauten, eine Autowerkstatt, wo wir die meisten Fahrzeugreparaturen vornahmen und einen Parkplatz voller Trucks und Pick-ups mit Allradantrieb. Die Gruppe verwendete sie für Aufklärungsfahrten und zum Plündern außerhalb der Mauern. Wir hatten sogar eine feste Treibstoffversorgung. In der Nähe der Autowerkstatt lagerten Fässer voller Benzin. Diese hatten wir von nahegelegenen Tankstellen eingesammelt.

      Der leuchtend gelbe Hummer, den wir uns in New York angeeignet hatten, ragte wie ein bunter Hund heraus. Mit diesem Vehikel waren wir vor so vielen Monaten nach Avalon gereist. Jetzt war er repariert. In meinem Herzen gab es einen besonderen Platz für dieses Fahrzeug. Wir hatten viel zusammen durchgemacht. Genau wie mit meinem Hammer.

      Ich sah zum Himmel hoch und kam nicht umhin, die Wachtürme, die beidseits des Hofs errichtet worden waren, zu bemerken. Sie hatten Suchscheinwerfer und einige schwer bewaffnete Männer patrouillierten auf dem Plateau. Männer, die dafür verantwortlich waren, die Gegend um uns herum zu überwachen. Sie schützten, was wir geschaffen hatten, und behielten die hart arbeitenden Menschen stets im Auge; all jene, die sich hinter einer Vision von einer sicheren Gesellschaft in einer Welt der Toten zusammenscharten.

      Ich wurde auf einen jungen Mann aufmerksam. Er zog Karotten aus der dunklen Erde im Garten und gab sie an ein paar Kinder weiter. Diese wiederum reichten sie weiter, bis sie in unserem Lebensmittellager landeten. Wir hatten einen Weg der Zusammenarbeit gefunden. Eine Möglichkeit, das Beste aus der Hand herauszuholen, die uns gereicht worden war. Alle waren es wert, beschützt zu werden. Jeder Einzelne von uns.

      »Sei besser vorsichtig«, sagte Kyle mit strenger Stimme.

      »Weswegen?«

      Für einen Moment hielt er inne, aber er lehnte sich immer noch zurück und starrte zum Himmel. Dann sagte er: »Du möchtest doch keinen sonnengebräunten Bart haben.«

      Während er so vor sich hin kicherte, konnte ich auch nicht anders. Ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Er war sichtlich darum bemüht, mich zu beruhigen. Im Moment brauchte ich das aber auch.

      »Worüber lacht ihr zwei Schwachköpfe denn?«, fragte Mr. Rodgers, als er sich uns von hinten näherte. Er war bereits draußen gewesen, um nach seinen ›kleinen Haustieren‹ zu sehen, wie er sie nannte. Ansonsten bekannt als die ›Kreaturen im Schuppen des Todes‹.

      Keiner von uns antwortete. Wir wollten ihn nicht in unseren Witz einweihen.

      »Gut, es ist mir sowieso scheißegal«, schnaubte er schließlich. Dann zog er einen Hebel an seiner Waffe und sah sich den Lauf an.

      Rodgers war monatelang durch die Gegend gereist, bevor er dann in Avalon gelandet war. Draußen hatte er viele Grausamkeiten gesehen und Geschichten erlebt, von denen wir die meiste Zeit nur die Hälfte glaubten. Er sprach oft über seine gewagte Flucht. Wie er durch eine Reihe von Bäumen geklettert war, wie er sich über einer Gruppe befand und wie er sich in der Innenstadt in einer Dachrinne versteckt hatte. Er hatte das alles getan … oder zumindest sagte er das.

      Egal wie man es betrachtete, er war ein harter Bastard. Er hatte so lange auf sich allein gestellt überlebt, und wir respektierten ihn dafür.

      Wir hatten ihn bei einer Plünderung getroffen. Als wir ihn fanden, war er halb betrunken und saß auf dem Dach eines Supermarkts. Als wir ihn zum ersten Mal sahen, hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, leere Bierflaschen auf die Kreaturen unten zu werfen. Ich hörte, wie er die Nummer siebzehn ausrief, als wir ihn fanden. Siebzehn war die Zahl der Zis, die er am Kopf getroffen hatte.

      Trotz seiner Probleme hatten wir dennoch verdammtes Glück, ihn bei uns zu haben. Er, Kyle und ich hatten diese Ausflüge seit Monaten zusammen gemacht und er war eindeutig eine Bereicherung für das Team. Wie dicke Hornhaut an abgenutzten Händen ist uns der verrückte Bastard mit der Zeit ans Herz gewachsen. Er bildete eine solide Schutzschicht, der wir immer mehr vertrauten. Rodgers sah wieder von seiner Waffe auf und fragte: »Sind es nur wir drei?«