900 MINUTEN. S. Johnathan Davis

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Название 900 MINUTEN
Автор произведения S. Johnathan Davis
Жанр Языкознание
Серия 900
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958350557



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werden wir den Hof frei machen müssen«, sagte Kyle, als er oben ankam.

      Ich holte auf, spähte über die Mauer und hielt Ausschau nach den Untoten, die sich übereinanderstapelten.

      »Wow. Kein Scheiß! Wir hätten das echt letzte Woche aufräumen sollen«, antwortete ich und legte meine Hände auf den Beton.

      Während ich die ganzen Leiber begutachtete, die sich auf und ab bewegten, erregte eine Kreatur meine Aufmerksamkeit. Diese trug ein graues T-Shirt, auf dem mit markanter Schrift stand:

      

       Warnung: Wenn Zombies uns verfolgen, dann bring ich dich zum Stolpern.

      

      Ich erinnere mich daran, wie verrückt wir alle waren, bevor die Welt sich in einen Scheißhaufen verwandelt hatte. Ich habe gesehen, wie Menschen etwas wie: Ich kann die Zombie-Apokalypse kaum erwarten, oder: Ich wünschte, ich wäre ein Zombie auf Twitter gepostet hatten. Ich schätze, der Wunsch vieler von ihnen hat sich erfüllt …

      Wir hatten Hunderte von Filmen, Blogs, Hörspielen und Büchern. Wir hatten sie alle so sehr geliebt. Das hieß, bis zu dem Tag, an dem der erste Zombie aufstand und jemandem ein Stück Fleisch aus dem Hals riss. Es war ironisch, wenn man bedachte, dass der Zombie gewissermaßen berühmt war. Natürlich kein spezieller Zombie. Nur die Vorstellung eines Zombies. Kinder würden mit ausgestreckten Armen umherlaufen und um »Gehiiiiirrrne« betteln. Verdammt, es war so weit gekommen, dass die Zombies, die in der Nacht zu Halloween über die Straßen wandelten, Zeh an Zeh mit Typen wie Dracula, den Avengers und den verfluchten Transformers abhingen …

      Es war lustig, wie das funktionierte. Wie etwas so schnell so groß wurde. Bevor es die Massenmedien gab, brauchte man viel mehr, um die Menschen für eine Sache zu gewinnen.

      »Wir werden die Sirene benutzen, um hier rauszukommen«, sagte Kyle, während er sich wieder der Leiter zuwandte.

      »So müsste es gehen«, sagte ich und nickte zustimmend.

      Bevor ich mich umdrehte, um ihm die Leiter hinunter zu folgen, sah ich mich ein letztes Mal flüchtig um. Ich blickte auf das Gras unterhalb, das vom Feld zu uns hoch winkte. Es war groß geworden … zu groß. Es war nicht abzusehen, wie viele Kriecher da draußen waren, herumschlichen und im Verborgenen lauerten. Nicht die Kreaturen, die man sehen konnte, beunruhigten mich … es waren diejenigen, die man nicht sah. Es sind die trickreichen Bastarde, die dich kriegen.

      Unser vierköpfiges Team sprang in den gelben Hummer, während ein anderes Vier-Mann-Team sich in einen Pick-up hievte, der mit einem großkalibrigen Maschinengewehr ausgestattet war, das auf die Ladefläche angeschraubt war. Die Waffe war als Schutz gegen die Lebenden prima, aber nicht annähernd so nützlich gegen die Toten. Selbst die fähigsten Schützen fanden es schwer, präzise zu zielen. Mit dem Ding war es fast unmöglich, das Gehirn zu treffen.

      In der Fahrerkabine des Pick-ups saßen drei Männer. Sie waren alle Spanier und kaum eins-fünfundsechzig groß. Sie waren Brüder, und ich konnte kein verdammtes Wort von dem verstehen, was sie sagten. Jeder von ihnen trug ein Schwert, das in einer schwarzen Scheide über ihrer Brust steckte. Ich hatte gesehen, wie sie mit diesen Messerchen mehr Kreaturen ausschalteten, als es irgendein anderer Mann mit einem vollautomatischen Maschinengewehr schaffte.

      Die drei Amigos wurden von einem Typen begleitet, der den besten Vokuhila-Haarschnitt trug, den ich jemals in meinem Leben gesehen hatte. Das Haar wehte im Wind über seinen Schultern, während ihm die Truckerkappe den Pony aus den Augen hielt. Auf der rechten Seite der Unterlippe schien er eine dauerhafte Markierung zu haben; dort, wo er den Großteil seines Lebens damit verbracht hatte, eine Handvoll Tabak zu verstecken. Er bemannte den Geschützturm auf der Ladefläche und schien eindeutig der richtige Mann für diesen Job. Im Irak war er Schütze in einem dieser gepanzerten Hummer gewesen. Ich hatte gehört, wie Kyle einmal von ihm als Whiskey Tango gesprochen hatte. Als ich ihn danach fragte, sagte er mir, es sei ein Militärcode für W.T. oder White Trash, was so viel bedeutete wie Weißer Abschaum.

      Kyle ließ einen Arm aus der Beifahrertür hängen und gab dem Späher auf der Betonmauer ein Zeichen. Dieser wiederum ging zu einem kleinen, grauen Kasten herüber, der an den Beton geschraubt war. Er hob die Abdeckung und enthüllte einen roten Knopf. Dann ließ er eine Hand über dem Knopf schweben, bevor er über die Schulter wieder zu Kyle sah.

      Mit feuchten Händen packte ich das Lenkrad. Mein Blick fiel direkt auf den metallverstärkten Schulbus, der als Tor nach Avalon diente. Ich erhob mich in meinem Sitz und zwang mich, tief einzuatmen. Meine Brust war wie zugeschnürt und meine Gedanken kreisten nur um Tyler. Das würden wir alles für ihn tun, und ich wusste, dass ich für uns beide stark sein musste. Alle verließen sich darauf.

      Eine laute Sirene, die an einem Baum an der hinteren linken Ecke des Feldes außerhalb der Mauern angebracht worden war, zerriss die Stille, als der Scout auf den Knopf drückte. Die Zis liebten Lärm. Das war ein Trick, den wir schon viele Male zuvor angewendet hatten. Die Sirene würde die Toten von unseren Mauern weg und zur anderen Seite des Feldes locken. Sobald der Platz sauber war – oder so sauber, wie wir ihn bekommen konnten –, würden wir durch das Tor fahren.

      Eine Bewegung im Wachturm erregte meine Aufmerksamkeit. Ein Mann, der ein langes Scharfschützengewehr hielt, lehnte sich nach vorne und machte sich bereit, Gott zu spielen. Er würde von oben aus alles beobachten und entscheiden, was lebte und was starb.

      Beim Blick in den Rückspiegel konnte ich die drei Amigos erkennen. Der im Fahrersitz hob den Arm, streckte zwei Finger aus und schüttelte sie in Richtung Tor vor und zurück. Sie signalisierten damit, dass sie bereit waren.

      Eine geräuschlose Stille legte sich innerhalb der Mauern auf Avalon, während der Fahrer des Busses, ein älterer Mann mit einem langen, weißen Pferdeschwanz, uns ein Daumenhoch gab. Mir war er nur als Mr. Gate bekannt. Ich hatte mich nie richtig mit dem Mann unterhalten. Obwohl ich unzählige Male ein Daumenhoch bekommen hatte, war dieses hier anders. Sein Daumen war nämlich der einzige Finger, den er an dieser Hand noch hatte. Der Rest war bei irgendeinem Unfall weggerissen worden. Es war, als ob er den Blick auf unseren Gesichtern genoss, während er das verdammte Ding entblößte. Vielleicht der kranke Sinn von Humor eines alten Mannes. Vielleicht nutze er aber auch einfach nur das, was er noch zur Verfügung hatte. Mir drehte sich der Magen um.

      Der Bus fuhr an. Der Motor heulte etwas lauter auf, als es uns allen lieb gewesen wäre, als er ihn in Gang brachte. Dadurch enthüllte er die äußere Seite des Geländes. Mit weißen Knöcheln packte ich das Lenkrad. Zögerlich nahm ich den Fuß von der Bremse und fuhr durch den engen Ausgang. Trotz des Sirenenlärms konnte ich meinen eigenen Herzschlag hören, während unsere Begleiter hinter uns rauszogen und Mr. Gate schnell den Rückwärtsgang einlegte. So verschloss er den einzigen wirklichen Eingang nach Avalon.

      Wir waren offiziell abgeschnitten.

      Mein Blick schweifte zur Horde der Toten, die die Rinde des Baums zerkratzten, von dem die Sirene schrillte. Ich trat aufs Gaspedal und fuhr durch das lange, wehende Gras vor uns. Trotz des Dröhnens des Motors konnte ich hören, wie die trockenen Grashalme knisterten, als sie von den Reifen zerdrückt wurden. Sie waren trocken, da es in den letzten Wochen nicht geregnet hatte. Ich versuchte, durch das grüne Gestrüpp zu schauen, und hielt Ausschau nach Kreaturen, die in dieser perfekten Tarnung lauerten.

      Ein kaputtes Auto, das in die Luft gesprengt worden war, ruhte leblos am Rande des Feldes. Ich riss meinen Blick vom Gras los und steuerte auf das Auto zu. Weniger als einen Monat zuvor waren wir gezwungen gewesen, es mit Einschusslöchern zu versehen. Eine kleine Gruppe von, sagen wir einfach, unfreundlichen Menschen hatte beschlossen, Avalon anzugreifen, weil wir sie nicht hineinlassen wollten. Es war immer schwierig zu sagen, wer da draußen Freund und wer Feind war.

      Der Gedanke, dass immer noch Menschen gegen Menschen kämpften, war für mich irgendwie seltsam. Es waren nicht genug von uns übrig, um uns gegenseitig zu töten. Der wirkliche Feind hatte keinen Herzschlag. Zum Glück war ich in der Lage, an der Vorstellung festzuhalten, die Jarvis uns vermittelt hatte: Das Leben zu schützen, und wenn möglich, Konflikte zu vermeiden.