war das egal, denn er war sowieso ein toter Mann und Chia jetzt vielleicht auch. Franks Zähne vibrierten, und er hörte ein vernichtendes Knirschen, als der Little One den Van zertrat. Er drehte sich wieder zu ihm um. »Chia, Mann, nun lauf schon.« »Um Gottes willen, nein! Bist du irre?« Der Alte rüttelte so kräftig an Franks Schulter, dass dieser dachte, sein Arm werde gleich abfallen. »Es ist noch nicht aus, los Bewegung!« In diesem Moment schien der Little One Frank genau anzuschauen, denn sein emotionsloses, rotes Vogelauge wurde mitten in der Drehung starr. Irgendwo in dieser Kugel, einem Meer aus Karmin, machte Frank eine scharfe, kleine Pupille aus. Diese verschwand rasch wieder, und der offene Schnabel des Monsters sauste auf ihn herab. Genauso, wie damals in dem einen Traum, dachte Frank und gab sich zufrieden damit, dass dies sein letzter Gedanke sein würde. Erneut ertönte ein Donnergrollen, dieses Mal viel näher; ein ratterndes Maschinengewehr spottete seiner, doch der Little One avancierte mit seinem Gebrüll, mühelos zum Sieger dieses Wettstreits, als faserige Fetzen aus seinem offenen Schlund flogen. Quebra! Er vergeudete kostbare Munition, um Frank zu retten. Zeichen und Wunder … Frank lief wieder los. Der Little One machte einen Satz nach vorne, so dicht an Chia und Frank vorbei, die beide durch die Urgewalt seiner Schritte niedergeworfen wurden, während er auf der Suche nach dem Schützen mit dem AR-15 eine Reihe von Fahrzeugen plättete. Frank drückte sich vom Straßenbelag hoch, richtete sich auf und streckte dann seinen Schussarm aus, um auf den Rücken des Riesen zu feuern, doch Chia schlug die Pistole hastig herunter. »Quebra lockt ihn von uns weg! Lass ihn!« Der Little One ignorierte tatsächlich sogar Autumn und Caitlin, die sich nunmehr darauf geeinigt hatten, die Flucht zu ergreifen, und am zerstörten Eingang des Krankenhauses angelangt waren. Die anderen mussten schon drinnen sein. Frank hoffte, dass niemand zu Brei in den Asphalt gestampft worden war. Die Krater, welche der Little One hinterließ, waren so breit wie Kleinbusse, und zerquetschte Leiber würde man darin nicht einmal erkennen können. Während das Beben noch andauerte, hatten Franks Knochenschmerzen nachgelassen. Der Little One war nun hinter dem Krankenhaus. Quebra hatte gesagt, er würde das Gebäude direkt nebenan auskundschaften, folglich musste er auf dem Dach sein. Dass er den Rachen des Monsters aus dieser Entfernung hatte treffen können, konnte er kaum glauben. Vielleicht war sein Gewehr modifiziert, aber Frank kannte sich mit Waffen nicht wirklich aus; gut möglich, dass Quebra ganz einfach ein richtiger Held war. So oder so, jetzt war er der Gelackmeierte. Frank sah die Silhouette des Soldaten nun auf dem Dach und konnte die andauernden Schüsse hören. Der Little One würde ihn wegklatschen wie ein Insekt. Frank hatte nicht bezeugt, wie Quebras Waffenbruder Kotz den Gnadentod gestorben war, und sich auch geweigert, bei der notwendigen Amputation des Fußes des Verletzten zu helfen. Als Chias Familie von einer einstürzenden Wand erschlagen worden war, hatte es wenig zu sehen gegeben, kurz bevor Frank von Staub und niederprasselnden Trümmern geblendet worden war. Jetzt aber würde er miterleben, wie Quebra von diesem niedrigen Dach geschmettert wurde, und dies zu sehen verdiente er auch, weil es schließlich seine Schuld war. Frank stand mitten auf der Straße, ohne sich zu rühren, und beobachtete das Ganze in einer Art qualvoller Ohnmacht. Auf einmal rannte von gegenüber Mills auf die Fahrbahn – also von Franks Seite der Straße aus auf gleicher Höhe wie das Parkhaus – und warf etwas auf die Beine des Little Ones, das so dick wie ein Laib Brot war. Als es einen Moment später blitzte, nahm Frank an, Sonnenstrahlen brächen sich an dem Riesen, doch das konnte nicht sein, zumal der Himmel mittlerweile dunkelgrau war. Das Gewitter hatte die Stadt erreicht, und dementsprechend hielt Frank den Knall, der sich dem Gleißen anschloss, für einen Donnerschlag. Diese beiden Irrtümer huschten innerhalb einer Sekunde durch seinen Kopf, bevor ein anderer, geistesgegenwärtigerer Teil seines Verstandes erkannte: Das ist eine Bombe! Der Little One kreischte so laut, dass es die Luft zerfetzte. Er trat, nein er torkelte eher, zur Seite und starrte auf den Feuerball an seinem Schenkel. Dann erblickte er Mills. Sie schrie – Gott, hatte sie das je getan? –, sie blieb einfach dastehen und schrie. Vor blankem Entsetzen oder eher aus blankem Trotz? Frank wusste es nicht, aber er vollzog nun mit, dass der Little One nicht lange fackelte, sondern mit einer fürchterlichen Pranke nach unten langte und die Frau so fest drückte, bis sie einfach platzte. Chia zerrte ihn daraufhin auf das Parkhaus zu, von dessen Dach aus Mills die Gruppe zuvor provoziert hatte. Kurz sah Frank Quebra, aber dann versperrten ihm die Betonwände wieder die Sicht. Der Soldat seilte sich gerade von der Seite des Gebäudes ab, das zwar niedrig war, aber dennoch mehrere Stockwerke hoch. So Gott wollte, erreichte er den Boden, bevor der Little One wieder an ihn dachte und sich von der entleibten Frau abwenden würden, die ihm einen Sprengkörper gegen die Beine geworfen hatte. War es eine selbst gebastelte Bombe gewesen? Ob Mills so etwas hinbekommen hätte? Wer weiß? Sie war ihnen letztendlich völlig fremd gewesen, eine Lügnerin und Psychopathin, also könnte sie den Brandsatz eventuell auch für die Gruppe vorgesehen, ihn aber dann doch gegen den Giganten eingesetzt haben. Sie war verrückt, oder sie hatte es eingesehen und so versucht, sich reinzuwaschen. Jetzt ist sie tot; du hast gesehen, wie ihr Kopf über seiner Faust hochgeflogen ist. Hör auf, zu viel nachzudenken, Frank. Brüten ist etwas für Schreiber und Träumer, aber die haben in dieser Welt keine Chance mehr. Sie waren nun im Erdgeschoss des leeren Parkhauses angekommen, und die Decke erzitterte, als der Little One sein Getrampel fortsetzte. Betonstahl, der aus diesem und jenem Loch im Gebäude ragte, geriet in Schwingung und summte dabei wie ein Schwarm zorniger Hornissen. Chia führte Frank in die dunkelste und am schwierigsten zugängliche Ecke und dort kauerten beide nieder. Von dort zu entkommen würde letztendlich wahrscheinlich genauso misslich sein. Frank fiel ein, dass er unbedingt wieder Luft holen musste. Die Erkenntnis des Ganzen machte die Tätigkeit selbst allerdings kein bisschen einfacher. Er hatte mittlerweile das Gefühl, seine Brust klemme in einem Schraubstock. Durch die offene Einfahrt sahen sie den Fuß des Little Ones. Er war verrußt und, wie Frank dachte, vielleicht sogar gerissen, aber die Bombe hatte eigentlich viel weiter oben am Bein gezündet. Eine Wunschvorstellung, alter Junge und zu viel Nachdenken. »Gib doch endlich Ruhe!«, murmelte Frank. Chia sah ihn verdutzt an. »Mein Gehirn«, fügte Frank erklärend hinzu, was zu genügen schien. Inmitten einer solchen Krise; eines so traumatischen Erlebnisses, wenn alles zäh wie in Zeitlupe oder schwindelerregend schnell ablief, war jeder Mensch, hin- und hergerissen, vermutete Frank. In seinem Fall hießen die beiden Pole Instinkt und Einbildungskraft. Er vertrat die Ansicht, beide können Leben retten, doch vielleicht stimmte es auch, dass Ersterer vermutlich das Ruder übernahm, wenn man von einem Riesenmonster gejagt wurde. Vielleicht. Der Fuß des Little Ones war verschwunden, und sowohl der Lärm als auch die Erdstöße infolge seiner Schritte wurden langsam schwächer. Draußen plätscherten erste Regentropfen auf die Straße. »Er sucht noch immer nach uns, anders kann ich es mir nicht vorstellen«, behauptete Chia. »Er wird zurückkommen und jedes Gebäude in diesem Block einreißen. Wir müssen irgendwie zu den anderen.« »Mag sein, dass er sich vielleicht auch einfach verzieht«, erwog Frank. »Der von damals hat Josie und Bryan auch verzögert umgebracht«, beharrte Chia, der jetzt richtiggehend böse war. »Er hätte es nicht tun müssen, und ihm war nicht bewusst, dass sie hinter der Mauer warteten.« Frank nickte nur. »Okay, Chia.« Er konnte jetzt endlich wieder unbeschwerter atmen, aber nicht dass ihn der Alte danach gefragt hätte. Die beiden kehrten zum Eingang zurück, um hinaus auf die Straße zu schauen, und spähten in die Richtung, welche der Little One eingeschlagen hatte. Von ihm selbst war nichts mehr zu sehen, aber das schloss nicht aus, dass Chia womöglich doch recht hatte. Wie gut, dass das Unwetter die Stadt verdunkelte, denn Frank war deutlich wohler dabei zumute, durch Schatten und Regen zu ziehen, während sie zum Krankenhaus vorstießen. Als sie näherkamen, rief jemand leise: »Hier drüben!« Es war Autumn. Sie stand unter dem Wellblechdach der Haltebucht vor der Notaufnahme und winkte den beiden zu. Nachdem sie zu ihr gelaufen waren, betraten sie die düstere, muffige Ruine der Klinik. Der Regen draußen trommelte wie verrückt. Autumn brachte sie in ein Voruntersuchungszimmer, in dem keine Betriebsmittel mehr lagen – sogar die Schranktüren fehlten –, und dort fanden sie alle anderen, auch Quebra. Er sah allerdings ziemlich fertig aus. »Hey«, grüßte ihn Frank. »Danke.« Der Soldat nickte und schlug sich mit einer Faust gegen die Brust. »Ich brauche Wasser.« »Draußen gibt es reichlich«, entgegnete Duckie ernst. Daraufhin lachte und hustete Quebra gleichzeitig. »Ganz richtig, Mann.« Als er aufstehen wollte, gebot ihm Autumn Einhalt. »Bleib sitzen«, ermahnte sie ihn. »O'Brien, hilf mir doch bitte mal beim Suchen, wir brauchen etwas, um das Regenwasser zu sammeln. Danach gehen wir wieder raus. Duckie, du auch.« Frank und Chia ließen sich auf dem Fußboden nieder. Dodger neigte sich zu ihnen