Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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eine ganz leichte, flüssige und schmiegsame, weil jeder alsbald recht wohl weiß, wo ihn der Schuh drückt. Das eine Mal besteht unser Vergehen nur darin, daß wir nicht auf der Hut waren und in der selbstbeherrschenden Haltung, welche wir uns nach dem Grade unserer Einsicht, Fähigkeit und Erfahrung zu eigen gemacht und welche bei jedem wieder einen andern Maßstab verlangt, nachgelassen haben, ohne dessen innezuwerden; das andere Mal besteht aber das Vergehen so recht in und durch sich selbst, indem wir es uns in der vollen Gegenwart unserer Einsicht und Erfahrung zuschulden kommen lassen. Alsdann geht die Sünde sozusagen mit der Erkenntnis und Reue zusammen, und es gibt allerdings eine Hälfte Menschen, welche ihr Leben hindurch an der einen Hand die Sünde, an der anderen Hand die Reue gleichzeitig fahren, ohne sich je zu ändern; aber ebenso gewiß gibt es eine Hälfte, welche im Verhältnis zu ihrer Erfahrung und Verantwortlichkeit in einem gewissen Grade von Schuldlosigkeit lebt, und jeder einzelne, wenn er sich recht besinnen will, kennt gewiß einzelne, bei welchen diese Schuldlosigkeit zu völliger Reinheit wird. Möge nun dieses auch eine bloße Folge von zusammengetroffenen glücklichen Umständen sein, so daß solche Erscheinungen zum Beispiel durch ein passives Fernsein vom Bösen von jeher schuldlos blieben warum denn nicht ebenso gern an eine Unschuld des Glückes, ja der Geburt glauben als an eine Schuld des Mißgeschickes, der Vorherbestimmung? Solchen Glücklichen, welche, ohne zu wissen warum und wie, gerecht und rein sind, die Phantasie verderben und verunreinigen mit dem Gedanken angeborener ekler Sündlichkeit, ist im höchsten Grade unnütz und abgeschmackt, und wenn man nicht zu ihnen gehört, für sich selber das Bekenntnis der Sünden professionsmäßig betreiben, verwandelt jene natürliche und unbefangene Selbsterkenntnis mit einem Schlage in ein manieriertes Zopftum, aus welchem mich eine unsägliche frostige Nüchternheit und Schlaffheit anweht. Daher gedeiht diese Lehre am besten bei den entnervten und erschöpften Seelen; denn die Manieriertheit ist der Zeremonienmeister des Unvermögens auf jedem Gebiete, und sie ist es, welche die frischen Geister von jedem Gebiete wegscheucht, wo sie sich breitmacht.

      Nach der Lehre von der Sünde kam gleich die Lehre vom Glauben, als der Erlösung von jener, und auf sie ward eigentlich das Hauptgewicht des ganzen Unterrichtes gelegt; trotz aller Beifügungen, wie daß auch gute Werke vonnöten seien, blieb der Schlußgesang doch immer und allein der Glaube macht selig! und dies uns einleuchtend zu machen als herangewachsenen jungen Leuten, wandte der geistliche Mann die möglichst annehmliche und vernünftig scheinende Beredsamkeit auf. Wenn ich auf den höchsten Berg laufe und den Himmel abzähle, Stern für Stern, als ob sie ein Wochenlohn wären und ich sie sämtlich in der Hosentasche hätte, so kann ich darunter kein Verdienst des Glaubens entdecken, und wenn ich mich auf den Kopf stelle und den Maiblümchen unter den Kelch hinaufgucke, so kann ich nichts Verdienstliches am Glauben ausfindig machen. Wer an eine Sache glaubt, kann ein guter Mann sein, wer nicht, ein ebenso guter. Wenn ich zweifle, ob zwei mal zwei vier seien, so sind es darum nicht minder vier, und wenn ich glaube, daß zwei mal zwei vier seien, so habe ich mir darauf gar nichts einzubilden, und kein Mensch wird mich darum loben. Wenn Gott eine Welt geschaffen und mit denkenden Wesen bevölkert hätte, darauf sich in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt, das geschaffene Geschlecht aber in Elend und Sünde verkommen lassen, hierauf einzelnen Menschen auf außerordentliche und wunderbare Weise sich offenbart, auch einen Erlöser gesendet unter Umständen, welche nachher mit dem Verstande nicht mehr begriffen werden konnten, von dem Glauben daran aber die Rettung und Glückseligkeit aller Kreatur abhängig gemacht hätte, alles dieses nur, um das Vergnügen zu genießen, daß an Ihn geglaubt würde, Er, der seiner doch ziemlich sicher sein dürfte so würde diese ganze Prozedur eine gemachte Komödie sein, welche für mich dem Dasein Gottes, der Welt und meiner selbst alles Tröstliche und Erfreuliche benähme. Glaube! O wie unsäglich blöde klingt mich dies Wort an! Es ist die allerverzwickteste Erfindung, welche der Menschengeist machen konnte in einer zugespitzten Lammslaune! Wenn ich des Daseins Gottes und seiner Vorsehung bedürftig und gewiß bin, wie entfernt ist dies Gefühl von dem, was man Glauben nennt! Wie sicher weiß ich, daß die Vorsehung über mir geht gleich einem Stern am Himmel, der seinen Gang tut, ob ich nach ihm sehe oder nicht nach ihm sehe. Gott weiß, denn er ist allwissend, jeden Gedanken, der in meinem Innern aufsteigt, er kennt den vorigen, aus welchem er hervorging, und sieht den folgenden, in welchen er übergeht; er hat allen meinen Gedanken ihre Bahn gegeben, die ebenso unausweichlich ist wie die Bahn der Sterne und der Weg des Blutes; ich kann also wohl sagen ich will dies tun oder jenes lassen, ich will gut sein oder mich darüber hinwegsetzen, und ich kann durch Treue und Übung es vollführen; ich kann aber nie sagen ich will glauben oder nicht glauben; ich will mich einer Wahrheit verschließen, oder ich will mich ihr öffnen! Ich kann nicht einmal bitten um. Glauben, weil, was ich nicht einsehe, mir niemals wünschbar sein kann, weil ein klares Unglück, das ich begreife, noch immer eine lebendige Luft zum Atmen für mich ist, während eine Seligkeit, die ich nicht begriffe, Stickluft für meine Seele wäre.

      Dennoch liegt in dem Worte Der Glaube macht selig! etwas Tiefes und Wahres, insofern es das Gefühl unschuldiger und naiver Zufriedenheit bezeichnet, welches alle Menschen umfängt, wenn sie gern und leicht an das Gute, Schöne und Merkwürdige glauben, gegenüber denjenigen, welche aus Dünkel und Verbissenheit oder aus Selbstsucht alles in Frage stellen und bemäkeln, was ihnen als gut, schön oder merkwürdig erzählt wird. Wo das religiöse Glauben bei mangelnder Überlegungskraft seinen Grund in jener liebenswürdigen und gutmütigen Leichtgläubigkeit hat, da sagt man mit Recht, es mache selig, und denjenigen Unglauben, welcher aus der anderen Quelle herrührt, kann man billig unselig nennen. Allein mit der eigentlichen dogmatischen Lehre vom Glauben haben beide rein nichts zu tun; denn während es christlich Gläubige gibt, welche in allen anderen Dingen die unangenehmsten Bezweifler und Bemäkler sind, gibt es ebenso viele Ungläubige, sogar Atheisten, welche sonst an alles Hoffnungsvolle und Erfreuliche mit allbereiter Leichtigkeit glauben, und es ist ein beliebtes Argument der christlichen Polemiker, daß sie solchen höhnisch vorhalten, wie sie jeden auffallenden Quark als bare Münze annähmen und sich von Illusionen nährten, während sie nur das Große und Eine nicht glauben wollten. So haben wir das komische Schauspiel, wie Menschen sich der abstraktesten aller Ideologien hingeben, um nachher jeden, der an etwas erreichbar Gutes und Schönes glaubt, einen Ideologen zu nennen; sie bilden eine eigene wunderliche Bank der Spötter, vom Cäsar Napoleon bis herunter zum letzten Zappler und Stänker, der vor Hochmut und Unruhe nicht weiß, was er anfangen soll und, da es ihm an jedem Körnlein von Autorität und Witz mangelt, sich an die Rückwand des Glaubens lehnt, um was hinter sich zu haben, von wo aus er rumoren kann. Der Cäsar ehrt den Glauben als Tyrann und Aristokrat, der Zappler und Stänker schätzt ihn als geistiger Proletarier und Skandalmacher, beide aus Selbstsucht. Will man die Bedeutung des Glaubens kennen, so muß man nicht sowohl die orthodoxen Kirchenleute betrachten, bei denen der Institutionen wegen alles über einen Kamm geschoren ist und das Eigentümliche daher zurücktritt, als vielmehr die undisziplinierten Wildlinge des Glaubens, welche außerhalb der Kirchenmauern frei umherschwirren, sei es in entstehenden Sekten, sei es in einzelnen Personen. Hier treten die rechten Beweggründe und das Ursprüngliche in Schicksal und Charakter hervor und werfen Licht in das verwachsene und fest gewordene Gebilde der großen geschichtlichen Masse.

      Es lebte in unserer Stadt ein Mann, welcher sich ein Vergnügen daraus machte, den Leuten, welche sich mit ihm abgaben, allerlei Erfindungen und Aufschneidereien vorzutragen, um sie nachher ihrer Leichtgläubigkeitwegen zu verhöhnen, indem er erklärte, die Geschichte sei gar nicht wahr. Jemand anders aber mochte erzählen, was er wollte, so stellte der Mann es in Abrede und hatte eine ganz eigene tückische Manier, die Treuherzigkeit, mit welcher ihm etwas gesagt wurde, ins Lächerliche zu ziehen, auf die gleiche Weise, wie er die Treuherzigkeit derer, welche ihm glaubten, spöttisch zu machen wußte. Er aß keine Krume Brotes, die er sich Nicht durch eine Lüge verschafft; denn er wäre lieber Hungers gestorben, eh als er in ein auf gradem Wege erworbenes Stück Brot gebissen hätte. Aß er aber sein Brot, so sagte er, es sei gut, wenn es schlecht war, und schlecht, wenn es gut war; hatte er Hunger, so benagte er es zimpferlich und warf die Brocken umher; hatte er keinen Hunger, so nahm er anderen den Bissen weg, den sie eben in den Mund stecken wollten, und fraß sich so voll, daß er krank wurde; alsdann behauptete er, sich sehr wohl zu befinden! Überhaupt ging sein ganzes Streben dahin, sich immer für etwas anderes zu geben, als er war, was ihm ein fortgesetztes Studium verursachte, so daß er, der eigentlich nichts tat und nie etwas genützt hatte, doch zu jeder Minute in der kompliziertesten Tätigkeit begriffen war. Hiezu bedurfte er