Название | Gesammelte Werke von Gottfried Keller |
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Автор произведения | Готфрид Келлер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027225873 |
So mutig ich an der Seite des Philosophen war, um so kleinlauter war ich, wenn ich den Mädchen allein gegenüberstand, denn alsdann war keine Rettung, als alles über sich ergehen zu lassen. Der Philosoph fürchtete sich vor dieser Feuertaufe nicht und tummelte sich manchmal furchtlos in einer Hölle von zwölf jungen und alten Weibern umher, und er triumphierte um so lauter, je übler er von ihren Zungen und Händen zugerichtet wurde, wenn er ihnen weiberschmähende Aussprüche aus der Bibel und weltliche Argumente an den Kopf warf. Ich hingegen räumte das Feld, wenn mir die Sache zu arg wurde, oder ich stellte mich, als ob ich nicht ungeneigt wäre, mich belehren und bekehren zu lassen. Wenn ich vollends mit einem der Mädchen ganz allein war, so wurde stets ein Waffenstillstand geschlossen, und ich war immer halb bereit, unsere Sache zu verraten und mich unter den Schutz des Feindes zu stellen. Jedoch muß ich diese Neigung schlecht zu äußern gewußt haben, denn niemals schien man sie zu bemerken, und ich mußte zufrieden sein, sonst ein vernünftiges Wort zu wechseln. Ich wünschte durch diesen gemäßigten und freundlichen Verkehr allmählich dahin zu gelangen, auch mit Anna wieder im einzelnen und allein zu sprechen, und glaubte dies törichterweise immer am besten auf weitläufigem Wege zu bewerkstelligen, indem ich mich an die anderen hielt, statt Anna einfach einmal bei der Hand zu nehmen und anzureden. Allein dies letztere schien mir eben noch himmelweit zu liegen und eine reine Unmöglichkeit; lieber hätte ich einen Drachen geküßt, als so leichtsinnig die Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur an diesem Drachenkuß, an diesem ersten Worte hing, die schöne Jungfrau Vertraulichkeit aus der Verzauberung wiederzugewinnen. Allein wer konnte wissen! Ein Sperling in der Hand ist besser als ein Adler auf dem Dache! Lieber noch dies stumme Nahsein sicher behalten, als durch die beleidigte Ehre genötigt zu sein, auf immer zu scheiden! Dadurch ward ich immer mehr und mehr verhärtet, und zuletzt ward es mir unmöglich, das gleichgültigste Wort an Anna zu richten; so kam es, als sie auch nichts zu mir sagte, daß nach einer sehr stillschweigenden Übereinkunft wir füreinander gar nicht da waren, ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam ebensooft zu uns herüber, wenn ich da war, wie sonst, und ich besuchte den Schulmeister nach wie vor, wo sie sich dann zufrieden herumzubewegen schien, ohne sich um mich zu bekümmern. Indessen kam es mir wunderlich vor, daß kein Mensch unsere seltsame Haltung zu bemerken schien, obgleich es doch gewiß auffallen mußte, daß wir auch gar nie etwas zueinander sagten. Die älteste Base, Margot, hatte sich diesen Sommer mit dem jungen Müller verlobt, welcher ein stattlicher Reitersmann war, die mittlere duldete offen die Bewerbungen eines reichen Bauernsohnes, und die jüngste, ein Ding von sechszehn Jahren, welches sich im Kriege immer am wildesten und feindseligsten gebärdet, war unmittelbar oder fast während eines der hitzigsten Gefechte überrascht worden, wie sie in einer Laube sich schnell von dem Philosophen küssen ließ; die Wolken der Zwietracht hatten sich daher verzogen, der allgemeine Friede war hergestellt, nur zwischen mir und Anna, welche nie im Kriege gelegen miteinander, war auch kein Friede, oder vielmehr ein sehr stiller, denn unser Verhältnis blieb sich immer gleich. Anna hatte die erste äußere Garnitur aus dem Welschland schon abgelegt und war wieder frischer und freier geworden; allein sie blieb doch ein feines und sprödes Kind, das überhaupt nicht viel sprach, leicht beleidigt und gereizt wurde, was ein schnelles Erröten immer anzeigte, und besonders stellte sieh ein leichter Stolz heraus, der sich mit etwas Eigensinn verband. Diesem Charakter zufolge war sie unerbittlich und hätte eher den Tod genommen, als daß sie sich durch das geringste Entgegenkommen etwas vergeben hätte. Desto verliebter aber wurde ich mit jedem Tage, so daß ich mich fortwährend mit ihr beschäftigte, wenn Ich allein war, mich höchst unglücklich fühlte und sehnsüchtig träumend die Wälder und Höhen durchstreifte; denn da ich nunmehr wieder der einzige war, welcher seine Liebe verbergen mußte, wie ich wenigstens glaubte, so ging ich auch vorzugsweise wieder allein und auf mich selbst angewiesen. Ich brachte die Tage im tiefen Walde zu, mit meinem Handwerkszeuge versehen; allein ich zeichnete nur wenig nach der Natur, sondern wenn ich eine recht geheime Stelle gefunden, wo ich sicher war, daß niemand mich überraschte, zog ich ein großes schönes Stück Pergament hervor, auf welchem ich Annas Bildnis aus dem Gedächtnis in Wasserfarben malte. Dies war für mich das allergrößte Glück, wenn ich mich an einem klaren Spiegelwässerchen unter dichtem Blätterdache so wohnlich eingerichtet hatte, das Bild auf den Knien. Ich konnte nicht zeichnen, daher fiel das Ganze etwas byzantinisch aus, was ihm bei der Fertigkeit und dem Glanz der Farben ein eigenes Ansehen gab. Jeden Tag betrachtete ich Anna verstohlen oder offen und verbesserte danach das Bild, bis es zuletzt ganz ähnlich wurde. Es war in ganzer Figur und stand in einem reichen Blumenbeete, dessen hohe Blüten und Kronen mit Annas Haupt in den tiefblauen Himmel ragten; der obere Teil der Zeichnung war bogenförmig abgerundet und mit Rankenwerk eingefaßt, in welchem glänzende Vögel und Schmetterlinge saßen, deren Farben ich noch mit Goldlichtern erhöhte. Alles dies sowie Annas Gewand, welches ich phantasievoll bereicherte, war mir die angenehmste Arbeit während vieler Tage, die ich im Walde zubrachte, und ich unterbrach diese Arbeit nur, um auf meiner Flöte zu spielen, welche ich beständig bei mir führte. Auch des Abends, nach Sonnenuntergang, ging ich oft mit der Flöte noch aus, strich hoch über den Berg, bis wo der See in der Tiefe und des Schulmeisters Haus daran lag, und ließ dann meine selbsterfundenen Weisen oder auch ein schönes Liebeslied durch Nacht und Mondschein ertönen. Hierauf schien kein Mensch zu achten oder sich wenigstens so zu stellen; denn ich hätte sogleich aufgehört, wenn irgend jemand sich darum bekümmert hätte, und doch suchte ich gerade dies und blies meine Flöte wie einer, der gehört sein will. So gingen die Sommermonate vorüber; ich verbarg das Bild sorgfältig und gedachte es noch lange zu verbergen, indem es von jedermann als ein ziemlich deutliches Geständnis der Liebe angesehen werden mußte. An einem sonnigen Septembernachmittage, als der herbstliche Schein mild auf dem Garten lag und das Gemüt zur Freundlichkeit stimmte, wollte ich eben ausgehen, als ein ganz kleines Knäbchen mir die Botschaft brachte, ich möchte in die größere Gartenlaube kommen. Ich wußte, daß sämtliche Mädchen dort mit Margots Aussteuer beschäftigt waren und daß Anna ihnen half; das Herz klopfte mir daher sogleich, weil ich irgend etwas Angenehmes ahnte, doch ging ich erst nach einer kleinen Weile mit gleichgültiger Miene hin. Die Mädchen saßen in einem Halbkreise um das weiße Leinenzeug herum, unter dem grünen Rebendache, und sie sahen alle schön und blühend aus. Als ich eintrat und fragte, was sie begehrten, lächelten und kicherten sie eine Zeitlang verlegen, daß ich trotzig schon wieder umkehren und weggehen wollte. Jedoch Margot ergriff das Wort und rief »So bleib doch hier, wir werden dich nicht fressen!« und nachdem sie sich geräuspert, fuhr sie fort »Es sind mannigfaltige Klagen über dich angesammelt, und wir haben daher uns als eine Art Gerichtshof hieher gesetzt, um dich zu richten und ins Verhör zu nehmen, lieber Vetter! und wir fordern dich hiemit auf, uns auf alle Fragen treu, wahr und bescheiden zu antworten! Erstlich wünschen wir zu wissen – je, was wollten wir denn zuerst fragen, Caton?« – »Ob er gern Aprikosen esse«, erwiderte diese, und Lisette rief »Nein, wie alt er sei, müssen wir zuerst fragen, und wie er heiße!« – »Bitte, macht euch nicht gar zu unnütz«, sagte ich, »und rückt heraus mit eurem Anliegen!« Doch Margot sagte »Kurz und gut, du sollst einmal sagen, was du gegen die Anna hast, daß du dich so gegen sie benimmst?« – »Wieso?« antwortete ich verlegen, und Anna wurde ganz rot und sah auf ihre Leinwand; Margot fuhr fort »Wieso? das möchte ich auch noch fragen! Mit einem Wort was hast du für einen Grund, seit deiner Ankunft bei uns kein Sterbenswörtchen zu Anna zu sagen und zu tun, als ob sie gar nicht in der Welt wäre? Dies ist nicht nur eine Beleidigung für sie, sondern für uns alle, und schon des öffentlichen Anstandes wegen muß es gehoben werden auf irgendeine Weise; wenn Anna dich beleidigt