Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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doch immer eine besondere Anhänglichkeit und Liebe für die Volksschule, welcher sie sich anfänglich geweiht hatten, und was dieser oft zu Schutz und Gedeihen gereichte.

      Aber es gab auch eine andere Art Wißbegieriger, welche, mehr vom äußern Schein und Hochmut getrieben, vieles erschnappten, ohne Fe den rechten Schlüssel zum wissenschaftlichen Leben zu finden, auch sonst behindert und ohne Talent, Schulmeister bleiben mußten und manchmal tüchtige Lehrer abgaben, wenn sie Eitelkeit und Unzufriedenheit überwunden, manchmal aber auch unnütze Gesellen wurden, welche alle Liebe für ihren Beruf verloren, während sie doch von jedermann die unbedingteste Hochachtung verlangten, ihre Zeit zwischen Dorfintriguen und Kartenspiel teilten oder unausgesetzt um alle Mädchen im Lande sich bewarben, die einige tausend Gulden zu erben hatten. Am liebsten heirateten sie endlich, nach vielen verfehlten Plänen, irgendeine verwitwete Schenkebesitzerin, wo sie alsdann als gelehrte Wirte stattlich figurierten, froh, dem Schulstaube entronnen zu sein.

      Zu allen diesen gehörte jedoch der Philosoph nicht. Er behauptete, der beste Volksschulmeister wäre nur derjenige, welcher auf dem höchsten und klarsten Gipfel menschlichen Wissens stände, mit dem umfassenden Blicke über alle Dinge, das Bewußtsein bereichert mit allen Ideen der Welt, zugleich aber in Demut und Einfalt, in ewiger Kindlichkeit wandelnd unter den Kleinen, womöglichst mit den Kleinsten. Demgemäß lebte er wirklich, aber dies Leben war seiner großen Jugend wegen eine allerliebste Travestie in Miniatur. Gleich einem Stare wußte er alle Systeme von Thales bis auf heute herzusagen, allein er verstand sie immer im wörtlichsten und sinnlichsten Sinn, wobei besonders seine Auffassung der Gleichnisse und Bilder einen komischen Unfug hervorbrachte. Wenn er von Spinoza sprach, so war ihm nicht etwa die Idee aller möglichen Stühle der Welt, als ein Stück zweckmäßig gebrauchter Materie, der Modus, sondern der einzelne Stuhl, der gerade vor ihm stand, war ihm der fertige und vollständige Modus, in welchem die göttliche Substanz in wirklichster Gegenwart steckte, und der Stuhl wurde dadurch geheiligt. Bei Leibniz fiel ihm nicht etwa die Welt in einem greulichen Monadenstaub auseinander, sondern die Kaffeekanne auf dem Tisch, mit welcher er gerade exemplierte, drohte auseinanderzugehen und der Kaffee, welcher im Gleichnis nicht mitbegriffen, auf den Tisch zu fließen, so daß der Philosoph sich beeilen mußte, durch die prästabilierte Harmonie die Kanne zusammenzuhalten, wenn wir den erquickenden Trank genießen wollten. Bei Kant hörte man das göttliche Postulat so leibhaftig und zierlich erklingen wie ein Posthörnchen, aus der tiefen Ferne der innersten Brust; bei Fichte verschwand wieder alle Wirklichkeit gleich den Trauben in Auerbachs Keller, nur daß wir nicht einmal an unsere Nasen glauben durften, welche wir in den Händen hielten; wenn Feuerbach sagte Gott ist nichts anderes, als was der Mensch aus seinem eigenen Wesen und nach seinen Bedürfnissen abgezogen und zu Gott gemacht hat, folglich ist niemand als der Mensch dieser Gott selbst, so versetzte sich der Philosoph sogleich in einen mystischen Nimbus und betrachtete sich selbst mit anbetender Verehrung, so daß bei ihm, indem er die religiöse Bedeutung des Wortes immer beibehielt, zu einer komischen Blasphemie wurde, was im Buche die strengste Entsagung und Selbstbeschränkung war. Am drolligsten nahm er sich jedoch aus in seiner Anwendung der alten Schulen, deren Lebensregeln er in seinem äußern Behaben vereinigte. Als Cyniker schnitt er alle überflüssigen Knöpfe von seinem Rocke, warf die Schuhriemen weg und riß das Band von seinem Hute, trug einen derben Prügel in der Hand, welcher zu seinem zarten Gesichtchen seltsam kontrastierte, und legte sein Bett auf den bloßen Boden; bald trug er sein schönes Goldhaar in langen, tausendfach geringelten Locken, weil die Schere überflüssig sei, bald schnitt er es so dicht am Kopfe weg, daß man mit dem feinsten Zängelchen kaum ein Härchen hätte fassen können, indem er die Locken als schnöden Luxus erklärte, und er sah dann mit seinem geschorenen Rosenköpfchen noch viel lustiger aus. Im Essen war er hinwieder Epikureer, und die gewöhnliche Dorfkost verschmähend, schmorte er sich ein saures Eichhörnchen, briet ein Fischchen oder eine Wachtel, die er gefangen hatte, und aß ausgesuchte kleine Böhnchen, junge Kräutchen und dergleichen, wozu er ein halbes Gläschen alten Wein trank. Als Stoiker hingegen richtete er allerhand spaßhafte Händel an und brachte die Leute in Harnisch, um in dem entstandenen Lärm dann einen kalten Gleichmut zu behaupten und sich nichts anfechten zu lassen; insbesondere aber erklärte er sich als einen Verächter der Frauen und führte einen beständigen Krieg mit ihnen, welche mit ihren sinnlichen Reizen und ihrem eitlen Wesen die Männer ihrer Tugend und Ernsthaftigkeit berauben wollten. Als Cyniker verfolgte er die Frauen und Mädchen überall mit Natürlichkeiten, als Epikureer mit erotischen Witzen, und als Stoiker sagte er ihnen Grobheiten, war aber immer zu finden, wo drei beieinanderstanden. Sie wehrten sich mit geräuschvollem Entsetzen gegen ihn, so daß überall, wo er erschien, ein lustiger Spektakel losging; nichtsdestominder sah man ihn überall gern, die Männer achteten nicht auf ihn, und die Kinder hingen mit großer Liebe an ihm; denn mit diesen war er auf einmal wie ein Lamm und stand in dem reinsten und schönsten Verhältnisse zu ihnen. Er hatte die Allerkleinsten zu besorgen, und er tat dies so vortrefflich, daß man noch nie einen so wohlgearteten und sittigen Schlag kleiner Jüngelchens und Dirnchens im Dorfe gesehen hatte. Deshalb übersah man seine übrigen Geschichten, die er anrichtete und die man seiner tollen Jugend zuschrieb, und selbst daß er sich für einen Atheisten ausgab, konnte ihn der Gunst des weiblichen Dorfes nicht berauben.

      Er fand sich auch im Hause meines Oheims ein, wo eine gute Anzahl Mädchen und junger Bursche, die durch vielfältigen Besuch noch verstärkt wurde, für seine Aufführungen empfänglich war. Ich gesellte mich dem Philosophen bei, einesteils von seinem Philosophieren angezogen, andernteils von seinem Weiberkriege, da dieser gerade mit meiner schiefen Lage zu den Mädchen zusammentraf. Wir machten große Spaziergänge, auf welchen er mir die Systeme der Reihe nach vortrug, wie er sie im Kopfe hatte und wie ich sie verstehen konnte. Es kam mir alles äußerst wichtig und erbaulich vor, und ich ehrte bald, gleich ihm, jede Lehre und jeden Denker, gleichviel ob wir sie billigten oder nicht. Über den christlichen Glauben waren wir bald einig und machten in die Wette unsern Krieg gegen Pfaffen und Autoritätsleute jeder Art; als ich aber den lieben Gott und die Unsterblichkeit aufgeben sollte und der Philosoph dieses mit höchst unbefangenen Auseinandersetzungen verlangte, da lachte ich ebenso unbefangen, und es kam mir nicht einmal in den Sinn, die Sache ernstlich zu untersuchen. Ich sagte, am Ende wäre die Hauptformel einer jeden Philosophie, und sei diese noch so logisch, eine ebenso große und greuliche Mystik wie die Lehre von der Dreieinigkeit, und ich wollte von gar nichts wissen als von meiner persönlichen angeborenen Überzeugung, ohne mir von irgendeinem Sterblichen etwas dazwischenreden zu lassen. Außerdem daß ich nicht gewußt hätte, was ich anfangen sollte ohne Gott, und ich die Ahnung hatte, daß ich einer Vorsehung im Leben noch sehr benötigt sein würde, band mich ein künstlerisches Bewußtsein an diese Überzeugung. Ich fühlte, daß alles, was Menschen zuwege bringen, seine Bedeutung nur dadurch hat, daß sie es zuwege bringen konnten und daß es ein Werk der Vernunft und des freien Willens ist; deshalb konnte mir die Natur, an die ich gewiesen war, auch nur einen Wert haben, wenn ich sie als das Werk eines mir gleich fühlenden und voraussehenden Geistes betrachten konnte. Ein sonnedurchschossener Buchengrund konnte nur dann ein Gegenstand der Bewunderung sein, wenn ich ihn mir durch ein ähnliches Gefühl der Freude und der Schönheit geschaffen dachte. »Sehen Sie diese Blume«, sagte ich zum Philosophen, »es ist gar nicht möglich, daß diese Symmetrie mit diesen abgezählten Punkten und Zacken, diese weiß und roten Streifchen, dies goldene Krönchen in der Mitte nicht vorhergedacht seien! Und wie schön und lieblich ist sie, ein Gedicht, ein Kunstwerk, ein Witz, ein bunter und duftender Scherz! So was macht sich nicht selbst!« – »Auf jeden Fall ist sie schön«, sagte der Philosoph, »sei sie gemacht oder nicht gemacht! Fragen Sie einmal! Sie sagt nichts, sie hat auch nicht Zeit dazu, denn sie muß blühen und kann sich nicht um Ihre Zweifel kümmern! Denn das sind alles Zweifel, was Sie vorbringen, Zweifel an Gott und schnöde Zweifel an der Natur, und es wird mir übel, wenn ich nur einen Zweifler höre, einen empfindsamen Zweifler! O weh!« Er hatte diesen Trumpf beim Disputieren älterer Leute gehört und brachte denselben wie ähnliche Gewandtheiten, die er sich angeeignet, gegen mich vor, so daß ich zuletzt immer geschlagen wurde; besonders sagte er zuletzt immer, ich verstehe eben die Sache noch nicht und wüßte nicht richtig zu denken, was mich dann gewaltig erboste, und wir gerieten manchmal in grimmigen Zank. Doch vereinigten wir uns immer wieder, wenn wir mit den Mädchen zusammentrafen, wo wir einen gemeinsamen Kampf zu bestehen hatten, von allen Seiten angegriffen. Wir schlugen unsere Feinde eine Zeitlang mit unseren Sarkasmen siegreich zurück, wenn sie aber nicht mehr weiterkonnten