Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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im Hause, meine Mutter erschreckend und mir selbst nun streng und unheimlich vorkommend, die mich sonst so freundliche bejahrte Leutchen gedünkt hatten. Diese Umwandlung der sonst so harmlosen Persönlichkeiten durch ein Schuldverhältnis, aus einem unscheinbaren Trödelmännchen zum Beispiel in einen gefürchteten Verfolger, beunruhigte mich und ließ mich das Peinliche des Schuldenmachens empfinden, bis die Mutter, nachdem sie mich eine gute Weile hatte zappeln lassen, endlich unter ernsten Ermahnungen mich erlöste. Diese Weise sagte ihr gar nicht zu und war bisher unbekannt gewesen in ihrem Hause. Daher gedachte sie solche Frühlingsschwalben, die mit dem neuen Künstlerleben so zeitig einzogen, am besten zu vertreiben, wenn sie mich die Unbequemlichkeit eine Zeitlang fühlen ließe.

      Ferner hatte ich um die Zeit einen feurigen und lebhaften Freund, welcher meine Neigungen stärker teilte als alle anderen Bekannten, viel mit mir zeichnete und poetisch schwärmte und, da er noch die Schulen besuchte, reichlichen Stoff von da in meine Kammer brachte. Doch war unser Verkehr mehr ein prahlerisches Feuerwerk und glänzende Übung genialer und origineller Formen, die wir nachahmend aus Gelesenem erhaschten. Zugleich war er lebenslustig und trieb sich ebensooft mit flotten Leuten in Wirtshäusern herum, von deren Herrlichkeiten und energischen Gelagen er mir dann erzählte. Ich blieb meistens wehmütig zu Hause, da mich meine Mutter in dieser Beziehung äußerst knapp hielt und keine Notwendigkeit einer geringsten Ausgabe dieser Art einsah. Deswegen sah ich dem froh sich Herumtummelnden nach wie ein gefangener Vogel einem in der Höhe fliegenden und träumte von der Freiheit einer glänzenden Zukunft, wo ich eine Zierde der Zechgelage zu werden mir vornahm. Inzwischen aber mißbilligte ich, wie der Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind, öfter die Wildheit meines Freundes und suchte ihn mehr an meine stille Wohnung zu fesseln. Dies verursachte manche Mißstimmung zwischen uns, und ich freute mich endlich innerlich seiner Abreise in die Ferne, welche zu einem feurigen Briefwechsel die willkommene Gelegenheit gab. Wir erhoben nun unser Verhältnis zu einer idealen Freundschaft, nicht getrübt von dem persönlichen Zusammensein, und boten in regelmäßigen Briefen die ganze Beredsamkeit jugendlicher Begeisterung auf. Nicht ohne Selbstgefälligkeit und Absicht suchte ich meine Episteln so schön und schwungreich als immer möglich zu schreiben, und es kostete mich viele Übung im Nachdenken, meine unerfahrene Philosophie einigermaßen in Form und Zusammenhang zu bringen, weil die bisher erworbene Gestaltungskraft beim Zeichnen und damit verbundene Einsicht in meine Schreibübungen überging und mich auch ohne Logik ein Bedürfnis von Harmonie empfinden ließ. Leichter wurde es, den ernsten Teil der Briefe in ein Gewand ausschweifender Phantasie zu hüllen und mit dem bei meinem Jean Paul gelernten Humor zu verbrämen; allein wie sehr ich mich auch erhitzte und allen meinen Eifer aufbot, so übertrafen die Antworten des Freundes dieses alles jedesmal sowohl an reiferen und gediegenen Gedanken als an feinerm und gewähltem Witze, der mir beschämend das Schreiende und Unruhige meiner Ergüsse hervorhob. Ich bewunderte meinen Freund, war stolz auf ihn und nahm mich doppelt zusammen, indem ich mich an seinen Briefen bildete, derselben würdige und ebenbürtige Sendungen aufzubringen. Doch je mehr ich mich erhob, um so höher und unerreichbarer wich er zurück, wie ein glänzendes Luftbild, nach welchem ich fruchtlos zu schlagen strebte, ich rang gleichsam mit einem neckischen Heldenschatten. Dazu trugen seine Gedanken die abwechselndsten Farben gleich dem ewigen Meere, ebenso reizend launenhaft und überraschend und ebenso reich an Quellen, die aus der Tiefe, von Gebirgen herab und vom Himmel zugleich zu strömen schienen; ich staunte den fernen Genossen an wie eine geheimnisvolle großartige Erscheinung, deren herrliche Entwicklung von Tag zu Tag Größeres versprach, und rüstete mich allen Ernstes, an ihrer Seite ins Leben hinaus möglichst Schritt zu halten.

      Da fiel mir eines Tages Zimmermanns Buch über die Einsamkeit in die Hände, von welchem ich schon viel gehört und das ich deshalb nun mit doppelter Begierde las, bis ich auf die Stelle traf, welche anfängt »Auf deiner Studierstube möchte ich dich festhalten, o Jüngling!« Jedes Wort ward mir bekannter, und endlich fand ich einen der ersten Briefe meines Freundes hier wortgetreu abgeschrieben. Bald darauf entdeckte ich einen andern Brief in Diderots unmaßgeblichen Gedanken über die Zeichnung, welche ich bei einem Antiquar erworben, und fand so die Quelle jener Schärfe und Klarheit, die mir so imponiert hatten. Und wie lange getrennte Ereignisse und Zufälle plötzlich haufenweise zutage treten und sich ein verabredetes Rendezvous zu geben scheinen, so trat nun rasch eine Entdeckung nach der anderen hervor und enthüllten eine seltsame Mystifikation. Auch spürte ich den Büchern nach, von denen er in seinen Briefen beiläufig erwähnte. Ich fand Stellen aus Rousseau wie aus dem Werther, aus Sterne und Hippel sowohl wie aus Lessing, glänzende Gedichte aus Byron und Heine in briefliche Prosa umgewandelt, sogar Aussprüche tiefsinniger Philosophen, die, unverstanden, mich mit Achtung vor dem Freunde erfüllt hatten. Mit solchen hellen Sternen hatte ich ohnmächtig gerungen; ich war wie vom Blitz getroffen, ich sah im Geiste meinen Freund über mich lachend und konnte mir seine Handlungsweise nur durch eigenen Unwert erklären. Doch fühlte ich mich schmerzlich beleidigt und schrieb nach einigem Schweigen einen spöttischen und anzüglichen Brief, mittelst dessen ich seine angemaßte geistige Herrschaft abzuwerfen, doch nicht unsere Freundschaft aufzuheben, vielmehr ihn zu treuer Wahrheit zurückzuführen gedachte. Allein mein verletzter Ehrgeiz ließ mich zu heftige und spitzige Ausdrücke wählen, mein Gegner hatte sich nicht über mich lustig machen, sondern nur mit wenig Mühe meinem Eifer die Waage halten wollen, wie er sich auch nachher, in ernsteren Dingen, immer mit solchen Mitteln zu helfen suchte, obgleich er die Talente zu wirklichem Streben in vollem Maße und daher auch Selbstgefühl besaß so kam es, daß er, um seine Verlegenheit zu bedecken und ärgerlich über meine Auflehnung, noch gereizter und beleidigter antwortete. Es stieg ein mächtiges Zorngewitter zwischen uns auf, wir schalten uns rücksichtslos, und je mehr wir uns zugetan gewesen, mit desto mehr Aufwand und tragischen, feindlichen Worten kündeten wir uns plötzlich die Freundschaft auf und bestrebten uns blindlings, jeder der erste zu sein, der den andern aus seinem Gedächtnis verbanne!

      Aber nicht nur seine, sondern auch meine eigenen harten Worte schnitten mir ins Herz, ich trauerte mehrere Tage lang tief und schmerzvoll, indessen ich den Geschiedenen zu gleicher Zeit noch achtete, liebte und haßte; ich empfand nun zum zweiten Male, in vorgerückterm Alter, das Weh beim Brechen einer engen Freundschaft, aber um so edler und feiner und daher schmerzvoller, als die Verhältnisse edler waren. Die innere Grundlosigkeit eines solchen Bruches läßt denselben um so dämonischer und einschneidender fahlen, da er durch ein feindliches unvermeidliches Schicksal herbeigeführt scheint.

      In diese Bewegungen herein spielten abwechselnd das gepflegte Andenken an Anna und die Hoffnung auf ihr Wiedersehen sowie die Angst vor meinen gemütlichen Gläubigern, wenn sie mit Rechnungen kamen für allerhand alte Schwarten, Kupferstiche und verstümmelte Gipsfiguren, so daß ich komischerweise früh den Spruch auf mich anwenden konnte:

      Widersacher, Weiber, Schulden –

      Ach, kein Ritter wird sie los!

       Inhaltsverzeichnis

      Der Frühling war gekommen; schon lagen viele Frühpflanzen, nachdem sie flüchtige schöne Tage hindurch mit ihren Blüten der Menschen Augen vergnügt, nun in stiller Vergessenheit dem stillen Berufe ihres Reifens, der verborgenen Vorbereitung zu ihrer Fortpflanzung ob. Schlüsselblümchen und Veilchen waren spurlos unter dem erstarkten Grase verschwunden, niemand beachtete ihre kleinen Früchtchen. Hingegen breiteten sich Anemonen und die blauen Sterne des Immergrün zahllos aus um die lichten Stämme junger Birken, am Eingange der Gehölze, die Lenzsonne durchschaute und überschien die Räumlichkeiten zwischen den Bäumen, vergoldete den bunten Waldboden; denn noch sah es hell und geräumig aus, wie in dem Hause eines Gelehrten, dessen Liebste dasselbe in Ordnung gebracht und auf geputzt hat, ehe er von einer Reise zurückkommt und bald alles in die alte tolle Verwirrung versetzt. Bescheiden und abgemessen nahm das zartgrüne Laubwerk seinen Platz und ließ kaum ahnen, welche Gewalt und Herrlichkeit in ihm harrte. Die Blättchen saßen symmetrisch und zierlich an den Zweigen, zählbar, ein wenig steif, wie von der Putzmacherin angeordnet, die Einkerbungen und Fältchen noch höchst exakt und sauber, wie in Papier geschnitten und gepreßt, die Stiele und Zweigelchen rötlich lackiert, alles äußerst aufgedonnert. Frohe Lüfte wehten, am Himmel kräuselten sich glänzende Wolken, es kräuselte sich das junge Gras