Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Название Gesammelte Werke von Gottfried Keller
Автор произведения Готфрид Келлер
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027225873



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»Sieh die Klappernuß! höre die Klappernuß!« rief sie, »da! klappre auch einmal!« Sie drückte dem zitternden Apollönchen die Herzbüchse in die Hände; aber dieses schrie ängstlich auf, ließ die Büchse fallen, und Dortchen fing sie gewandt auf und klapperte abermals damit.

      Heinrich, von dessen Gegenwart sie keine Ahnung hatten, sah ganz erstaunt zu. Wart, du Teufel! dachte er, dich will ich schön erschrecken! Er wischte sich die Augen trocken, stieß einen hohlen Seufzer aus und sprach mit trauriger Zitterstimme, welche er gar nicht zu verstellen brauchte, und in altem Französisch »Dame, s’il vous plaist, laissez cestuy cueur en repos!« Erbleichend und mit einem Doppelschrei flohen die Mädchen aus der Sakristei und Kirche wie besessen, und zwar Dortchen voraus, welche mit einem elastischen Satz über Schwelle und Stufen der Kirchentür hinaussprang, schneebleich, aber immer noch lachend ihr Kleid zusammennahm und über den Kirchhof wegeilte, bis sie eine Gartenbank fand, auf welche sie sich warf. Bebend lief das erschreckte Apollönchen hinter ihr drein und flüchtete sich an ihre Seite, sich kaum fassend. Dortchen, deren Gesicht fast so weiß war wie die Zähne, atmete hoch auf, lehnte sich zurück und hielt die Hände um die Knie geschlungen. »O Gott, es hat gespukt! das ist mein Tod!« rief Apollönchen, und Dortchen sagte: »Jawohl, es spukt, es spukt!« und lachte wie eine Tolle. »Du Gottlose, fürchtest du dich nicht ein bißchen? Klopft dein Herz nicht zehnmal stärker, als du das Herz da drin gerüttelt hast?« – »Mein Herz?« erwiderte Dortchen, »ich sage dir, es ist guter Dinge!« – »Was hat es denn gerufen«, sagte Apollönchen und hielt sich beide Hände an die eigene pochende Herzseite, »was hat das französische Gespenst gesagt?« – »›Fräulein!‹ hat es gesagt, ›wenn es Euch gefällt, so macht dies Herz zu Eurem Nadelkissen!‹ Geh wieder hin und sag, wir wollten uns bedenken, ob es uns gefiele!«

      Eine Stunde später war Dortchen allein auf ihrem Zimmer, das sie abgeschlossen hatte, und war eifrig damit beschäftigt, ein Körbchen mit Naschwerk zurechtzumachen für den Nachtisch. Sie hatte nämlich die Gewohnheit, immer ein solches Körbchen unter ihrem Verschluß zu halten, das mit feinem Zuckerwerk angefüllt war und das sie in buntes Papier wickelte, nachdem sie eine selbstgeschriebene Devise dazugelegt. Hiezu verwendete sie schöne und graziöse Verse aus allen Sprachen und alten und neuen Dichtern, am liebsten kleine gute Sinngedichte, welche geeignet waren, angenehme und witzige Vorstellungen zu erregen und eine heitere Fröhlichkeit zu verbreiten. Auch trieb sie allerhand Schwank damit, indem sie oft zwei verschiedene Zeilen aus verschiedenen Dichtern zu einem Distichon zusammenfügte, so daß man glaubte, Bekanntes zu lesen, und doch nicht klug daraus wurde, indessen die neue zierliche Wendung, der entgegengesetzte Sinn, welchen das Unbekannt-Bekannte abgab, ergötzte und vielfältig in die Irre führte. Dortchen wickelte jetzt rasch und nachdenklich den ganzen Vorrat auf, warf die alten Zettelchen beiseite und schrieb auf neue Streifchen feinen Papieres zwanzig- oder dreißigmal dasselbe Sinngedicht eines alten schlesischen Poeten. Dann wickelte sie diese Zettel mit dem Zuckerwerke wieder ein, wozu sie neues, nur weißes Papier nahm, schloß ihre Türe wieder auf und trug ihr Körbchen nach dem hübschen Schränkchen, das sie im Familienzimmer ebenfalls unter ihrem Verschluß hatte.

      Heinrich hatte unterdessen endlich ausgetobt, die Schluchzerei, deren er sich schämte, und der Scherz hatten ihn erleichtert und ruhiger gemacht, und er nahm sich nun zum allerletzten Mal bestimmt vor, Dortchen gut zu sein, ohne an etwas Weiteres zu denken noch sich zu bekümmern, und seine Gedanken nach anderen Dingen und nach seiner Zukunft zu richten. Desnahen war er ziemlich zufrieden am Abendtisch, und weil er, als der Abreisende, der Gegenstand des Gespräches war, seine Zukunft mit Wohlwollen besprochen wurde und außerdem der Graf, als sich von selbst verstehend, erklärte, abermals mit ihm zu reisen nach der Hauptstadt, da Heinrich das nicht gehofft hatte, so befand er sich zuletzt so glücklich und lustig wie je und lachte Dortchen freundschaftlich an, als sie endlich mit ihrem Körbchen zu ihm trat.

      »Heut bekommen Sie zum letzten Mal ein Bonbon von mir!« sagte sie, »suchen Sie sich ein recht gutes aus!«

      Heinrich suchte unbefangen einige Sekunden lang und nahm doch das erste beste, was ihm in die Hände kam, da er es vorzog, die Spenderin inzwischen anzusehen, da dies auch ein letztes Bonbon war. Als er das Ergriffene aufmachte und den Zettel las, errötete er und vermochte nicht denselben laut zu lesen, denn es stand darauf:

      Hoffnung hintergehet zwar,

      Aber nur, was wankelmütig;

      Hoffnung zeigt sich immerdar

      Treugesinnten Herzen gütig;

      Hoffnung senket ihren Grund

      In das Herz, nicht in den Mund!

      Der Pfarrer nahm das Papier und las das Gedicht. »Allerliebst!« rief er, »sehr hübsch! Sie haben eine allerliebste Devise zum Abschied bekommen. Lassen Sie sehen, Fräulein Dortchen! was ich zum Dableiben erhalten werde!« Er griff begierig nach dem Körbchen, denn es juckte ihn auf der Zunge, etwas Süßes darauf zu legen. Dortchen zog aber das Körbchen weg und sagte: »Nächsten Sonntag bekommen Sie was zum Dableiben, Herr Pfarrer! Heute bekommt nur der, welcher geht!« Heinrich sah sie verwirrt und zweifelhaft an, die aufregenden Verse im Herzen; aber mit der unergründlichen Halbheit der Weiber stand sie da und verzog keine Miene. Rasch verschloß sie den Korb wieder in den Schrank, und der arme Heinrich hatte keine Vermutung, daß in allen dreißig Bonbons die gleichen Worte standen.

       Inhaltsverzeichnis

      Der Wagen stand in aller Frühe bepackt und bereit; Dortchen begleitete die Abreisenden bis an denselben, umgeben von den übrigen Leuten, so wie auch Apollönchen und der alte Gärtner herbeikamen. Heinrich gab den zutraulichen Dienstleuten allen die Hand und zuletzt auch der Dorothea, welche ihm freundlich die ihrige gab und nun sagte »Adieu, Herr Lee!« Von Wiedersehen oder dergleichen sagte sie gar nichts; ebensowenig als Heinrich, und so fuhren der Graf und er rasch von dannen.

      Die Bilder kamen in zwei Tagen nach und waren bald zur öffentlichen Ausstellung hergerichtet. Der Graf beschäftigte sich so munter mit der Sache, als ob er selbst der Künstler wäre, und hatte die größte Freude daran, überall dabeizusein und seinen Schützling zu bevormunden. Wie er es gewünscht, so kam es auch, als die Bilder endlich in dem Saale hingen, wo die Künstler und die wohlhabenden Liebhaber ab-und zugingen. Sie sprangen ziemlich anspruchsvoll in die Augen, hielten aber die erregte Aufmerksamkeit tapfer aus; alte Bekannte wunderten sich über das plötzliche Auftauchen des verschollenen Heinrich und drückten ihm mit Achtung und aufrichtigen Glückwünschen die Hand; der Graf unterließ nicht, vornehm aussehende Herren und Damen vor die Bilder zu führen, so daß sich der Beifall herumsprach und immer ein Trüppchen elegantes Publikum davorstand, kurz, Heinrich konnte nun doch noch mit Ehren und mit leichtem Sinne von dem Handwerk scheiden, und dieser Abschied erhielt dadurch einen vollern und schwerern Gehalt. Als Heinrich endlich bei den Aufsehern der Säle den Preis der Bilder angeben wollte, drängte sich der Graf dazwischen und schrieb den betreffenden Zettel selbst auf. Aber er schrieb eine so ausgiebige Summe hin, daß Heinrich laut auflachte und rief »Da werden wir lange warten können, bis wir die Fahnen an den Mann bringen!« – »Das werden wir schon sehen«, erwiderte der Graf, »nur nicht blöde, mein Freund!« Und in der Tat wurden die Bilder in einigen Tagen gekauft, aber vom Grafen selbst, ohne daß Heinrich es wußte; denn er ließ den Kauf unter fremdem Namen vor sich gehen und abschließen, und zwar nicht um Heinrich eine Art Geschenk aufzudrängen, sondern weil er die zwei Landschaften, welche er veranlaßt und entstehen gesehen, selber besitzen wollte und schon ihren Platz in seinem Hause angeordnet hatte.

      Nun hätte Heinrich endlich ohne Hindernis nach seiner Heimat und zu seiner Mutter eilen können; allein wie er sich dazu anschickte, begegneten ihm noch zwei Abenteuer, die ihn ganz verschieden betrafen. Ein alter Bekannter aus der Zeit, da Heinrich mit Ferdinand Lys und Erikson umgegangen, welcher von seinem Wiederauftauchen gehört, suchte ihn auf und gab ihm einen Brief des Ferdinand, welcher schon vor Monaten aus Palermo gekommen war für Heinrich und von Hand zu Hand ging, ohne bestellt werden zu können. Zugleich teilte er ihm mit, daß neueren Nachrichten zufolge der Schreiber des Briefes seither gestorben sei, ohne jedoch etwas Näheres von den