Название | Gesammelte Werke von Gottfried Keller |
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Автор произведения | Готфрид Келлер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027225873 |
Aber es fand sich, daß Dortchen schon am Sonnabend viele Meilen weit weggefahren war, um eine Freundin zu besuchen, und wenigstens drei Wochen lang wegbleiben wollte. Hilf Himmel! welch ein Donnerschlag! Der ganze schöne Sonntagsfrühling in Heinrichs Brust war mit einem Zuge weggewischt, die Narrheiten und Witze tauchten unverweilt ihre Köpfe spurlos unter die Flut der dunkelsten Gesinnung, und der blaue Himmel ward schwarz wie die Nacht vor Heinrichs Augen. Das erste, was er tat, war, daß er wohl zwanzigmal den Weg vom Garten nach dem Kirchhofe hin und zurück ging, und er drückte sich dabei genau an die Kante des Pfades, an welcher Dortchen hinzustreifen pflegte mit dem Saum ihres Gewandes. Aber auf diesen Stationen brachte er weiter nichts heraus, als daß das alte Elend mit verstärkter Gewalt wieder da war und alle Vernunft wie weggeblasen. Das Gewicht im Herzen war auch wieder da und drückte fleißig darauf los.
Diese drei Wochen glaubte Heinrich nicht erleben zu können und beschloß, sich so bald als möglich fortzumachen. Er zwang sich deshalb zur Arbeit, so gut es gehen wollte. Zum Glück war dieselbe vor dem Liebeswetter schon so weit gediehen, daß es nur der fortgesetzten Anstrengung weniger Tage bedurfte, um zu Ende zu sein; allein wenn Heinrich unter bitteren Schmerzen eine Stunde gemalt hatte, mußte er die Pinsel wegwerfen und in den Wald hinauslaufen, um sich wieder zu verbergen; denn unter den Menschen wußte er nicht, wo er hinsehen sollte. So brauchte er dennoch volle drei Wochen, bis er fertig war, und diese schienen ihm volle drei Jahre zu dauern, während welcher er tausend Dinge und doch immer ein und dasselbe lebte und dachte. Wenn es schönes Wetter war, so machte ihn der blaue Himmel und der Sonnenschein noch tausendmal unglücklicher, und er sehnte sich nach Dunkelheit und Regengüssen, und traten diese ein, so hoffte er auf den Sonnenschein, der ihm helfen würde. Überdies begann er allerlei Unstern zu haben, da er fortwährend zerstreut war. So trat er eines Tages fehl, als er einen steilen Klippenpfad heruntersteigen wollte, und torkelte wie ein Sinnloser über die Felsen hinunter, daß er nicht wußte, wie er unten ankam, und ihm die Sinne vergingen. Dies kränkte und schämte ihn so heftig, daß er elendiglich zu weinen anfing. Ein andermal eilte und klomm er hastig den Berg hinauf, immer höher, um weiter in das Land hinauszusehen, als ob er alsdanm Dortchen entdecken könnte, und als er endlich ganz oben angelangt und sie nirgends sah, legte er sich auf den Boden und schluchzte jämmerlich, und das Unwetter tobte so heftig in ihm, daß es ihn emporschnellte und herumwarf, wie eine Forelle, die man ins grüne Gras geworfen hat und die nach Wasser schnappet. Wiederum ein andermal setzte er sich auf einen verlassenen Pflug, welcher in einer angefangenen Ackerfurche lag, und machte ein trübseliges Gesicht; denn er begriff nicht, wie jemand noch Freude daran finden könne, zu pflügen, zu säen und zu ernten, und er machte allem Lebendigen umher Leerheit, Nichtigkeit und Seelenlosigkeit zum Vorwurf, da er Dortchen nicht hatte. Da schlenkerte ein vergnügt grinsender Feldlümmel daher, der ein irdenes Krüglein an einem Stricke über der Schulter trug, stand vor ihm still, gaffte ihm in das betrübte Gesicht und fing endlich an, unbändig zu lachen, indem er sich mit dem Ärmel die Nase wischte. Schon das arme Krüglein tat Heinrich weh in den Augen und im Herzen, da es so stillvergnügt und unverschämt am Rücken dieses Burschen baumelte; wie konnte man ein solches Krügelchen umhertragen, da Dortchen nicht im Lande war? Da nun der grobe Gesell nicht aufhörte, dazustehen und ihm ins Gesicht zu lachen, stand Heinrich auf, trat weinerlich und leidvoll auf ihn zu und schlug ihm dergestalt hinter das Ohr, daß der arme Kerl zur Seite taumelte, und ehe der sich wieder fassen konnte, prügelte Heinrich all sein Weh auf den fremden Rücken und schlug sich an dem brechenden Kruge die Hand blutig, bis der Feldlümmel, welcher glaubte, der Teufel sei hinter ihm her, sich aus dem Staube machte und erst aus der Entfernung anfing, mit Steinen nach dem tollen Heinrich zu werfen. Langsam ging dieser davon und bedeckte seine überströmenden Augen mit beiden Händen. Solche Kunststücke trieb er nun, und der Himmel mochte wissen, wo er sie gelernt hatte.
Endlich aber stellte sich von dem andauernden Druck des besagten goldenen Bildes ein bleibender körperlicher Schmerz auf der linken Seite ein, der erst nur ganz leise war und sich nur allmählich bemerklich machte. Als ihn Heinrich endlich entdeckte und von der gewohnten Beklemmung unterschied, fuhr er unablässig mit der Hand über die Stelle, als ob er wegwischen könnte, was ihm weh tat. Da es aber nicht wegging, sagte er »So, so, nun hat’s mich!« denn er dachte, dieses wäre nun das wirkliche und wahrhaftige Herzeleid, an welchem man stürbe, wenn es nicht aufhörte. Und er wunderte sich, daß also das bekannte Herzweh, welches in den Balladen und Romanzen vorkommt, in der Tat und Wahrheit existiere und gerade ihn betreffen müsse. Erst empfand er fast eine kindische Schadenfreude, wie jener Junge, welcher sagte, es geschehe seinem Vater ganz recht, wenn er sich die Hand erfröre, warum kaufe er ihm keine Handschuhe? Doch dann schlug dies Vergnügen wieder in Traurigkeit um, als er sich ernstlicher bedachte und befand, daß nun gar keine Rede mehr davon sein könne, Dortchen etwas zu sagen, da die Sache bedenklich würde und ihr Sorgen und Befangenheit erwecken müßte.
Er suchte jetzt sein Wäldchen wieder auf am Berge, das indessen schön grün geworden war und von Vogelsang ertönte. Auf dem Baume, unter dem Heinrich den ganzen Tag saß, war ein Star und guckte, wenn er genug Würmchen gefressen hatte, zutulich auf ihn herunter und stieg jeden Tag um einen Ast näher herab. Während nun Heinrich darüber nachsann, wie dieser Kummer alles andere, was ihn schon gequält, weit hinter sich lasse, wie das Leid der Liebe so schuldlos sei, denn was habe man getan, daß einem ein anderes Wesen so wohl gefalle? und dennoch so unerträglich und bitter und unvernünftig und einen zugrunde zu richten vermöge, und während er sich jedoch vornahm, daß dies nicht geschehen solle und er sich schon seiner Haut wehren wolle, sprach er nichts mehr als immer den gleichen Seufzer »O Dortchen, Dortchen – Dortchen, Dortchen Schönfund! Wenn du wüßtest, wie mir es ergeht!« und dies so oft, daß eines schönen Morgens über seinem Kopfe unversehens eine seltsame Stimme rief: »O Dortchen, Dortchen Schönfund! Wenn du wüßtest, wie mir es ergeht!« Dies war der Star, der diese Worte gemächlich auswendig gelernt und nun jedesmal damit fortfuhr, wenn Heinrich eine Weile geschwiegen, so daß sie nun unablässig in dem grünen Busch ertönten. Manchmal, wenn Heinrich nur abgebrochen Dortchen rief und wieder schwieg, sang der Star »Dortchen?« worauf Heinrich antwortete »Ja, Dortchen ist nicht hierchen!« Oder wenn er bloß seufzte »Wenn du wüßtest!« so rief der Vogel nach einem Weilchen »Wie mir es ergeht!«
Es erging ihm aber auch so schlimm, daß er sich nach Dorotheens Wiederkehr sehnte, bloß um eine äußerliche Veränderung zu erfahren und sie noch einmal zu sehen, um dann unverzüglich fortzugehen. Als er gerade am letzten Abend der drei Wochen sich ins Haus begab, hoffte er nicht, daß sie schon dasein würde, sah aber schon vom Garten her, daß Licht in ihrem Zimmer war, und erfuhr, daß sie schon am Nachmittage pünktlich angekommen sei. Sogleich befand er sich um vieles besser und schlief wieder einmal ziemlich gut, ohne von ihr zu träumen, da sie sonst immer ihm im Traume erschienen war. Dies hatte ihn auch immer so gequält, wenn die Geträumte ihm durchaus wohlgeneigt nahte, ein leises gütiges Wort flüsterte oder ihn freundlich ansah und er dann nach dem Erwachen nicht fassen und begreifen konnte, warum es nicht wahr sein und er nicht zu seinem erträumten Rechte kommen sollte, als ob die Gute für das verantwortlich wäre, was er träumte.
Am Morgen erklang schon früh ihre Stimme durch das Haus; sie spielte und sang wie eine Nachtigall an einem Pfingstmorgen, und das Haus war voll Leben und Fröhlichkeit. Heinrich wurde zum Frühstück eingeladen, um die Wiedergekehrte zu begrüßen. Hastig und mit klopfendem Herzen ging er hin; aber sie war so lustig und aufgeweckt, daß der Erznarr sogleich wieder traurig wurde, da sie auch gar nichts zu merken schien von dem, was mit ihm vorging.
Dennoch wirkte ihre Gegenwart so wohltuend auf ihn, daß er sich zusammennahm, nicht mehr weglief und sich still und bescheiden verhielt, ohne viel Worte zu verlieren, allein darauf bedacht, bald fortzukommen. Aber sie machte ihm dies nicht so leicht, sondern trieb hundertfachen Mutwillen, der ihn immer wieder aufregte und störte, wobei sie sich immer an andere wandte und vorzüglich Apollönchen dazu brauchte, welche für sie kichern und lachen mußte, so daß Heinrich nie wußte, wem es gelten sollte, und hundertmal in Versuchung geriet, die Kleine beim Kopf zu nehmen und zu sagen »Du Gänschen, was willst denn du?«
Endlich wurden zwei große Kisten gebracht, in welche die