Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther Kabel

Читать онлайн.
Название Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835246



Скачать книгу

Aber … – doch, ich mag hier keinen der amtlich abgestempelten modernen Geistesheroen verletzen. Will nur, um zum Ausgangspunkt dieser Sätze zurückzubiegen, nochmals erklären: das erlebte Leben ist anders als es sich in den Köpfen der Kulturförderer malt! Dieses Leben kenne ich. Ihr kennt es nicht, und selbst wenn ihr jährlich zum Wintersport reist oder im Frühjahr Ägypten besucht und über die Armseligkeit der Pyramiden im Vergleich zu modernen Wolkenkratzern heimlich die Nase rümpft! Es hilft euch alles nichts: Zieht mal einen nach Tran, Tabak, Schnaps und angetrocknetem Blut stinkenden Lederanzug an und wandert abseits der Heerstraße der Zivilisation, ganz abseits, beweist erst mal, ob ihr mit euren glänzend klingenden Phrasen auch nur einen Tag in der Einöde überdauert, ohne daß euch die Hosen schlottern. Es gibt solche Kerle, die aus Eigenem schöpfen … O ja! Es gibt Schriftsteller, die nicht eine Zeile schreiben, die nicht aus ureigenster Erfahrung hervorgeholt wird … Sie sind selten. Aber sie sind Männer … – Ich bin kein Dichter von Beruf. Mein Schnabel redet bald so, bald so …

      Und Coy redete auch. Coy hatte heute seinen lebhaften Tag, denn er hatte mich vollends geschlagen: Chubur und Chico hatten ja einmütig erklärt, daß Braanken unmöglich blind sein könne, hatten Beweise angeführt, hatten erwähnt, daß Peter van Braankens Flucht aus der leichenbesäten Lichtung nur einem sehenden Manne geglückt wäre – unter dem Kugelhagel Sennor Mastilos noch dazu, der hinter dem Flüchtling wie unsinnig dreingefeuert hatte.

      Coy triumphierte. Er benutzte die gute Gelegenheit, auch mir wieder eins auszuwischen – mir, dem gebildeten Europäer. Wir hatten die deutliche Fährte Braankens und Mastilos sehr bald gefunden. Ihr zu folgen – kein Kunststück. Erst als wir die ersten Andenausläufer gegen vier Uhr erreichten, wurde die Sache schwieriger. Coy stieg an einer Stelle, wo der glatte Felsboden eines Tales jede Spur unsichtbar machte, aus dem Sattel. Er war mein Lehrer, kein angenehmer.

      »Mistre Karl Olaf, – wo Fährte?«

      Ich fand nichts. Die Fährte war wie weggezaubert. Selbst die berühmten »zermalmten« Steinchen, die jede Indianergeschichte enthält, fehlten gänzlich. Der Granit der Anden ist häufig genug so glatt vom Winde gefegt, daß selbst ein Besen oder ein Staubsauger sich umsonst bemühen würde.

      Coy grinste. Chubur und Chico hatten mehr Respekt vor mir und blickten zu Boden.

      Ich fand nichts.

      »Noch viel lernen müssen,« meinte Coy gutmütig. »Ja – ja, – Braanken blind!! – He, noch immer glauben?!«

      »Du könntest getrost weniger anmaßend sein, mein lieber Coy!«

      »Coy nur wollen, daß Freund Karl Olaf sehen alles … – Braanken hier Wolldecken auf Fels gelegt haben, so dort in Wald kommen!« Er deutete auf die düsteren Nadelbäume der Talwand.

      Nun hätten nach Karl May die allzeit notwendigen, am Gestein haften gebliebenen Wollflöckchen in die Erscheinung treten müssen.

      Ach nein – nichts davon! Selbst der große Winnetou (wie habe ich die Rothaut als Junge verehrt!) war ein Stümper im Vergleich zu Coy Cala.

      Coy sagte mild-überlegen: »Dreckige Tehus Wolldecken mit feinstem Darmfett von Steppenhuhn gegen Nässe einreiben … Braanken hatten Tehu-Decken …«

      Nun – auch durch dies »duftige« Rezept wurde ich nicht klüger. Wie sehr Tehu-Decken nach ranzigem Fett stanken, wußte ich schon.

      Coy schaute mich vorwurfsvoll an. Wie ein Lehrer, der über die Begriffsstutzigkeit seines Schülers übel erstaunt ist. Dann zeigte er auf einen Fleck des grauschwarzen Gesteins. »Hier Fett … Huf genau abgezeichnet!«

      Klägliche Europäeraugen! Ich schämte mich in meine schwarze Seele hinein. Was ich für eine Verfärbung des Granits gehalten, war ein ganz leichter fettiger Abdruck durch Huf und Decke.

      Es stimmte.

      Diese Verfärbungen liefen nach dem Walde hin. Mastilo hatte sie ebenfalls richtig erkannt, denn nachher, als es an der Berglehne emporging, sahen wir auch seine Fährte wieder.

      Über die weiteren Ereignisse bis zum Abend wäre nur das eine zu sagen, daß wir noch verschiedentlich Stellen fanden, an denen der »blinde« Braanken sich alle Mühe gegeben hatte, den Chilenen irre zu führen. Coy, Chubur und Chico begutachteten diese Versuche mit dem Prädikat »ziemlich genügend«. Ihr Urteil änderte sich bei Sonnenuntergang, als wir uns bereits inmitten einer grandiosen Bergwildnis in etwa tausend Meter Höhe befanden. Hier war’s urplötzlich auf einem mit Krüppelfichten bestandenen Plateau mit jeder Fährte endgültig aus. Meine drei Araukaner wurden kleinlaut, krochen auf allen Vieren umher, suchten, schnupperten, spähten, krochen in Spiralen, Coy fluchte, Chico desgleichen – auf die Guanaco-Herde, die hier Gras und Moos genascht und jede Fährte zertrampelt hatte.

      Es wurde dunkel. Ein kalter Wind blies von Westen über die Bergkämme und brachte die eisige Luft der Gletscher und Schneefelder mit. Ich saß unbeteiligt auf einem weichen, rundlichen Block, den dicke Moospolster eigens für mich als Hocker hergerichtet hatten. Meine Aufmerksamkeit galt ausschließlich den Schönheiten des Sonnenuntergangs. Droben die Berghäupter: rot wie feuerspeiende Vulkane … Wunderbar diese Fülle von Schönheiten, die mir die Natur spendete.

      Coy kam, stellte sich vor mich und sagte grimmig:

      »Guanacos Pest holen!! Zu dunkel schon … Werden lagern, Mistre Olaf Karl, morgens weiter …«

      Chubur und Chico fällten vier Kiefern, schlugen die Äste ab: Zeltstangen! – Und dann lösten sie die Moospolster vom Gestein … ganze Matten breiteten sie über das Zeltgerüst, schlangen Dornenranken als Halt herum und schufen in kaum zehn Minuten eine warme, geräumige Unterkunft.

      Feuer knisterte auf. Ein unterwegs geschossenes Guanacolamm war unser Abendessen. Unsere Pfeifen der Nachtisch, dazu Tee mit bräunlichem Zucker, der stets nach Petroleum schmeckte, weil das Kaufhaus in Skyring der nötigen Sauberkeit entbehrte. Zuweilen, wenn der Handlungsbeflissene in Skyring mit ganz »frischen« Petroleumfingern die Tüte angefaßt hatte, gab’s sogar ein paar Fettaugen auf dem Tee. Aber das machte nichts. Man gewöhnt sich an alles. Auch daran, statt einer Zahnbürste die rauhe Wurzel des Gabi-Strauches zu benutzen und als Zahnpaste den rötlichen Ton vom Ufer des kleinen Binnensees unweit der Gallegos-Siedlung.

      »Wäre es nicht angebracht, abwechselnd zu wachen,« schlug ich vor, als ich mir die zweite Pfeife stopfte und Coy voller Liebe seinen Karabiner gründlich säuberte.

      Coy sagte nur: »Müssen wachen, Mistre …«

      Chubur suchte aus dem Moos unserer Lagerstätten verirrte Grashalme hervor, gab ihnen verschiedene Länge und nahm sie in die Hand, daß nur die Spitzen hervorschauten.

      »Ziehen, El Gento. Längste erste Wache.«

      Ich zog. Ich erwischte den zweitlängsten. Meine Wache begann um Mitternacht. Coy hatte die erste, die angenehmste. Ich legte mich nieder, denn der Ritt bergan und das stellenweise Klettern war anstrengend genug gewesen.

      Vielleicht war ich übermüdet. Ich schlief nicht sofort ein. Die drei Araukaner hockten mit untergeschlagenen Beinen am Feuer, rauchten, schwiegen. Ich lag im Schatten von Chuburs breitem Rücken. Nach einer Weile sagte Chico leise in seiner Stammessprache, von der ich wohl vieles verstand, ohne sie aber vollkommen zu beherrschen:

      »Du solltest deine Wache beginnen, Coy … Der eine dreckige Tehu, den wir gefesselt hatten, wird Hilfe herbeiholen. Die Tehus werden Sennor Mastilo diesmal nicht entkommen lassen. Sie sind sicherlich hinter uns.«

      »Gleich fertig,« nickte Coy und schraubte das Karabinerschloß fest. »Noch nicht ganz dunkel … Tehus können vor Mitternacht nicht hier sein …«

      Dann entschlummerte ich. Meine Taschenuhr war zu gemeinsamer Benutzung an eine der Zeltstangen gehängt worden. Kurz vor zwölf weckte Coy mich. Chubur und Chico schnarchten wie schlechte Kreissägen. Jedenfalls ist es ein Unsinn, wenn Forschungsreisende behaupten, Indianer schnarchen nicht. Erst wenn sie von der Kultur beleckt seien, stelle sich dieser Atemfehler ein. Das ist falsch. Ich habe später auch mit Tehuelchen zusammen in einem Zelt geschlafen, die man als »wilde« Indianer bezeichnen konnte, denn sie