Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch. Walther Kabel

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Название Science-Fiction-Romane: 33 Titel in einem Buch
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835246



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zerplatzten, sie zeigten mir schillernde Bilder … Und alles zerrann in nichts.

      Der Dreimaster kam aus Melbourne, Australien, kleinster, fünfter Kontinent. Der Dreimaster wurde ein Wrack, und das Wrack brachte mir die Zeitungen. Und Zeitungen sind eng zusammengedrängtes Leben, sind wie ein Gigant, in dem das Dasein in schwarzen, bedruckten Adern und Arterien pulsiert. Menschenschicksale, Völkergeschicke enthüllen sie, und ich habe an alledem keinen Anteil, für mich ist alles, alles nur leeres Wortgeklapper wie das ferne, ferne Geräusch einer Schreibmaschine: Man hört die Tasten anschlagen, man weiß, daß sich dort Buchstabe an Buchstabe reiht und daß das Geschriebene wohl einen Sinn haben muß.

      Ich stehe außerhalb dieser Welt. Ich stehe an einem der Bimssteinfelsen meiner Küste und blicke in die milchige Dämmerung der Nacht und bin allein mit meinem Sehnen.

      Wenn mir nur der Hund geblieben wäre! Wenn ich nur einen der flüchtigen scheuen Vögel mir fangen und zähmen könnte mit unendlicher Geduld und Güte – wie die Zuchthäusler, die eine Spinne abrichten und diese Spinne lieben und hüten und pflegen, weil es doch immerhin ein lebendes Wesen ist.

      Olaf Karl Abelsen, du hättest die Zeitungen verbrennen sollen – in die See werfen – oder sonstwie benutzen. Du warst ein Narr. Der gedruckte Gigant mit den schwarzen, gesprenkelten Adern hat dir das Blut vergiftet.

      Ich werde schlafen gehen. Und morgen wird wieder die Sonne scheinen, und alles, alles wird sein wie immer, und die Einsamkeit wird mein Hirn zernagen …

      Ich schreite über Bimsstein zur offenen Falltür und steige die Eisentreppe hinab und betrete mein Wohngemach. Der, der diese Insel baute, diese Zuflucht der Enterbten, war ein großer Geist. Auf meinem Schreibtisch, der vor Monaten der seine war, brennt die elektrische Lampe, und vor der Lampe liegen die weißen Bogen, die ich mit meinen lebendigen Erinnerungen gefüllt habe. Diese weißen Blätter, jetzt bedeckt mit den Spuren der eilenden Feder, reden von denen, die ich lieb gewann und die ich wieder verlor …

      Seifenblasen.

      Nachdenklich stehe ich da und schaue auf den Aschbecher.

      Asche – ja.

      Aber die Stummel der drei Zigarren, die ich heute abend rauchte?!

      Das ist merkwürdig. Ich habe es noch nie erlebt, daß drei Zigarrenstummel, die noch vor einer Stunde in dieser Schale da tot und kalt und zerkaut lagen, sich in Luft auflösen oder spazieren gehen.

      Ich sinne nach, und ich erinnere mich: Schon gestern fehlten die Stummel. Vielleicht auch vorgestern … Heute erst beachte ich dies.

      Ich ziehe die eine Schieblade auf und nehme die kalte schwarze Pistole heraus.

      Die Unruhe in meinem Blut hat eine Erklärung gefunden. Meine Sinne sind feiner als die eines Wilden geworden, und ich habe gefühlt, daß etwas Fremdes um mich war.

      Ich nehme die Laterne und wandere durch die unterirdischen, unterseeischen Räume meines Heims.

      In der großen Proviantkammer hinter sechs Säcken Mehl kauert ein Mensch.

      „Komm’ hervor. Dir geschieht nichts.“

      Meine Stimme zittert.

      Ich bin nicht mehr allein.

      Er kommt demütig hervorgekrochen, und seine phantastische Häßlichkeit und die Angst seiner glühenden Augen rührt mich.

      So fand ich Bell Dingo oder Dingo-Bell, den Kajütwärter des Dreimasterwracks.

      „Setz’ dich, Dingo …“

      Er kauert nun auf einer Stuhlkante, und ich sitze im Schreibsessel und lächle ihn an.

      „Also Bell Dingo heißt du …“

      Seine linke Backe ist verdächtig geschwollen. Sicherlich sind die drei Zigarrenstummel die Ursache. Australneger in einem bescheidenen Stadium der „†††-Zivilisation“ lieben Kautabak mehr als den Tabakrauch.

      „Ai ai!“ nickt Dingo eifrig und glotzt mich an wie Satanas in Person. Meine Insel muß ihm als Teufelsspuk erscheinen, und ich als Oberteufel, obwohl ich mich jeden Tag rasiert habe und einen weißen Leinenanzug trage.

      Dingos englische Sprachkenntnisse genügen gerade zu gegenseitiger Verständigung.

      „Als ich die Zeitungen holte, schlichst du dich hier ein, Dingo … – Weshalb?“

      Er macht ein hilfloses Gesicht, sein Mund zieht sich plötzlich bis zu den Ohren hin und seine dicke kurze Nase macht diese Verbreiterung mit.

      „Ai ai, Mussu, – so schon sein … Keine Trinkwasser auf Wrack, große Durst …“

      „Ach so, deshalb auch die schnelle Abnahme im Wassertank!“

      Bell Dingo hat Hände wie Bärenpranken, und diese Pranken reibt er verlegen aneinander und erklärt mit seiner tiefen, knarrenden Stimme:

      „Ai ai, Mussu, – das schon so sein … Große Durst … sehr große.“

      Seine Angst schwindet allgemach, und sein Ton wird freier, und in seinen klaren schwarzen Augen flackert die edle Flamme der Dankbarkeit. Ein Schluck Whisky besiegelt die Freundschaft, und Bell Dingo erzählt.

      Ja – ein Mensch erzählt mir von seinem Leben.

      Mir. – Ich bin nicht mehr allein.

      2. Kapitel

       Nebel

       Inhaltsverzeichnis

      „Bell Dingo“ – also so etwa „schöner Dingo“. – Der Witzbold, der ihm diesen Namen gegeben, hätte weniger sarkastisch sein sollen. Zunächst: Dingo ist die Bezeichnung für den australischen wilden Hund. – Der „Hund“ mag noch hingehen, denn Hund ist kein Schimpfwort, sondern ein Lob. Dingo-Bell verdiente Lob. Er war, was die Treue betraf, ein zweiter Coy Cala. Im übrigen hatte er mit Coy wenig gemein. Es sei denn die Bärenstärke und die feinen Sinne.

      Bei einer männlichen Schönheitskonkurrenz hätte Dingo miserabel abgeschnitten. Nur seine vorbildliche Sauberkeit hätte vielleicht Anerkennung gefunden.

      Man stelle sich einen reinblütigen Australneger im Alter von etwa fünfundzwanzig Jahren vor, man rasiere ihm den buschigen Bart bis auf einen kleinen borstigen, geckenhaften Schnurrbart weg, multipliziere seine naturnotwendige Häßlichkeit mit drei, und das Produkt ist „der schöne Dingo“.

      Am liebreizendsten an ihm war ohne Frage sein Haupthaar. Ich kam immer wieder in Versuchung daran zu zupfen und zu prüfen, ob es nicht doch eine Krimmermütze sei, die sich tief in die Stirn gezogen hatte. Aber es war echt, genau so echt wie seine dicke kurze Nase mit den ungeheuren Nüstern und wie der Mund mit den fabelhaften Wulstlippen. Die Unterlippe streichelte beim Sprechen stets zärtlich das feste borstige Kinn, denn Dingo rasierte sich täglich, – täglich bügelte er auch die Beinkleider des weißen Anzugs, den ich ihm gespendet hatte, da sein blauer Kittel wenig zu seinen sauberen schwarzen Pfoten paßte.

      Ich nehme hier so manches über Bell Dingo vorweg. Ganz sollte ich ihn erst später kennen lernen. Aber er hatte eins bestimmt vor sonstigen Bekanntschaften voraus: Die Menschen verlieren zumeist, je länger wir mit ihnen zusammen sind. Dingo gewann an inneren Werten von Tag zu Tag. Er trank nicht. Jede Whiskyflasche war vor ihm sicher. Er hatte keine Eingeweidewürmer wie Coy. Er kaute nur meine Zigarrenstummel und war ein Geck in seiner Art. Er log nie. Was er nicht sagen wollte, tat er mit einer großartigen Handbewegung und den von einem verlegenen Grinsen begleiteten Worten ab: „Ai ai, Mussu, – das nicht wissen …“

      Sein „Ai ai“ konnte man je nach Wunsch und Gelegenheit deuten. Es besagte alles. Es konnte „Ja ja“, aber auch „Nein nein“ heißen, es konnte als „Vielleicht“ gelten, – – es war eben vielseitig wie der ganze Bell Dingo.

      Er hatte seine Jugend im tiefsten Innern Australiens verbracht. Sein Alter war zweifelhaft.