Al Capone Staffel 2 – Kriminalroman. Al Cann

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Название Al Capone Staffel 2 – Kriminalroman
Автор произведения Al Cann
Жанр Языкознание
Серия Al Capone Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783863778156



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wirklich kaum noch lebenswert machte. Man konnte es nicht mehr wagen, abends irgendwohin zu gehen, ja, man war sogar am Tag überall gefährdet. Einerlei, wo man sich befand. Sogar in den größten Straßen mitten in der Stadt. Banken wurden am laufenden Band überfallen, in den Parks herrschte gähnende Leere. Alles zitterte vor den großen Gangs, die die Stadt tyrannisierten. Sie zwangen ganze Straßenzüge und Geschäftsviertel in ihre Gewalt, preßten die Menschen aus wie Zitronen, und wer sich gegen sie auflehnte, der war verloren.

      Frank Dillinger hatte schon oft in schlaflosen Nachtstunden überlegt, wie man sich das Leben lebenswerter gestalten könnte. Ob man nicht vielleicht teilhaben könnte am großen Kuchen des Al Capone; ob man nicht eine Rosine abbekommen könnte, um wenigstens zu überleben. Aber welches Interesse sollten die großen Gangs an einer Kreatur wie dem kleinen Vertreter Frank Dillinger schon haben?

      Ganz sicher ahnte der unscheinbare, kleine, schwächlich wirkende Mann in dieser Minute nicht, daß sein Vetter Ric in dieser Stunde den ersten Schritt getan hatte, selbst eine Gang zu gründen, eine Bande, die nicht nur bestehen konnte, sondern eines Tages die größte Konkurrenz der Al Capone-Gang werden wollte. Kleine Gangs wurden fast immer rasch von den großen abgewürgt und erstickt. Wer sich da durchsetzen wollte, der mußte über eine Unmenge Geld verfügen, einen hervorragenden Kopf haben und eine Mitgliederzahl, die die ersten Angriffe und die schweren Schläge der Nachfolgezeit zu überstehen wußte. Al Capone hat einmal gesagt, daß eine Gang schon im Anfang hundert Mann haben müsse, und daß sie von diesen hundert Mann siebzig verlieren können müsse. Unter Verlieren verstand der große Capone nichts anderes als den Tod. Eine Bande mußte also bis zu siebzig Prozent einbüßen können, um zu überleben. Die restlichen dreißig Prozent müßten die Überlebenschance auszunutzen suchen. Sicher war ihr Bestand dann immer noch nicht, denn es gehörten ja wenigstens hundert Mann zu einer Gang, wie Al Capone gesagt hatte. Darauf mußte sie dann wieder aufgefüllt werden, mußte sich bewähren, verlor vielleicht wieder die Hälfte, und das Spiel begann von neuem. Bis die Gang endlich stand und ihren festen Bestand von hundert Mann hatte, waren schließlich so viele Mitglieder auf der Strecke geblieben, daß die übrigen nicht selten den Mut verloren. Mit hundert Mann war dann auch noch keine starke Gang auf die Beine gebracht – nur eben eine, die da war. Eine von den zahllosen Banden, die in Chicago existierten. Eine starke Gang hatte wenigstens tausend Mitglieder. Die Bande Al Capones zählte nach vielen Tausenden.

      Die Crew, die einmal den Namen Dillinger tragen würde, sollte niemals so viele Mitglieder haben. Im Gegenteil. Sie war die kleinste Bande, die es jemals in Chicago gegeben hatte, und sie bestand nur aus Familienmitgliedern – aus der Sippe Dillinger. Dennoch sollte sie die Stadt am Michigan in Angstschauern erschüttern…

      Richard öffnete eine Tür nach der anderen, stand schließlich in der Schlafkammer, riß den Schrank auf und nahm einen Herrenmantel heraus. Er war grau, ohne Muster und sah noch verhältnismäßig gut aus. Er zog ihn an, nahm auch einen Hut aus dem Schrank, der ihm etwas zu groß war, und schließlich fand er einen Rucksack, in den er Franks Tasche packte. Er schnallte Frank den Rucksack auf die Schultern und setzte ihm eine Brille auf, die er auf einer Fensterbank fand. Seinen eigenen Mantel packte er zusammen und stopfte ihn ebenfalls in Franks Rucksack.

      »Was soll das alles?« stotterte Frank.

      Ric gab ihm keine Antwort. Er ließ noch eine halbe Stunde verstreichen und verließ dann die Wohnung.

      Frank folgte ihm.

      »So«, flüsterte er ihm zu, »und jetzt keine auffälligen Bewegungen. Du siehst dich nicht um, gehst normal wie sonst auch, schleppst deinen Rucksack und bleibst immer etwa zehn Schritt hinter mir, ist das klar? Wenn ich auf der Straße bin, wartest du also, bis ich etwa zehn, zwölf Schritte gegangen bin und kommst dann raus.«

      Frank nickte. Sein Gesicht war aschgrau vor Angst.

      Ric trat auf die Straße, blickte zum Himmel auf und streckte dann die Hand aus, um zu prüfen, ob es regnete. Immer noch zogen die Bindfäden aus dem Bleigrau des Firmamentes.

      Ric Dillinger ging langsam vorwärts. Als er zehn Schritte getan hatte, öffnete Frank die Haustür und folgte ihm.

      An der Ecke stand ein Polizeiwagen.

      Ric ging an ihm vorbei, blickte kurz auf den Wagen, sah wieder geradeaus, blieb dann stehen und schaute sich unauffällig nach Frank um.

      Der starrte angestrengt nach vorn, glotzte durch die Brillengläser, durch die er kaum etwas sehen konnte, stolperte einmal und wäre sicher hingefallen, wenn nicht ein baumlanger Polizist aus dem Wagen auf ihn zugelaufen wäre, um ihn aufzufangen.

      Frank starrte ihn aus riesengroßen Augen durch die dickglasige Brille tödlich erschrocken an. Schweiß trat auf seine Stirn. Er öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, aber er brachte kein Wort hervor.

      Der Polizist grinste ihn mit bärbeißiger Freundlichkeit an.

      »Na, Mister, alles in Ordnung?«

      »Ja, vielen Dank«, murmelte Frank und trottete weiter.

      Der Schweiß rann ihm unter der Krempe des Hutes durch sein schütteres Haar bis in den Kragen. Das Hemd klebte ihm am Leib.

      Richard Dillinger hatte die Szene mit zusammengepreßten Zähnen beobachtet.

      Dieser Idiot! Mußte er der Polizei direkt in die Arme laufen!

      Ric ging weiter – und Frank folgte ihm. Er hielt den Abstand ungefähr ein. Längst waren sie in die Straßenzüge des Stadtteils Cicero gekommen und hatten die 32nd Street erreicht. Ric verschwand in einem Hof, der zu einer Transportgesellschaft gehörte; Frank blieb hinter ihm.

      »Nimm endlich die Brille ab.«

      »Meinst du, daß wir es schon wagen können?«

      »Klar, die Bullen laufen uns doch nicht bis in die Hölle nach.«

      »Wer weiß.«

      Frank stand auf zitternden Beinen da. Er hatte das Gefühl, daß seine Knie jeden Augenblick nachgeben müßten. Immer noch war sein Gesicht schweißnaß.

      Ric blickte ihn an und grinste.

      »Was ist denn mit dir? Du siehst ja aus, als wärst du aus dem Wasser gezogen worden.«

      »Mir ist fürchterlich elend, Ric. Ich weiß nicht. Es ist so entsetzlich.«

      »Alles halb so schlimm.«

      »Weshalb mußtest du auch den Mann niederschießen.«

      »Wolltest du vielleicht von ihm erschlagen werden?« schnarrte der Mann aus dem Westen seinen Vetter an.

      Frank zog die Schultern hoch, schüttelte den Kopf und ließ ihn dann entmutigt auf die Brust niedersinken.

      »Ich kann nicht mehr.«

      »Ach was, rauch eine Zigarette, und dann geht’s weiter.«

      Sie stopften den Rucksack in eine Mülltonne und stiegen in den nächsten Bus, der sie zurück zu Franks Wohnung nach Stickney brachte.

      Ric hatte den Whisky diesmal selbst aus dem Schrank geholt, setzte zwei Gläser hin und füllte sie zu einem Drittel.

      »So, das war kein schlechter Einstand«, sagte der rigorose Mann, fuhr sich durch sein strähniges, viel zu langes schwarzes Haar und blieb am Fenster stehen.

      »Ein idiotischer Job ist das, Frank, den du da hast.«

      »Ja, ja, ich weiß.«

      »Läßt dich da von dem Pack demütigen. Trabst wie ein Gaul umher, stehst dir an den Türen die Füße in den Leib, quatschst dir den Mund fusselig und bekommst schließlich die Tür vor der Nase zugeknallt. Dann mußt du dir von diesen Weibern noch Gemeinheiten an den Kopf werfen lassen. Mir wäre längst der Kragen geplatzt.«

      Frank nickte. Er hatte ja recht, der Vetter – und er glaubte, daß er Ric jetzt Dank schuldig sei. Dank dafür, daß er eingegriffen, ihn so verteidigt hatte gegen die Frau und ihre Bosheiten. Er hatte ihm aus dem Herzen gesprochen. Aber daß das andere passieren mußte, das mit dem Revolver, das war