Al Capone Staffel 2 – Kriminalroman. Al Cann

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Название Al Capone Staffel 2 – Kriminalroman
Автор произведения Al Cann
Жанр Языкознание
Серия Al Capone Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783863778156



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Eine kleine, armselige Bleibe aus der Zeit der Jahrhundertwende.

      Ric setzte den linken Zeigefinger auf die Klingel.

      Er mußte dreimal klingeln, ehe er hinter den Milchglasscheiben Licht aufflammen sah. Ein schlurfender Schritt näherte sich der Tür.

      »Wer ist denn da?« hörte er eine mürrische Männerstimme.

      »He, Frank, bist du’s?«

      Die Tür wurde geöffnet und von der Sperrkette wieder aufgefangen.

      »Wer sind Sie? Was wollen Sie um diese Zeit?«

      »Mensch, Frank, ich bin’s, Ric.«

      »Ric…?«

      Da wischte sich Frank Dillinger durch sein blasses, faltiges Gesicht, schloß die Tür, zog die Kette zurück und öffnete dem Vetter.

      Ric blickte in einen schmalen, düsteren Korridor und sah dann auf seinen Vetter.

      Frank Dillinger war dreiunddreißig Jahre alt, nur mittelgroß, hatte eine schmale, leicht vornübergebeugte Gestalt und kurzgeschorenes schwarzes Haar.

      »Mensch, Ric«, meinte er, während er seinen abgetragenen, verwaschenen grünen Bademantel am Hals zusammenhielt, »wo kommst du denn jetzt her?«

      »Na, woher schon, aus dem Wilden Westen, du weißt es doch.«

      »Aber was willst du denn hier?«

      Richard nahm seine Zigaretten heraus, schob sich eine zwischen die Zähne und riß ein Zündholz unter der Schuhsolhe an; genauso wie man es drüben im Westen hielt.

      Frank betrachtete ihn von oben bis unten und schüttelte den Kopf.

      »Mensch, das ist wirklich eine Überraschung«, meinte er und grinste. »Komm mit«, sagte er dann, schlurfte auf seinen Pantinen voran, öffnete am Ende des Flures eine Tür und knipste das Licht in der Wohnstube an. Eine 25er Sparbirne.

      Armseligkeit auch hier, genau wie daheim in St. Louis, dachte der Ankömmling und ließ sich in einen der drei abgeschabten Plüschsessel fallen.

      »Verdammt, wie spät ist es denn?« meinte Frank und warf einen Blick auf die Wanduhr. Sie war stehengeblieben.

      »Tja, ich muß sagen, ich bin wirklich überrascht.« Frank ließ sich nieder, erhob sich dann sofort wieder, ging zum Schrank und nahm eine Flasche mit Whisky heraus. Etwas Whisky besaß jeder Mann in dieser Stadt, auch der ärmste. Zu allen Zeiten.

      »Ich denke, wir werden erst einmal einen Drink nehmen.«

      »Nichts dagegen.«

      Sie saßen zwei Stunden da und sprachen über die alten Zeiten, die sie eigentlich gar nicht miteinander erlebt hatten. Sie sprachen über unwichtige Dinge, und schließlich meinte Frank, den die Müdigkeit gewaltig gepackt hatte:

      »Jetzt werde ich dir erst einmal ein Bett machen, und morgen früh sprechen wir weiter. Okay?«

      Ric nickte, erhob sich und trat ans Fenster. Er war immer noch im Mantel, und unter dem linken Arm hielt er den Gegenstand eingeklemmt, den er im Zug von St. Louis nach Chicago erbeutet hatte: die krokodillederne Damenhandtasche.

      Er stand am hochgeschobenen Fenster und rauchte, während Frank ihm mit nicht ganz zitterfreien Händen, die er immer nach dem dritten Drink bekam, das Lager bereitete.

      Als Ric allein war, schloß er die Tür ab und setzte sich aufs Sofa. Er nahm die Tasche unterm Mantel hervor, öffnete sie und blickte auf ihren Inhalt. Da gab es Lippenstifte, zwei Puderdosen, einen ziemlich großen Spiegel, ein kleines Nähetui, und dann war da das Portemonnaie, gefüllt mit Hartgeld. In einer Seitentasche steckten in Papier ganze fünfunddreißig Dollar.

      Dann war da eine Art Brieftasche, in der er zwei Fotografien fand. Die eine stellte die junge Frau dar, die er überfallen hatte. Auf der Rückseite stand der Name Suzan. Die andere zweigte das Kopfbild eines Mannes in den Zwanzigern, mit struppigem Haar und fremdländisch wirkendem Gesicht. Dann fand er in einer Seitentasche einen Brief. Er faltete ihn auseinander und blickte auf eine harte, steile, etwas nach links fallende Männerschrift.

      Darling,

      ich bete Dich an. Du bist mein Traum. Deine Küsse brennen noch auf meinen Lippen. Die Stunden mit Dir sind wie im Flug vergangen. Hoffentlich ist Dein Mann noch nicht zu Hause gewesen. Er bedroht unsere Liebe, ist eine ständige Gefahr für unsere große Leidenschaft. Übrigens habe ich den alten Kerl gestern zufällig auf der Western Avenue vor mir fahren sehen in seinem schweren blauen Chevy. Du hast recht. Er hat wirklich einen scheußlichen Stiernacken. Ein Ekel von einem Menschen. Aber wir müssen geduldig sein. Wir brauchen ihn ja.

      Ich habe Sehnsucht nach Deinen Zauberküssen und Deinen Umarmungen. Ich freue mich auf Freitag. Es bleibt doch bei sechs Uhr? Bei Jerry gibt’s das gute deutsche Bier. Wir essen zusammen, Eisbein, wenn du magst. Ich werde bis zur letzten Minute arbeiten müssen. Die Leute kaufen bekanntlich die meisten Autos kurz vor Feierabend. – Zieh Dein blaues Kostüm an. Du siehst so süß darin aus.

      Ich liebe dich, Suzan!

      Pawell

      Ric schüttelte den Kopf, faltete den Brief zusammen und schob ihn in die Tasche zurück. Dann nahm er das Geld heraus, steckte es in seine eigene Tasche, erhob sich und preßte die Handtasche zwischen Rückenteil und Sitzfläche der Couch. Als er sich ausgezogen und das Licht gelöscht hatte, blickte er auf die Lichtreflexe, die von den immer noch über den Asphalt zischenden Autos verursacht wurden. Sie tanzten über die Zimmerdecke, warfen ihre gespenstischen Bilder auf den dünnen Vorhang und verschwanden wieder.

      Gegen Morgen erst schlief er ein.

      Als Frank Dillinger sich erhob, hatte er einen schweren Kopf und stellte zu seinem Ärger fest, daß es schon halb zehn war. Er rasierte sich, vergaß das Waschen, ging in die Küche und stellte auf dem Gasherd das Kaffeewasser auf. Dann machte er sich geräuschvoll daran, seine Schuhe zu putzen, und weckte damit den Besucher. Erst als der plötzlich den Kopf durch die Küchentür schob, zuckte er zusammen.

      »Ach, Ric, Mensch, dich hatte ich ja völlig vergessen. Ja, was mache ich denn jetzt mit dir? Ich muß ja weg.«

      »Weg, wohin?«

      »Na, hör mal, du bist vielleicht gut. Ich habe einen Beruf.«

      »Ja, ja, natürlich. Was tust du denn?«

      »Ich bin Vertreter.«

      »Und was vertreibst du?«

      »Ja, wenn man es so nennen könnte, wäre es ganz gut. Ich versuche, etwas zu vertreiben, und zwar Toaster.« Er ging zu einer großen, schweren, unförmigen Tasche aus unechtem Leder, öffnete sie und zog einen vernickelten Apparat heraus, auf dem zwei Scheiben Brot getoastet werden konnten.

      »Menschenskind«, wunderte sich Ric, »ist denn so was überhaupt zu verkaufen?«

      »Tja, wie man’s nimmt. Manchmal ja, manchmal nicht.«

      »Und davon lebst du?«

      »Allerdings.«

      »Damned! Ist das ein saurer Job.«

      »Und wovon lebst du?« wollte Frank wissen.

      »Das weißt du doch. Ich bin Schlosser.«

      Frank nickte. »Sag mal«, meinte er, als er seinen Hut aufsetzte und mit seiner Tasche zur Tür schob, »wie lange bleibst du?«

      Da schob Ric die Küchentür zu, lehnte sich dagegen und zog den rechten Fuß an.

      »Weißt du«, erklärte er, »ich fahre nicht mehr zurück.«

      »Was soll das heißen?« Frank legte sein mürrisches Gesicht in womöglich noch tiefere Falten, näherte den Kopf der rechten Schulter und blickte den Vetter aus den Augenwinkeln an. »Wie soll ich das verstehen?«

      »Ich bleibe hier, ganz einfach hier.«

      »Und was willst du hier?«

      »Arbeiten.«