Название | Leopold von Ranke: Historiografische Werke |
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Автор произведения | Leopold von Ranke |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027206056 |
Die populären Stürme, die eine freie Verfassung zu begleiten pflegen, schildert Shakespeare an einigen römischen Ereignissen, bei denen er statt Holinshed Plutarch zugrunde legt. Mit Recht entnimmt er sie aus der Fremde, da die näherliegenden ein anderweites Interesse angeregt und doch nicht eine gleiche universale Bedeutung gehabt habe würden. Man könnte, um ein Beispiel anzuführen, dramatischer zugleich und beziehungsreicher sein als der Gegensatz jener Reden, durch welche zuerst die Ermordung Cäsars gerechtfertigt und dann das Andenken seiner Verdienste erneuert wird? Der Begriff der Freiheit, den die eine zum Bewußtsein bringt, wird mit dem Andenken an die Tugenden und Wohltaten dessen, der die Gewalt besaß, in Gegensatz gebracht und dadurch in den Hintergrund gedrängt; ebendies aber sind die tiefsten und wirksamsten Gefühle aller Zeiten und Nationen.
Aber die beglaubigten Überlieferungen aus alter und neuer Zeit genügen dem Dichter noch nicht, um alle Tiefen des menschlichen Daseins aufzuschließen; er führt uns in die nebelhaften, nur der Sage bekannten Regionen des britischen und nordischen Altertums, in denen noch andre Gegensätze der Persönlichkeit und der öffentlichen Dinge zur Erscheinung kommen. Ein König tritt auf, der aus der Fülle des Genusses und der Macht durch übereiltes Zutrauen zu den ihm zunächst Angehörigen in das äußerste Elend gerät, das Menschen betreffen kann; ein Thronerbe, der durch den Mörder seines Vaters und seine eigene Mutter aus seinem Rechte gesetzt, durch geheimnisvolle Impulse angewiesen wird, ihn zu rächen; ein Magnat, der sich durch verruchten Mord des Thrones bemächtigt hat und im Kampfe dafür unterliegt. Der Dichter führt uns in die unmittelbare Nähe des Verbrechens, seiner Vollziehung und seiner Rückwirkung; es erscheint als eine Eingebung der Hölle und ihrer trügerischen Prophezeiungen; wir wandern auf den Konfinien der sichtbaren und einer andern von jenseit her in dieselbe eingreifenden Welt, welche zugleich die Grenzen zwischen Bewußtsein und Wahnsinn sind. Die Abgründe des menschlichen Gemütes tun sich auf, wo es durch unbewußt ihm innewohnende Naturgewalten gefesselt und zugrunde gerichtet wird; alle Fragen über Sein und Nichtsein, Himmel, Hölle und Erde, Freiheit und Notwendigkeit werden in diesen Kämpfen um das Diadem angeschlagen. Selbst die zartesten Gefühle, welche menschliche Seelen aneinander fesseln, liebt er auf dem Hintergründe politischen Lebens erscheinen zu lassen; dann folgt man ihm aus den Nebeln des Nordens in das sonnige Italien.
Shakespeare ist eine geistige Naturkraft, die den Schleier wegnimmt, durch welchen das Innere der Handlung und ihre Motive dem gewöhnlichen Auge verborgen werden. Seine Werke bieten eine Erweiterung des menschlichen Gesichtskreises über das geheimnisvolle Wesen der Dinge und der menschlichen Seele dar, durch die sie selbst zu einer großen historischen Erscheinung werden. Wir erörtern hier nicht die Art und Kunst Shakespeares, ihre Vorzüge oder Mängel; sie hing ohne Zweifel mit den Bedürfnissen, Gewohnheiten und der Sinnesweise seines Publikums zusammen; denn wo gäbe es eine stärkere Wechselwirkung zwischen Autor und Publikum als in einer auf freier Teilnahme beruhenden jungen Bühne? Ihre Regellosigkeit erleichterte sogar die sinnliche Vergegenwärtigung, durch welche hier das Großartigste und Gewaltigste in der Verflechtung großer und kleiner Dinge, die dem menschlichen Wesen eigen ist, wie in unmittelbarer Erscheinung vor die Augen gebracht wird. Der Genius ist eine unabhängige Gabe Gottes; daß er aber zur Entfaltung kommt, dazu gehört die Empfänglichkeit und der Sinn der Zeitgenossen.
Nichts Geringes ist es fürwahr, wenn bald nach der Thronbesteigung Jakobs I., der das Theater liebte wie seine Vorgängerin, König Lear auf die Bühne gebracht wurde und Franz Bacon ihm sein Werk über die Förderung der Wissenschaften widmete, beides 1605. Von diesen Geistern prägte der eine Tradition, Poesie und Weltanschauung der Vergangenheit in unvergänglichen Gestalten aus; der andere bannte die Analogien derselben von dem Gebiete der Wissenschaft und brach der die Natur überwindenden Tätigkeit der folgenden Jahrhunderte und einer neuen Weltanschauung Bahn.
Ihnen zur Seite arbeiteten viele andre. Die Naturforschung hatte bereits auf dem von Bacon angegebenen Wege begonnen und fand besonders in den höheren Ständen lebendige Teilnahme; neben Shakespeare hat man auch die minder namhaften Poeten der Zeit niemals vergessen. In manchen andern Zweigen wurden gediegene Werke geschrieben, welche die Grundlage späterer Studien gebildet haben. Ihr Charakter liegt in der Vereinigung der Kunde des Einzelnen, das in seiner Besonderheit festgehalten wird, mit einem auf das Allgemeine gerichteten wissenschaftlichen Bestreben.
Es waren die Tage der Meeresstille zwischen den Stürmen, wie man wohl gesagt hat, halcyonische Zeiten,197 in denen der Genius Freiheit der Stimmung genug behielt, um sich mit aller seiner Kraft großen Schöpfungen zu widmen. Wie der deutsche Geist im Zeitalter der Reformation, so nahm der englische im Anfang des 17. Jahrhunderts seine Stelle unter den wetteifernden Nationalitäten ein, die auf dem Boden der abendländischen Christenheit sich voneinander sonderten, und auf deren Anstrengungen der Fortschritt des menschlichen Geschlechts beruht.
21. Heinrich IV., König von Frankreich
Französische Geschichte II, Werke Bd. 9, S. 74 ff. 108 ff.
Heinrich IV. war von Gewerbe ein Kriegsmann. Außer den großen Schlachten, die ihn berühmt gemacht haben, will man bei 200 kleinere Gefechte zählen, an denen er teilgenommen habe. Vor allen Kriegsführern zeichnete ihn zweierlei aus: ein freudiger Mut, der sich von ihm über seine Kapitäne und das Heer ausbreitete, und der rasche Blick, mit dem er die Bewegung, die Stärke, selbst die Haltung seiner Feinde ermaß. Alexander von Parma hat ihn mit dem Adler verglichen: so aus weiter Ferne erschaue er seine Beute, so mit sicherer Geschwindigkeit stürze er sich auf dieselbe los. Andre nahmen an ihm eine besondere Geschicklichkeit wahr, seiner Schlachtordnung die für jede Lage angemessene Form zu geben. Im Gefecht bewies er eine Bravour, die alles mit sich fortriß; war es aber vorüber, so wollte er von der Sache nichts mehr hören. Als man ihm das Schwert brachte, das er bei Ivry geschwungen, blutig wie es war und schartig, wandte er mit einer Art von Abscheu vor einem Tun, wozu Beruf und Notwendigkeit ihn gedrungen hatten, seine Augen weg. Beim Tode Heinrichs III. hat man ihm einmal den Rat gegeben, einen Orden der Rache zu stiften, und wohl möglich, daß er damit die persönlichen Anhänger des Ermordeten an sich gefesselt hätte, aber aus voller Seele verwarf er dies; nichts war ihm von Natur so widerwärtig wie Rachsucht. Er verabscheute die verräterischen Unternehmungen des einen gegen den andern, die damals an der Tagesordnung waren, denn aus dem Bösen könne nie das Gute entspringen. Wie viel lieber lieh er denen sein Ohr, die ihm von den glücklichen Folgen ergangener Amnestien, besonders aus der alten Zeit, die damals jedermann im Gedächtnis war,198 erzählten. Er wollte nur den guten Krieg und dessen Ziel, den Frieden.
Nachdem er den Platz behauptet und die Parteien, wenn nicht ausgesöhnt, doch beruhigt hatte, konnte er nicht leiden, daß einer dem andern die während der Ligue begangenen Fehler vorwarf; das Vergangene sollte vergangen sein. Er selbst trug kein Bedenken, Männer im höchsten Rate zu dulden, die einst der Ligue gedient hatten, wie Villeroy. Dieser Minister zeigte auch jetzt Vorliebe für die streng kirchlichen Ideen; er war ein Freund und Beförderer der Jesuiten, aber daran ließ sich doch nicht zweifeln, daß ihm das Interesse seines Herrn höher ging als jedes andre. Er besaß die Sicherheit politischer Geschäftsführung, die aus langer Erfahrung entspring,199 und beherrschte