Название | Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band |
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Автор произведения | Walther Kabel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075831101 |
»Ja, eine Kiste stand da wohl unter dem Fenster,« meinte er zögernd.
»Stand? Aha – sie ist weggeschafft worden, nicht wahr, – in der verflossenen Nacht?«
»Gott steh’ mir bei, Herr Sekretär …! Weshalb sollte sie denn weggebracht sein – und gar noch nachts?! – Ich verstehe das alles nicht – keine Spur davon verstehe ich! Schon gestern war das Fräulein so – so komisch, und nun – nun …« Er schüttelte immer wieder den Kopf.
»Also die Kiste ist noch nach?« fragte Fritz Melcher gespannt.
»Ja doch – natürlich! – Aber nun müssen Sie mir auch eine Frage erlauben, Herr Sekretär. Was bedeutet dies alles? Woher wußte das Fräulein von dem verschlossenen Zimmer, woher von der Kiste? – Sehen Sie, die verstorbene Frau Hölsch – sie ließ sich nie gnädige Frau nennen, obwohl’s doch eine feingebildete Dame war, wenn auch aus einer Bauernfamilie – hatte nie zu jemandem über das Zimmer gesprochen, nicht mal zu uns, meiner Frau und mir. Und jetzt – jetzt …! Nein – ich werde daraus nicht klug.«
»Lieber Herr Parlitz, wenn ich geahnt hätte, daß Fräulein Hölsch Ihnen bisher nichts von den …« – er wollte sagen ›anonymen Briefen‹, verbesserte sich aber – »nichts von den Gründen ihres Interesses für das erwähnte Zimmer erzählt hat, so hätte ich mich jeder Frage über diese Angelegenheit enthalten. Bitte sprechen Sie also auch unter diesen Umständen zu niemandem von diesen Dingen – verstanden?!«
»Jawohl, Herr Sekretär,« erwiderte der Alte sehr einsilbig.
Da fuhr der Wagen auch schon vor der Veranda vor. – –
Im neuen Flügel waren die vier Zimmer für die Gäste und die Herrin hergerichtet worden. Oben sollten die drei Damen schlafen, unten in der Stube nach dem Hofe hinaus der blonde Sekretär, während das Kontor und die Veranda als gemeinsames Speise- und Wohnzimmer bestimmt waren.
Die vier Bekannten hatten nach dem Abendbrot noch bis gegen elf Uhr in der Veranda gesessen und geplaudert. Irma war es, die wie von selbst auf das verschlossenen Zimmer zu sprechen kam. Sie hatte genau erzählt, wie sie es vorgefunden hatte, und dann an Fritz Melcher die Frage gerichtet, ob es nicht ratsam wäre, die Kiste zu öffnen.
Der Polizeisekretär war recht nachdenklich geworden, als sie den scharfen Chlorkalkgeruch erwähnt hatte, und einer bestimmten Antwort ausgewichen, indem er meinte, man solle die Sache doch lieber erst morgen in Ruhe erörtern. Ganz unwillkürlich war ihm hierbei die Äußerung entschlüpft, wie schade es wäre, daß man jetzt nicht Egon Larisch zu Rate ziehen konnte. Worauf Hedwig sofort erklärte, man brauche ja nur an ihn zu schreiben. Frau Pergament würde den Brief schon weiterbefördern.
Irma hatte es einen kleinen Stich gegeben, als sie hörte, Larisch wäre nicht mehr in Berlin. Dann war sie schnell auf ein anderes Thema übergegangen, nachdem sie geäußert hatte, man könne ja morgen die Angelegenheit besprechen.
Nun hatten die Damen sich soeben nach oben in ihre Zimmer zurückgezogen, und auch Fritz Melcher begann bereits, es sich in seiner Stube bequem zu machen. Gerade hatte er Rock und Weste abgelegt, als es an eines der beiden Fenster klopfte, – recht kräftig sogar. –
Kerlchen knurrte, und Melcher fuhr leicht zusammen. Sofort dachte er an den alten Parlitz. Wer sollte es auch sonst ein?!
Die Fenster hatten von innen feste Holzläden. Als er nun den Verschlußhebel beiseite schob, klopfte es abermals.
Fritz Melcher nahm die Petroleumlampe und leuchtete hinaus. – Ja – es war der Alte, der ihm dann durch den geöffneten Fensterflügel zuflüsterte, er solle sofort die Lampe auslöschen.
Parlitz hatte sich eine kurze Leiter gegen die Mauer gelehnt, da die Fenster des Erdgeschosses ziemlich hoch lagen, kletterte jetzt recht gewandt für sein Alter in das Zimmer hinein und schloß dann Fenster und Laden hinter sich.
Ein Streichholz kratzte auf der Reibefläche, flammte auf, und gleich darauf brannte auch die Lampe wieder.
Der blonde Sekretär war gespannt, was des Alten später Besuch zu bedeuten haben könne. Erst hatte er daran gedacht, daß Parlitz vielleicht wegen des verschlossenen Zimmers käme – aus Neugierde. Dann aber sagte er sich, daß die näheren Begleitumstände dieses Eindringens in seine Schlafstube doch wohl ernstere Ursachen haben müßten.
Und – Parlitz sah wahrhaftig ganz blaß aus, beinahe verstört.
»Was gibt’s denn?« fragte Melcher jetzt etwas ungeduldig den Alten, der eben sein rotes Taschentuch um die Lampenglocke knotete und mit zitternden Fingern den Docht niedriger schraubte.
Parlitz setzte sich schwerfällig auf den nächsten Stuhl und kraute dem Wolfspitz den schöngezeichneten Kopf, da Kerlchen sich sofort schmeichelnd an den Beinen des alten Mannes gerieben hatte, mit dem auf Grund verschiedener ihm gespendeter noch Fleischbehafteter Knochen bereits eine dicke Freundschaft zustande gekommen war.
Er war ganz geistesabwesend, der arme Martin, und Melcher mußte seine Frage wiederholen, ehe er eine Antwort erhielt.
»Ich – ich habe ein Gespenst gesehen,« sagte der Alte leise, indem er scheu nach dem Fenster blickte.
Melcher hätte am liebsten aufgelacht. Aber das Gesicht des wackeren Parlitz war so bleich, daß der Sekretär nur meinte:
»Na, na – ein Gespenst?! Sie sind doch ein alter Kavallerist, Parlitz, sogar Ulan, vor denen die Franzosen 70/71 so schön ausrissen …! Da glaubt man doch nicht an solchen Unsinn.«
Der Alte reckte sich höher.
»Mir ist der Schreck nur so in die Glieder gefahren. Ich bin noch ganz verdattert – wahrhaftig!«
Melcher hatte ein Reisefläschchen mit Kognak vorhin auf den Tisch gestellt. Und Parlitz warf jetzt einen so sehnsüchtigen Blick auf das Stärkungsmittel, daß der Sekretär sofort die Situation richtig auffaßte.
Nachdem der Alte ein halbes, allerdings kleines Wasserglas hinuntergekippt hatte, erzählte er nun folgendes.
Er war vor fünf Minuten im Pferdestall gewesen, um den Gäulen, die sich warm gelaufen hatten, die Decken abzunehmen. Wie er dann aus dem Stall auf den Hof hinaustrat, hatte er vor dem Turm eine lange, dunkle Gestalt bemerkt, die gerade im hellen Mondlicht stand. Auf seinen Anruf war das ›Gespenst‹ lautlos im Schatten des Turmes ver–schwunden.
»Ich dachte sofort an dies Diebsgesindel, die Zigeuner, lief, die brennende Petroleumlaterne in der Linken, auf jene Stelle zu, sah aber nichts mehr, obwohl die Gestalt weder nach rechts noch links ausweichen konnte, da sie sonst wieder in das Mondlicht geraten wäre. –
Wie gesagt, Herr Sekretär, – die Sache schien mir nicht mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Wo war der Mensch geblieben, – falls es eben ein Mensch gewesen ist, – wo?! Ich hätte den Kerl sehen müssen, finden müssen, ganz sicher! Aber – nichts – nichts … Und da wurde mir mit einem Male himmelangst. Ich bin kein Hasenfuß, nein, das müssen Sie nicht glauben, und doch …« Er schwieg plötzlich und lauschte. Auch Fritz Melcher hörte jetzt die schmale Treppe knarren, die hier im neuen Flügel die oberen und unteren Räume verband.
»Es kommt jemand von den Damen,« flüsterte der Alte. »Da – es klopft …«
Fritz Melcher zog schnell den Rock über, öffnete.
Es war Thilde mit einem brennenden Licht in der Hand, – Thilde, und auch ganz blaß …
»Fritz – um Gottes willen, komm’ nach oben. Irma ist ohnmächtig geworden. Sie hat irgend etwas im Flur gesehen, – eine lange, dunkle Gestalt. Sie wollte uns noch ein paar Äpfel aus einem der leeren Zimmer holen, und da … da hörten wir sie mit einem Mal leise aufschreien, und sie kam uns entgegengewankt, konnte nur noch stammeln ›Ein Dieb – eine Gestalt – schwarz –‹ – … und fiel Hedwig in die Arme … Komm’ sofort – sofort …!«
Zu vieren