Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel

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Название Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075831101



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wandte sich an die Mießtaler.

      »Natürlich ist der Monteur der Dieb gewesen. Ich werde sofort zur nächsten Polizeiwache gehen und Anzeige erstatten,« sagte sie.

      Dann wurde sie erst gewahr, wie blaß die magere Frau ausschaute. Und begünstigend fügte sie hinzu:

      »Regen Sie sich nur nicht auf, Frau Rat. Die vierzig Mark werde ich schon verschmerzen.

      Die Mießtaler nickte zerstreut. In ihren Augen war ein ganz ungewohnter Ausdruck von innerer Angst. Dann stotterte sie geistesabwesend hervor:

      »Nein – was man alles erlebt …! Ja, ja – Berlin – Berlin!« Und sie beseufzte tief die Lasterhaftigkeit der Millionenstadt.

      »Merkwürdig, daß der Spitzbube die goldene Kette nicht auch mitgenommen hat,« meinte Irma, und ließ dieses einzige Andenken an ihre Mutter spielend durch die Flieger gleiten. »Es ist doch immerhin Gold, und einige fünfzig Mark dürfte die Kette wohl wert sein.«

      Die Kanzleirätin stierte jetzt wie hypnotisiert auf die offene Kassette.

      »Da – auf dem obersten Papier ist ein frischer Blutfleck,« sagte sie zögernd. »Vielleicht hat der Spitzbube sich bei seiner Diebsarbeit verletzt.«

      Irma hatte den roten Fleck schon vorhin bemerkt. Aber jetzt bemerkte sie noch etwas anderes! Die Mießtaler hatte um den rechten Zeigefinger ein ganz frisches Leinenläppchen gewickelt, also sich wohl geschnitten! Das Läppchen war jedoch noch nicht da gewesen, als sie Irma nachmittags den Brief des Amtsgerichts hineingereicht hatte. Darauf besann die junge Lehrerin sich ganz genau. Und nun war sie es, die wie gebannt, geistig förmlich gefangen genommen von einer mißtrauischen Ideenverbindung, auf den verbundenen Finger schaute. Dann hob sie den Blick. Zwei Augenpaare begegneten sich. Und die Rätin war im Gesicht jetzt ebenso weiß wie das unscheinbare Läppchen.

      Plötzlich verschwand der rechte Arm der Mießtaler mit einer hastigen, vielleicht ganz unwillkürlichen Bewegung auf dem Rücken, während sie undeutlich stammelte …: »Ich habe ja Milch auf dem Feuer. Entschuldigen Sie …« Und sie eilte hinaus. Den rechten Arm aber hatte sie wieder nach vorn genommen.

      Irma Hölsch blickte ihr kopfschüttelnd nach. Sollte etwa …?! – Nein, – niemals! Mochte die magere Frau auch über alle Maßen neugierig sein, – stehlen, – dazu war sie doch nicht fähig.

      Die junge Lehrerin schloß die Kassette in ihren Plattenkoffer ein, der ein Patentschloß hatte. Dann sah sie nach der Uhr. – Schon halb acht! – Eigentlich hätte sie auch so wissen müssen, daß ihre gewöhnliche Abendbrotzeit da war. Sie hatte recht ordentlich Hunger. – Ob sie wirklich gleich nach der Polizeiwache gehen sollte …?! – Unschlüssig unterzog sie ihre in der Ofenröhre aufbewahrten Eßvorräte einer kurzen Musterung. –

      Dann ein anderer Gedanke. Heute konnte sie doch eigentlich mal leichtsinnig sein und sich ein warmes Abendessen auf die Erbschaft hin leisten …! Das Zipfelchen Wurst und der trockene Käse lockten nicht gerade sehr.

      So fügte es sich, daß Irma Hölsch eine Viertelstunde später die Restaurationsräume des ›Nordwest Hotel‹ in der Turmstraße betrat. Es war dies das einzige Lokal, das in Moabit für eine junge Dame in Betracht kam. Irma war schon häufiger, zumeist in Gesellschaft der Geschwister Melcher, dort gewesen.

      Die Tische waren sämtlich besetzt, selbst in dem langgestreckten Nebenraum. Irma wollte schon enttäuscht wieder fortgehen, da sie sich nicht zu Fremden setzen mochte, als ein an einem kleinen Tischchen sitzender Herr sich schnell erhob und auf sie zukam.

      »Darf ich Ihnen einen Platz bei mir anbieten, gnädiges Fräulein?« fragte Egon Larisch sehr höflich, aber auch mit jener etwas überlegenen Sicherheit, die durch all seine liebenswürdige Bescheidenheit hindurchleuchtete. Und leise fügt er hinzu: »Fritz Melcher hatte die drei Briefe schon ausgehändigt.«

      Irma verstand sofort, was Larisch mit dieser Bemerkung andeuten wollte: ›Bisher hast du dich am Mittagstisch der Frau Mikla mir gegenüber ablehnend wie eine Fürstin verhalten. Jetzt brauchst du mich. Und wir können diese zufällige Begegnung gleich dazu benutzen, die bewußte Sache persönlich durchzusprechen.‹

      Und Irma erwiderte daher auch:

      »Sehr liebenswürdig, Herr Larisch. – Ich wollte hier nur zu Abend essen.«

      Dann nahm er ihr den halblangen Frühjahrsmantel und dem Schirm ab und rückte ihr einen Stuhl zurecht. Dann ließ er die Speisekarte bringen, fragte, was sie trinken wolle, und bestellte bei dem Kellner nach ihren Angaben.

      Seine zwanglose Art zerstreute schnell jede Spur von Verlegenheit bei ihr. Irma Hölsch war ja auch schon recht früh an die Selbstständigkeit des alleinstehenden Weibes gewöhnt worden, – vielleicht gerade dadurch, daß sie so ganz unter Fremden aufgewachsen war.

      Verstohlenen betrachtete sie Egon Larisch jetzt genauer, – zum erstenmal, denn in dem stets halbdunklen großen Eßzimmer der Frau Mikla hatte sie hierzu kaum Gelegenheit gehabt.

      Sie mußte sich eingestehen, daß der Schriftsteller das besaß, was auf viele Frauen mehr wirkt als ein regelmäßiges, sogenanntes ›schönes‹ Gesicht, – eben einen Charakterkopf von imponierender Häßlichkeit. Am meisten fiel an diesem mageren Antlitz wohl das breite, vorspringende Kinn auf, über dem wie eine lange Kerbe der schmallippige, viel zu große Mund lag. Auch die Nase war reichlich lang, leicht gebogen, aber dünn wie ein Messerrücken, während die Stirn wieder mit dem Polizeiausdruck ›gewöhnlich‹ am besten gekennzeichnet wurde. Anders die Augen. Die waren wirklich recht ausdrucksvoll, groß, dunkel und wirkten gerade im Gegensatz zu dem blonden, gescheitelten Kopfhaar und den hellen, kräftigen Brauen besonders leuchtend und lebendig.

      Während er in leichtem Plaudertone jetzt von seinem dreijährigen Münchener Aufenthalt erzählte, versuchte Irma sich darüber klar zu werden, weshalb ihr dieser Mann, den sie zunächst bei Frau Mikla als eine Zufallsbekanntschaft kaum beachtet hatte, trotz dieser ganz oberflächlichen Beziehungen sehr bald geradezu unsympathisch geworden war, wozu doch gar kein Grund vorlag. Hatte er sie doch stets in einer Weise behandelt, wie sie es als Dame verlangen konnte, wenn er auch kein Hehl daraus gemacht hatte, daß er ihrer eigenartigen Schönheit huldigen zu dürfen glaubte, so durch allerlei kleine Aufmerksamkeiten bei Tisch und durch unermüdliche Versuche, sein kühles Gegenüber in ein Gespräch zu ziehen.

      Irma sann vergeblich über die Ursachen dieser leichten Abneigung nach. Vielleicht – ja vielleicht beruhte diese darauf, daß das Weib in ihr hier in dieser Persönlichkeit die starke, selbstbewußte und berechtigte Überlegenheit des Mannes spürte und daß aus einem ebenso starken Selbstständigkeitsgefühl heraus sich ihr Geist dagegen sträubte, diese Überlegenheit anzuerkennen.

      Zu wirklich Klarheit schaffendem Grübeln ließ ihr Egon Larisch auch kaum Zeit. Aus einem trefflicheren Feingefühl heraus suchte er den Ton zwischen ihnen, während Irma jetzt Suppe und Braten verzehrte, auf eine gewisse kameradschaftliche Note abzustimmen, – eben damit das junge Mädchen bei den bevorstehenden Erörterungen über die geheimnisvollen Schreiben nicht mehr das Empfinden haben sollte, einem Wildfremden ihre verborgensten Gedanken über diese Sache anvertrauen zu müssen. Und dasselbe Feingefühl bestimmte ihn dazu, erst nachher, als Irma ihre Mahlzeit beendet und sich noch eine Tasse Kaffee bestellt hatte, auf die ›treue Hand‹ zu sprechen zu kommen.

      Inzwischen hatte Irma über Egon Larisch und dessen Beziehungen zu Melchers doch so manches durch unaufdringliche, in die Unterhaltung zwanglos eingestreute Fragen erfahren, daß ihr ihrer Freundin Hedwig heutiges Benehmen noch seltsamer und rätselhafter erschien.

      Der junge Schriftsteller – Irma schätzte ihn auf vielleicht dreißig Jahre, obwohl er eigentlich jünger aussah und nur seine ganze Art sich zu geben diese Annahme beeinflußt hatte – war plötzlich als geborener Berliner, wie er andeutete, drunten in München von einer nicht zu überwindenden Sehnsucht nach dem großzügigeren Leben der Reichshauptstadt gepackt worden und hatte kurz entschlossen dann sein Bündel geschnürt, um wieder mal in der alten Heimat seine Zelte aufzuschlagen. Der Briefwechsel mit Fritz Melcher war schon lange gänzlich eingeschlafen, und erst die Übersiedlung nach Berlin hatte