Название | Rot und Schwarz |
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Автор произведения | Стендаль |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961180882 |
Es hatte längst Mitternacht geschlagen. Man musste endlich den Garten verlassen, und die beiden trennten sich. Im Banne ihres Liebesglückes und in ihrer Unerfahrenheit dachte sie an keinen Selbstvorwurf. Vor Seligkeit vermochte sie nicht einzuschlummern. Julian hingegen fiel in einen bleischweren Schlaf, todmüde von den Kämpfen zwischen Zaghaftigkeit und Stolz, die den ganzen Tag über sein Herz erfüllt hatten.
Am andern Morgen weckte man ihn um fünf Uhr. Keiner seiner Gedanken galt Frau von Rênal. Welch grausame Erkenntnis wäre dies für sie gewesen!
Er hatte seine Pflicht erfüllt: eine Heldenpflicht.
In seinem Glücksgefühl schloss er sich in sein Zimmer ein und vertiefte sich mit gewandeltem Genuss in die Taten seines Herrn und Meisters.
Als es zum Frühstück läutete, hatte er über den Bulletins der Großen Armee alle seine eigenen Siege von gestern vergessen. Beim Hinuntergehen nach dem großen Zimmer im Erdgeschoß sagte er leichtfertig zu sich: »Ich muss der Frau sagen, dass ich sie liebe.«
Aber statt der liebesseligen Blicke, die er erwartet, sah er sich vor der gestrengen Miene des Bürgermeisters, der vor zwei Stunden aus Verrières angekommen war und durchaus kein Hehl aus seiner Unzufriedenheit darüber machte, dass Julian den ganzen Vormittag vertrödelt hatte, ohne sich um die Kinder zu kümmern. Der sonst so gravitätische Herr von Rênal war der unangenehmste Mensch, wenn er schlechte Laune hatte und Gelegenheit fand, sie an jemandem auszulassen.
Jedes scharfe Wort ihres Mannes versetzte Frau von Rênal einen Stich ins Herz. Julian indes war in Ekstase. Die gewaltigen Begebnisse, die ihn in den beiden Stunden beschäftigt hatten, flammten noch vor seiner Phantasie. Es fiel ihm schwer, sich so weit herabzulassen, dass er die groben Vorwürfe des Herrn von Rênal aufnahm. Endlich gab er eine Antwort, schroff und jäh: »Mir war nicht wohl.«
Der Ton dieser Ausrede hätte auch einen weit weniger empfindlichen Menschen als den Bürgermeister geärgert. Es fehlte nicht viel, so hätte er ihn daraufhin ohne weiteres von dannen gejagt. Lediglich sein Grundsatz, sich in Geschäftssachen niemals zu übereilen, hielt ihn davon zurück. Im nächsten Augenblick sagte er sich bereits: »Dieser dumme Junge hat sich in meinem Hause ein gewisses Renommee begründet. Valenod nähme ihn gewiss. Oder er heiratet die Elise. In beiden Fällen lacht er mich insgeheim aus.«
Trotz dieser klugen Überlegung entlud sich seine Unzufriedenheit in einer Flut von Grobheiten über Julian, die diesen allmählich in Zorn brachten. Frau von Rênal war dem Weinen nahe. Kaum war das Frühstück zu Ende, da bat sie Julian, an ihrem Spaziergang teilzunehmen.
Unterwegs nahm sie freundschaftlich seinen Arm und plauderte zu ihm. Julian erwiderte nichts als einmal halblaut die Worte: »Ja, so sind sie, die reichen Leute!«
Dicht neben den beiden ging Herr von Rênal. Seine Gegenwart vermehrte Julians Ingrimm. Und mit einem Male ward er sich bewusst, dass sich Frau von Rênal mehr denn nötig auf ihn stützte. Diese Annäherung widerte ihn an. Er stieß sie brüsk von sich und machte seinen Arm frei.
Glücklicherweise entging Herrn von Rênal diese neue Unverschämtheit. Nur Frau Derville bemerkte den kleinen Vorfall. Ihrer Freundin kamen die Tränen in die Augen. In diesem Augenblick nahm der Bürgermeister ein paar Steine auf und verjagte damit ein Bauernmädchen, das auf einem verbotenen Weg dahinging, quer über einen Zipfel des Obstgartens. Rasch sagte Frau Derville: »Herr Julian, mäßigen Sie sich, bitte! Bedenken Sie, dass wir alle unsre Launen haben!«
Julian warf ihr einen eiskalten Blick zu. In seinen Augen gleißte die souveränste Verachtung.
Frau Derville stutzte. Sie wäre tief erschrocken, wenn sie die volle Bedeutung seines Blickes erfaßt, wenn sie die vage Hoffnung auf grässliche Vergeltung daraus gelesen hätte. Solche Momente der Demütigung erzeugen die großen Revolutionäre.
»Euer Julian ist recht rabiat«, flüsterte Frau Derville ihrer Freundin zu. »Mir graut vor ihm.«
»Er hat auch Anlass, aufgebracht zu sein«, gab Frau von Rênal zur Antwort. »Bei den erstaunlichen Fortschritten, die ihm die Kinder verdanken, kann er schon einmal einen Vormittag sich selber widmen. Die Männer sind wirklich rücksichtslos.«
Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand Frau von Rênal Rachsucht gegen ihren Mann. Julians wilder Hass gegen die Reichen war nahe daran auszubrechen. Zum Glück sah Herr von Rênal just den Gärtner, rief ihn her und machte sich zusammen mit ihm daran, den verbotenen Weg durch eine Dornenhecke zu sperren.
Julian erwiderte kein einziges Wort auf alle die Freundlichkeiten, die ihm die beiden Damen auf dem weiteren Spaziergang angedeihen ließen. Der Bürgermeister war kaum aus der Sehweite, als ihn beide, unter dem Verwände, müde zu sein, um seinen Arm baten.
So schritt Julian zwischen den beiden Frauen hin, die beide vor Erregung und Verlegenheit glühende Wangen bekommen hatten, während er totenblass aussah, düster und verbissen. Ein eigentümlicher Gegensatz! Er verachtete diese Weiber und alle ihre Empfindsamkeit.
»Ach!« stöhnte er im stillen. »Wenn ich nur lumpige fünfhundert Franken Zinsen im Jahre hätte und mein Studium vollenden könnte! Dann pfiffe ich auf diesen Rênal!«
In so bitteren Gedanken verloren, dünkte Julian selbst das wenige, was von den freundlichen Reden der beiden Freundinnen überhaupt in sein Gehör drang, sinnlos, albern, fad, mit einem Worte: weibisch.
Frau von Rênal gab sich die größte Mühe, das Gespräch im Fluss zu erhalten. Sie sprach von allem möglichen, und so erzählte sie unter anderm, ihr Mann sei diesmal aus Verrières gekommen, um von einem seiner Pächter Maisstroh zu kaufen. In jener Gegend werden nämlich die Matratzen mit solchem Stroh gefüllt.
»Mein Mann wird uns nicht nachkommen«, erklärte sie. »Er wird jetzt dabei sein, mit dem Gärtner und dem Diener die Matratzen im ganzen Hause frisch zu füllen. Heute Vormittag sind sämtliche Betten im ersten Stock fertig geworden. Nun kommen die im zweiten dran.«
Julian ward feuerrot und sah Frau von Rênal mit einem sonderbaren Blick an. Indem er seine Schritte verdoppelte, suchte er allein mit ihr zu sein. Frau Derville ließ die beiden vorausgehen.
»Retten Sie mir die Existenz!« bat er Frau von Rênal. »Sie, nur Sie können es. Sie wissen doch, dass mich der Diener in den Tod hasst. Gnädige Frau, ich muss Ihnen etwas gestehen. Ich habe im Stroh meines Bettes ein Bild versteckt.«
Frau von Rênal wurde bei diesem Geständnis leichenblass.
Julian fuhr fort: »Nur Sie, gnädige Frau, nur Sie können in mein Zimmer. Wühlen Sie, ohne dass es jemand merkt, in der Ecke des Strohsacks, in der nach dem Fenster zu! Da drinnen finden Sie eine kleine flache schwarze Pappschachtel…«
»Mit einem Bild darin?« stammelte Frau von Rênal. Sie vermochte sich kaum noch aufrecht zu erhalten.
Julian bemerkte die Verzweiflung in ihren Mienen und machte sich dies sofort zunutze.
»Ich habe noch eine Bitte, gnädige Frau. Um alles in der Welt, sehen Sie sich das Bild nicht an! Es ist mein Geheimnis.«
»Ein Geheimnis!« wiederholte Frau von Rênal mit ersterbender Stimme.
Sie war zwar unter Leuten aufgewachsen, die auf ihren Reichtum eingebildet und nur im Geldpunkt empfindlich waren, doch zugleich mit der Liebe hatte auch der Edelmut in ihrem Herzen Einzug gehalten. Tiefer Schmerz erfüllte sie, aber im Tone schlichtester Demut bat sie um nochmalige Unterweisung, um den Auftrag auf jeden Fall erfüllen zu können.
Im Weggehen wiederholte sie: »Also eine kleine runde Schachtel, aus schwarzer Pappe, flach und glatt…«
»Jawohl, gnädige Frau!« bestätigte ihr Julian hart und rau, wie Männer in Gefahr sprechen.
Sie