Rot und Schwarz. Стендаль

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Название Rot und Schwarz
Автор произведения Стендаль
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961180882



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von nichts anderem. Daher trat trotz der Gemeinsamkeit ihres Lebens immer eine sonderbare Stille ein, sobald sie beide allein waren. So demütig sein Benehmen in Gegenwart andrer auch war, Frau von Rênal las in seinen Augen eine gewisse geistige Überlegenheit vor jedwedem, der in ihr Haus kam. Allein aber mit ihm, sah sie seine sichtliche Verlegenheit; sie beunruhigte sich darob, denn ihr Frauensinn sagte ihr, dass diese Verlegenheit keinesfalls ein zärtliches Motiv hatte.

      Nach der Erzählung des alten Stabsarztes hatte sich in Julian eine sonderbare Vorstellung von der guten Gesellschaft gebildet; infolge davon bemächtigte sich seiner, wenn in Gegenwart einer Dame die Unterhaltung stockte, ein peinliches Gefühl. Er bildete sich ein, er trage die Schuld an diesem Schweigen. Am qualvollsten war ihm diese Empfindung unter vier Augen. Sein Hirn war der Tummelplatz der abenteuerlichsten und närrischsten Dinge, von denen ein Mann zu reden habe, wenn er mit einer Dame allein sei. Aber was er in seiner Verwirrung herausgriff, war unanbringbar. Seine Seele schwebte in den Sternen, und so vermochte er das ihn so arg demütigende Stillschweigen nicht zu brechen. Durch diese unerträglichen Qualen wurde sein ernstes Wesen auf den Wanderungen, die er mit Frau von Rênal und den Kindern unternahm, noch gemessener. Er verachtete sich bis zum Ekel. Wenn er sich in seinem Unglücke zum Sprechen zwang, sagte er zuweilen das Allerlächerlichste. Und um das Maß seines elenden Zustandes voll zu machen, erkannte er seine eigne Bizarrerie, ja er schaute sie wie in einem Zerrspiegel. Etwas freilich sah er nicht: den Ausdruck seiner eignen Augen. In ihrer Schönheit verriet sich seine Feuerseele. Wie die Augen genialer Schauspieler verliehen sie öfters den Worten, die er redete, einen holden Sinn, den sie gar nicht hatten. Es fiel Frau von Rênal auf, dass er im Alleinsein mit ihr niemals etwas Nettes sagte, außer wenn ihn irgendein plötzlicher Vorfall ablenkte und er gekünstelt zu sprechen völlig vergaß. Da die Freunde des Hauses sie mit originellen und geistreichen Einfallen nicht verwöhnt hatten, fand sie an diesem Wetterleuchten der Seele Julians umso köstlichere Freude.

      Seit Napoleons Sturz war in den kleinen Städten und auf dem Lande auch die geringste Galanterie streng verpönt. Das hätte Kopf und Kragen kosten können. Die Schelme krochen hinter die Röcke der Geistlichkeit, und die Heuchelei trieb sogar in liberalen Kreisen die schönsten Blüten. Die Langeweile nahm überhand. Man musste sein bisschen Vergnügen in den Freuden des Landlebens oder in Büchern suchen.

      Frau von Rênal war ob ihrer Eigenschaft als damalige Erbin ihrer Tante, einer reichen Betschwester, schon mit sechzehn Jahren an den erstbesten Edelmann verheiratet worden. In ihrem ganzen Dasein hatte sie von der Liebe nichts erlebt und nichts erfahren. Der erste, der ihr einen Begriff davon beibrachte, war ihr Beichtvater, der gute Pfarrer Chélan. Das war, als Valenod ihr den Hof machte. Der Geistliche stellte ihr eine Liebschaft als etwas ganz Abscheuliches dar, so dass ihr dies Wort den Gipfel der Verworfenheit bedeutete. Wenn sie in den paar Romanen, die ihr der Zufall in die Hände legte, von Liebesdingen las, so hielt sie dergleichen für Ausnahmefälle oder unmögliche Hirngespinste.

      Dank dieser Unwissenheit war es Frau von Rênals höchstes Glück, sich ohne Unterlass mit Julian zu beschäftigen. Es kam ihr gar nicht in den Sinn, dass hierbei etwas Tadelhaftes sein könne.

      8. Kapitel

      Frau von Rênals Engelsgüte, eine Frucht ihres Wesens und ihres gegenwärtigen Glückes, wurde nur dann leicht getrübt, wenn sie an ihre Kammerjungfer Elise dachte. Das Mädchen hatte eine Erbschaft gemacht. Sie war zum Pfarrer Chélan gelaufen und hatte ihm anvertraut, dass sie Julian gern heiraten möchte. Dem Geistlichen bereitete dieses Glück seines Lieblings aufrichtige Freude. Umso maßloser war sein Erstaunen, als ihm Julian entschieden erklärte, dass er auf Fräulein Elisens Antrag nicht eingehen könne.

      »Mein Sohn«, redete ihm der Pfarrer stirnrunzelnd zu, »lassen Sie Ihr Herz sprechen! Ist es lediglich Ihr heiliger Beruf, dessentwegen Sie ein mehr denn auskömmliches Vermögen ausschlagen wollen, so wünsche ich Ihnen eine glückliche Laufbahn. Es sind jetzt sechsundfünfzig Jahre, dass ich hier in Verrières bin. Trotzdem hat es ganz den Anschein, als käme meine baldige Absetzung. Das betrübt mich, obgleich ich eine kleine Jahresrente von achthundert Franken habe. Dies alles erzähle ich Ihnen so ausführlich, damit Sie sich keine falsche Vorstellung von dem machen, was Ihrer im Priesterstande harrt. Wenn Sie die Absicht haben, den Machthabern hienieden zu frönen, so ist Ihnen die ewige Verdammnis sicher. Dann machen Sie Ihr Glück, aber auf Kosten der Unglücklichen. Sie müssen kriechen vor dem Landrat, vor dem Bürgermeister, vor jedem, der etwas darstellt, und den Gelüsten aller dieser Leute Vorschub leisten. Man nennt das Lebensklugheit, und in einem weltlichen Stande schließt dies das Seelenheil nicht unbedingt aus. In unserem Berufe heißt es: entweder – oder. Wir müssen uns entscheiden zwischen dem Glück dieser Welt oder jener. Ein Mittelding gibt es nicht. Gehen Sie, mein lieber Freund, überlegen Sie sich's, und kommen Sie in drei Tagen noch einmal zu mir, mit Ihrer endgültigen Antwort! Zu meinem Schmerze sehe ich in der Tiefe Ihrer Seele eine düstere Glut, die andre Dinge verrät denn das Sichbescheiden und den völligen Verzicht auf irdisches Hab und Gut, wie dies für einen Priester nötig ist. Von Ihren geistigen Fähigkeiten verspreche ich mir viel, aber das muss ich Ihnen als Ihr Seelsorger sagen: Mir bangt um Ihr Seelenheil.«

      Dem guten Pfarrer standen die Tränen in den Augen. Julian war gerührt, aber er schämte sich dieser Rührung. Zum ersten Male in seinem Leben fühlte er, dass ihn jemand liebte. Er weinte aus Glückseligkeit und verbarg sich mit seinen Tränen im Walde oberhalb Verrières. Zu guter Letzt aber fragte er sich: »Was bedeutet mein jetziger Zustand? Ich wäre jede Minute bereit, für diesen braven Mann mein Leben zu lassen, trotzdem er mir eben klargemacht hat, dass ich ein dummer Kerl bin. Er durchschaut mich. Ihn muss ich vor allem täuschen. Die heimliche Glut, von der er gesprochen hat, das ist mein Wunsch und Wille, vorwärtszukommen. Er hält mich des geistlichen Standes für unwürdig, und zwar gerade in dem Augenblicke, wo ich mir einbildete, er sähe wegen meiner Ablehnung eines sicheren Jahreseinkommens von tausend Franken in mir ein Musterbild von Frömmigkeit: den geborenen Priester!«

      Weiterhin sagte er sich: »Fortan werde ich mich immer nur auf die Elemente meines Charakters verlassen, die ich erprobt habe. Hätte ich mir wohl zugetraut, dass ich tränenselig sei? Dass ich einen Menschen lieben könne, der mir beweist, dass ich ein törichter Narr bin?«

      Drei Tage darauf hatte Julian den Vorwand gefunden, der ihm zu seinem Leidwesen nicht sogleich eingefallen war. Er verschanzte sich hinter eine Verleumdung, aber das war ihm gleichgültig. Zögernd und zaudernd gestand er dem Pfarrer, er habe einen Grund, den er ihm nicht näher angeben könne. Er wolle keinen Dritten schädigen. Deshalb hätte er von Anfang an von dem Heiratsplane nichts wissen wollen. Dies hieß auf gut deutsch: er verdächtigte Elisens Wandel.

      Der Pfarrer hatte von neuem den Eindruck, in Julian glühe ein weltlicher Drang und ganz und gar nicht das himmlische Feuer eines angehenden Gottesgelehrten. Abermals redete er ihm zu: »Bester Freund, werden Sie lieber ein braver, ehrsamer und tüchtiger Bauersmann als ein Priester ohne inneren Beruf!«

      Julian gab auf diese neuen Vorhalte Antworten, die trefflich klangen. Er kleidete sie in Worte, wie sie wohl einem wahrhaft begeisterten jungen Theologen entströmt wären. Und doch lag in dem Tone, indem er sie vorbrachte, und in dem unverkennbaren Fanatismus seiner blitzenden Augen etwas, das den Pfarrer stark beunruhigte.

      Man darf Julian nicht vorschnell einen Stümper der Heuchelei heißen. Seine Worte an sich waren durchaus vorsichtige und kluge Lügen. Mehr vermag man in seinem Alter nicht. Was Stimme und Gebärden anbelangt, so muss man bedenken, dass er bisher unter Bauern gelebt hatte. Große Vorbilder waren ihm noch nicht begegnet. Erst durch die Berührung mit den Heuchlern der höheren Gesellschaft sollte er alsbald nicht nur in seinen Worten, sondern auch in seinem ganzen äußeren Wesen ein bewundernswerter Meister werden.

      Frau von Rênal wunderte sich, dass ihre Jungfer über die ihr zugefallene Erbschaft so gar keine Freude äußerte. Sie sah sie nur immer wieder in die Pfarre laufen und von da mit verweinten Augen zurückkommen. Endlich gestand ihr Elise ihre Heiratsgedanken.

      Da überkam Frau von Rênal eine imaginäre Krankheit. Sie hatte Fieber und fand keinen Schlaf. Nur wenn sie die Jungfer oder Julian unmittelbar vor Augen hatte, lebte sie sozusagen. Unablässig dachte sie an die beiden und an das ihnen nahe eheliche Glück. Sie malte sich ihren ärmlichen Haushalt, der mit tausend Franken im Jahre bestritten werden sollte, mit verführerischen