Название | Im Hause des Kommerzienrates |
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Автор произведения | Eugenie Marlitt |
Жанр | Зарубежная классика |
Серия | |
Издательство | Зарубежная классика |
Год выпуска | 0 |
isbn |
»Da werden Sie sich an die Frau Präsidentin Urach wenden müssen; sie hat einzig und allein über den Wintergarten zu verfügen; er gehört zu ihrer Wohnung.«
Das junge Mädchen sah ihn groß an. »So streng ist die Etikette drüben? Zu Papas Lebzeiten war der Wintergarten Gemeingut der Familie.« – Sie zuckte die Achseln. – »Damals freilich war die vornehme Schwiegermutter meines Vaters nur dann und wann Gast in der Villa.« Ihre klangreiche Stimme verschärfte sich ein wenig bei diesen Worten, aber sie warf gleich darauf den Kopf in den Nacken, als könne sie damit eine augenblickliche unangenehme Empfindung abschütteln, und setzte heiter lächelnd hinzu: »Nun, dann um so besser, dass ich zuerst in die Mühle ging, um mich zu akklimatisieren!«
Er verließ die Fensternische und trat zu ihr. »Ob man Ihnen aber drüben nicht sehr verargen wird, dass Sie sich nicht sogleich in den Schutz der Familie begeben haben?« fragte er mit ernstem Nachdrucke, aber auch mit jenem Anteile, der zart einen Rat, einen Wink zu geben versucht, ohne zudringlich zu werden.
»Dazu hat man doch wohl nicht das Recht«, versetzte sie rasch und lebhaft, während der leuchtende Karmin auf ihren Wangen sich verdunkelte. »Dieses ›Drüben‹ ist für mich gleichbedeutend mit der Fremde, in der ich den Familienschutz, wie Sie ihn nennen – nämlich das Gefühl der Zusammengehörigkeit – nicht voraussetzen kann, auch nicht bei den Schwestern. Wir kennen uns gar nicht näher; nicht einmal das dürftige Band eines kleinen Briefwechsels existiert zwischen uns – ich habe nur mit Moritz korrespondiert. Als Papa noch lebte, wurde Henriette bei ihrer Großmama erzogen. Wir sahen uns äußerst selten und auch dann nur unter der Aufsicht der Frau Präsidentin. Meine Schwester, die Kommerzienrat Römer, wohnte in der Stadt und starb auch sehr frühe. Und Flora? Sie war sehr schön und sehr gescheit; sie war eine hochgefeierte junge Dame und machte bereits die Honneurs in unserem Hause, als ich noch tief in den Kinderschuhen steckte. Flora muss großartig beanlagt gewesen sein, weil man sich stets so namenlos bedrückt und eingeschüchtert in ihrer Nähe fühlte. Ich habe nie gewagt, sie anzureden, oder auch nur ihre wunderschönen Hände zu berühren, und noch heute fühle ich, dass es sehr unbescheiden von mir sein würde, wollte ich den Umgangston zwischen ihr und mir beanspruchen, wie er sonst zwischen Schwestern üblich ist.«
Sie unterbrach sich und sah ihm erwartungsvoll in das Gesicht, aber sein weggewendeter Blick schweifte über die Gegend draußen. Er ermutigte sie mit keiner Silbe – hatte er doch auch um das seltene Mädchen dienen müssen, wie Jakob um die Rahel. Möglicher Weise war er nicht einmal duldsam gegen die Schwesterliebe in dem Herzen, das sich ihm endlich zugeneigt. … Bei aller Milde und sanften Schlichtheit, die er wohl in Folge seines ärztlichen Berufes äußerlich angenommen, sah er doch aus, als könne er auch sehr ernstlich und entschieden auf seinem Rechte bestehen.
»Wie die Sachen stehen – die Villa ist ja nicht mehr mein Vaterhaus – kann ich dort nur als Gast, als Besuch gelten, wie jeder andere auch«, hob sie nach einer augenblicklichen Pause wieder an. »Hier in der Mühle stehe ich auf meinem eigenen Grund und Boden; da ist Heimatluft und Heimgefühl, und das alte Schieferdach droben und Franz und Suse werden mich und meine unmündigen achtzehn Jahre wohl ebenso treu beschirmen, wie es die Villa mit ihrer strengen Etikette nur immer vermag.« Ein mutwilliges Lächeln schwebte um ihren Mund. »Übrigens wird man über diesen ›Formfehler‹ rascher hinweggehen, als Sie denken, Herr Doktor – man kann es von ›der Müllermaus‹ nicht besser erwarten.«
Der Schmeichelname, mit welchem der Papa sie einst genannt, konnte nun allerdings nicht mehr gelten: Huschen und Schlüpfen und unversehens in einem Verstecke verschwinden – dieses Gesamtbild von zarter Gliedergeschmeidigkeit und furchtsamer Seele passte nicht zu dem Mädchen, das der Welt den fleckenlos weißen Schild der Stirn so ruhig zukehrte, das seine kraftvollen, plastisch ausgeprägten Glieder bei aller jugendfrischen Regsamkeit dennoch mit einer Art von stiller Würde beherrschte.
Allmählich kam eine behagliche Wärme vom Ofen her; Käthe zog ein Flacon aus der Tasche und goss einige Tropfen Eau de Cologne auf die heiße Eisenplatte; ein lieblicher, luftreinigender Duft verbreitete sich. »Suse wird ganz feierlich zumute sein, wenn sie herüberkommt«, sagte sie heiter und ließ ihre Augen noch einmal musternd durch die Stube gleiten; es war alles in Ordnung; nur die Alkoventür stand noch offen, und durch den breiten Spalt sah man gerade auf die bunten Nelkensträuße der Bettstelle, die drinnen in der Nähe des Fensters stand. Jetzt erst fiel der Blick des jungen Mädchens auf die plumpen wohlbekannten Blumengebilde, die einst das Entzücken ihrer Kinderseele gewesen waren – die ganze Rosenfrische wich plötzlich von ihren Wangen, selbst ihr roter Mund war blass geworden.
»Dort ist mein Großpapa gestorben«, flüsterte sie ergriffen.
Doktor Bruck schüttelte den Kopf und zeigte schweigend nach dem südlichen Eckfenster.
»Sie waren bei ihm?« fragte sie hastig und trat ihm näher.
»Ja.«
»Er ist so plötzlich gestorben, und Moritz hat mir den Trauerfall in so wenig eingehender Weise angezeigt, dass ich nicht einmal weiß, was die Ursache seines Todes gewesen ist.«
Der Doktor stand so, dass sie nur sein Profil sehen konnte; er war sehr bärtig um Kinn und Lippen; dennoch konnte sie bemerken, wie sich diese Lippen fest aneinanderlegten, als werde es ihnen schwer, zu antworten. Nach einem augenblicklichen Schweigen wandte er ihr langsam und voll das Gesicht zu und sah sie ernst an. »Man wird Ihnen sagen, er sei an meiner Ungeschicklichkeit im Operieren gestorben«, sagte er mit einer Stimme, der die innere Bewegung fast allen Klang nahm.
Das junge Mädchen fuhr vor Schrecken und Bestürzung zurück; ihr Auge streifte noch einmal den Mund, der gesprochen hatte, dann suchte es den Boden.
»Einzig und allein um Ihrer eigenen Beruhigung willen möchte ich Ihnen die Versicherung geben, dass das durchaus unwahr ist«, fuhr er mit sanftem Ernste fort; »aber wie kann ich von Ihnen verlangen, dass Sie mir glauben sollen? … Wir sehen uns heute zum ersten Male und wissen nichts voneinander.«
Sie hätte sich mit einer einzigen oberflächlichen Phrase aus dieser peinvollen Lage helfen können, aber das fiel ihr nicht ein. Er hatte Recht – wie konnte sie wissen, ob er schuldlos, und die anklagende öffentliche Meinung im Unrechte sei? Freilich trug seine ganze Erscheinung den Stempel einfacher Geradheit und Wahrhaftigkeit. Sie fühlte sogar heraus, dass es eigentlich seine Art gar nicht sein könne, ungerechten Verdächtigungen gegenüber auch nur ein Wort zu verlieren, ja, dass er sich in diesem Augenblicke mit seiner Versicherung gleichsam herablasse. Dennoch war sie nicht fähig, etwas auszusprechen, für das sie keine innere Rechtfertigung fand.
Er hatte wohl auch keine Antwort erwartet; denn er wandte sich ab, aber mit so viel Würde und stolzer Gelassenheit, dass in Käthe ein Gefühl plötzlicher Beschämung aufstieg und ihre Wangen heiß rötete. »Darf ich die Kranke nun herüberbringen?« fragte sie mit unsicherer Stimme.
Er bejahte, und sie verließ mit raschen Schritten das Zimmer. Drüben in der Hinterstube wischte sie sich die hervorquellenden Tränen von den Wimpern und ließ sich den erschütternden Vorgang von der Haushälterin erzählen.
»Die Geschichte hat dem Doktor in der Stadt schrecklichen Schaden gebracht«, sagte Suse schließlich. »Erst gab’s keinen Besseren und er hatte alle Hände voll zu tun, und nun sagen sie auf einmal, er verstände seine Sache nicht. So sind eben die Menschen, Fräulein Käthchen. Und er ist nicht schuld an dem Unglücke. Es war alles gut; ich hab’s ja mit meinen eigenen Augen gesehen. Aber da sollte sich der Schlossmüller ganz ruhig verhalten – ja, der und ruhig! Ich weiß am besten, wie er beim kleinsten Ärger gleich kirschbraun wurde. Da darf nur der Franz draußen zu laut gesprochen haben, oder der Wagen ist zu schnell in den Hof gefahren – da hat schon die Wut in ihm gekocht. So war er. Ich hab’ genug mit ihm ausgestanden, und zum Dank dafür hat er mich auch mit keinem Pfennig bedacht« – sie lachte scharf und zornig auf – »wenn Sie nicht für mich sorgten, da könnte ich jetzt betteln gehen.«
Käthe hob unwillig warnend und Schweigen gebietend den Zeigefinger.
»Nun meinetwegen auch – ich will still sein«,