Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

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Название Im Hause des Kommerzienrates
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Зарубежная классика
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Издательство Зарубежная классика
Год выпуска 0
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um die Hebung der Industrie im Lande«, versetzte er so rasch und ernstlich, als gelte es, ein ungünstiges Urteil abzuwenden. »Dabei ist Moritz ein Mensch von großer Herzensgüte – er tut sehr viel für die Armen.«

      Käthe schüttelte den Kopf. »Sein Glück macht mir Angst.«

      »Sein Glück?« wiederholte er betonend. »Es kommt darauf an, wie er selbst diese Wechselfälle ansieht.«

      »O, ganz gewiss als etwas Beseligendes«, antwortete sie entschieden. »Ich weiß aus seinen Briefen, dass ihm die Erwerbung weltlicher Güter Hauptlebenszweck ist. Seine letzte Zuschrift z. B. war eine geradezu verzückte, weil – mein Erbe sich über alles Erwarten reich herausgestellt hat.«

      Er ging schweigend neben ihr her; dann fragte er mit einem Seitenblicke: »Und Sie – bleiben denn Sie kalt diesem Reichtume gegenüber?«

      Käthe bog den Kopf mit graziösem Mutwillen vor und sah ihm unter das Gesicht. »Sie erwarten wahrscheinlich eine sehr gesetzte Antwort von mir großem Mädchen, so ein recht ernstes Ja, aber das kann ich mit dem besten Willen nicht herausbringen. Ich finde es nämlich über die Maßen hübsch, reich zu sein.«

      Er lachte leise in sich hinein und fragte nicht weiter. Sie gingen rasch vorwärts und erreichten bald die Lindenallee. Sie war verschont geblieben; man hatte die lange Bahn bereits mit frischem Kiese bestreut. »Ach, dort die liebe, altmodische Bekannte steht auch noch«, rief das junge Mädchen, nach einer fernen Holzbrücke zeigend, die ihren schmucklosen, morschen Bogen über den Fluss schlug.

      »Sie führt zu dem Grundstücke am jenseitigen Ufer –«

      »Ja, nach dem Gras- und Obstgarten. Ein hübsches, altes Haus steht drin. Es hat als Wirtschaftsgebäude zu dem ehemaligen Schlosse gehört, ist ganz von Wein umsponnen und hat breite Steinstufen vor der Tür. … Köstlich anheimelnd und still ist’s dort. Suse hatte ihren Bleichplatz im Garten; im Frühlinge war er ganz blau von Veilchen; dort habe ich stets die ersten gesucht.«

      »Das dürfen Sie auch jetzt noch – die kleine Besitzung ist seit heute Morgen mein Eigentum.« Er warf einen warmen Blick hinüber.

      Käthe dankte ihm, sah aber zerstreut und nachdenklich auf die Kiesel nieder, über die sie hinschritten. … Sollte ihre schöne Schwester als junge Frau in dem Hause wohnen? Flora mit ihren stolzen Gebärden, ihren majestätisch nachfließenden Schleppen, Flora Mangold, die Anspruchsvolle, der kein Salon hoch und weit, keine Ausschmückung reich genug sein konnte, in dem einsamen Hause mit den großen, grünen Kachelöfen und den ausgetretenen Dielen? Wie musste sie sich geändert haben – um seinetwillen!

      Ein fernes Geräusch schreckte sie auf. Sie sah die Villa bereits so nahe vor sich, dass sie die Prachtmuster der Spitzengardinen erkennen konnte. Hinter den Scheiben rührte und regte sich nichts, aber von der Promenade her, die sich vor der jenseitigen, der Hauptfassade des eleganten Hauses hinzog, kam das Getöse einer heranrollenden Equipage immer näher. Es waren zwei prächtige Pferde, die gleich darauf um die nördliche Hausecke jagten. Geschirr und Wagen funkelten in Silberschmuck und im Glanze der Neuheit. Eine Dame hielt die Zügel in fester Hand; ihre Gestalt, um die sich dunkelfarbener, pelzverbrämter Sammet schmiegte, saß so leicht und sylphenhaft dort, als schwebe sie über den Polstern. Von ihrer Stirn zurück wehten weiße Federn, und um das klassische Gesicht, den unbedeckten Hals, der sich glänzend weiß aus der dunklen Pelzeinfassung hob, flatterten krause, blonde Locken.

      »Flora! Ach, wie wunderschön ist meine Schwester!« rief Käthe enthusiastisch und streckte unwillkürlich die Rechte nach der Vorüberfliegenden aus, aber weder Flora, noch der Kommerzienrat, der mit verschränkten Armen neben ihr saß, hörten den Zuruf. Die Equipage bog um die entgegengesetzte Ecke, dann hörte man sie drüben vor dem Portale halten.

      Ein kleiner Kiesel tanzte vorbei – die Stockspitze des Doktors hatte ihn wie im Spiele fortgeschleudert. Jetzt erst fiel es Käthe auf, dass er nicht mehr an ihrer Seite ging; sie war freilich unter dem hinreißenden Eindrucke vorwärts geeilt. Mit einer lebhaften Gebärde wandte sie sich um. Er schritt unbeirrt, noch genau in dem Tempo, wie vorher auch, aber in seiner Haltung erschien er noch stolzer emporgereckt, noch strenger reserviert. Er musste sie eben beobachtet haben, denn er wandte rasch und fast verlegen seine Augen weg. Mit Mühe verbiss sie ein satirisches Lächeln. Sie wusste, dass sie ihn bei einem vergleichenden Gedanken ertappt hatte, der ungefähr lauten mochte: »Gott, was für eine vierschrötige Jungfrau neben meiner Elfe!«

      »Ich bin erstaunt über den sicheren Mut, mit welchem Flora fährt«, sagte sie, als er wieder neben ihr ging.

      »Weit mehr zu bewundern ist die Todesverachtung ihres Begleiters. Es war eine Probefahrt, und der Kommerzienrat hat die jungen Pferde gestern erst gekauft.« Er war bitter gereizt. Sie hörte das plötzlich in seiner Stimme und schwieg ganz erschrocken.

      5

      Es fiel kein Wort mehr von beiden Seiten. Sie erreichten bald das Haus und traten durch eine Seitentür ein, während drüben die Equipage vom Portale wegfuhr. Ein Bedienter berichtete ihnen, dass die Damen und »der gnädige Herr« im Wintergarten seien, also in den Appartements der Frau Präsidentin.

      Käthe hatte ihre ganze heitere Ruhe und Sicherheit wiedergefunden. Sie nahm eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie dem Manne hin. »Für den Herrn Kommerzienrat«, sagte sie.

      »So steif?« fragte Doktor Bruck lächelnd, während der Lakai geräuschlos über den dicken persischen Korridor-Teppich hinschlüpfte und hinter einer Tür verschwand.

      »So steif!« bestätigte sie ernsthaft. »Da ist die weiteste Distanz die beste. Ein biederes Hereinpoltern würde mir jedenfalls sehr schlecht bekommen. Ich fürchte nun selbst, ›den gnädigen Herrn‹ mit meiner unzeremoniellen Ankunft sehr in Verlegenheit zu bringen.«

      Sie hatte sich nicht geirrt. Der Kommerzienrat kam im förmlichen Sturmschritte aus den Gemächern, mit dem bestürzten Ausrufe: »Mein Gott, Käthe!« stolperte er über die Schwelle.

      Die Richtung seines Blickes war geradezu lächerlich – er suchte den Kopf der wie vom Himmel fallenden Mündel offenbar um zwei Fuß zu tief – und nun trat sie so hochgewachsen und festen Schrittes auf ihn zu und begrüßte ihn mit einem fast frauenhaft stolzen Kopfneigen:

      »Lieber Moritz, sei nicht böse, dass ich der Abrede zuwiderhandle! Aber um mich abholen zu lassen, dazu bin ich nun doch schon ein wenig zu groß.«

      Er stand wie versteinert vor ihr. »Recht hast Du, Käthe. Die Zeit, wo ich Dich an der Hand führte, ist vorüber«, sagte er langsam, gleichsam in dem Anblicke ihres mit Rosenglut überhauchten Gesichts verloren. »Nun, sei mir tausendmal willkommen!« Jetzt erst reichte er auch Bruck begrüßend die Hand. »Ein Zusammenfinden im Korridor – da muss ich wohl gleich hier vorstellen –«

      »Bemühe Dich nicht, Moritz! Das habe ich bereits selber besorgt«, unterbrach ihn das junge Mädchen. »Der Herr Doktor machte gerade Krankenbesuch bei Suse, als ich in die Mühle kam.«

      Das Gesicht des Kommerzienrats verlängerte sich. »Die Mühle war Dein Absteigequartier?« fragte er betreten. »Aber liebes Kind, die Großmama Urach hat mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit erklärt, sich Deiner anzunehmen; mithin verstand es sich von selbst, dass Du Dich ihr sofort vorstelltest; stattdessen gehst Du zu Deiner alten Flamme, der Jungfer Suse! Ich bitte Dich, sage das drin lieber nicht!« setzte er hastig flüsternd hinzu.

      »Verlangst Du das ernstlich von mir?« Die fest klingende Mädchenstimme stach seltsam ab von seinem scheuen Flüstertone. »Ich kann doch nicht leugnen, wenn die Sache zur Sprache kommen sollte… Auf das Verheimlichen verstehe ich mich wirklich nicht, Moritz« – sie verstummte für einen Moment, erschrocken über die Feuerglut, die ihm in das Gesicht schoss, dann aber sagte sie resolut: »Habe ich einen Fehler begangen, so will ich mich auch dazu bekennen; es wird ja nicht gleich meinen Kopf kosten.«

      »Wenn Du einen gutgemeinten Wink so tragisch nehmen willst, dann habe ich allerdings nichts mehr zu sagen«, entgegnete er verlegen und ärgerlich zugleich. »Den Kopf wird es freilich nicht kosten, aber Deine Stellung in meinem Hause erschwerst Du Dir. Übrigens