Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
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Год выпуска 0
isbn 9783754958285



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der Juden die Rede ist. Diese Angaben sind sorgfältig zu kontrollieren, obwohl die Zeugen selbst von der Wahrheit dessen, was sie angegeben haben, überzeugt sein werden. Zieht man die Tat selbst in Betracht, so ergibt sich folgendes: Winter kann sein Leben eingebüßt haben durch Mord, durch Totschlag oder durch fahrlässige Körperverletzung. Mord kann komplottmäßig begangen werden, die Motive sind alsdann entweder die gewöhnlichen oder ganz außergewöhnliche, und es ist ja auch bei den Verhandlungen wiederholt von rituellen Gründen gesprochen worden. Was den Ritualmord anbetrifft, so ist im Prozeß zu Xanten eingehend und nach allen Richtungen über dieses Thema gesprochen worden. Bekannt ist es zunächst, daß in den jüdischen Religionslehren kein Wort über den Ritualmord steht; auch Kardinal-Fürstbischof Kopp teilt diese Überzeugung der gelehrten Welt. Hatte man zunächst die Idee, daß fremde Juden die Tat verübt haben könnten, so ließ sich hierfür kein Beweis erbringen. Freilich gab es in Konitz jüdische Personen, die für die Tat hätten in Betracht kommen können. Aber obgleich alle Spuren auf das genaueste verfolgt worden sind, und obgleich auch ganz geringfügige Momente hierbei nicht außer acht gelassen wurden, so gibt es doch gar keinen Anhalt dafür, daß die Familie Lewy mit irgend jemand von diesen Leuten in Verkehr getreten ist. Der Oberstaatsanwalt ging alsdann die Bekundungen einzelner Zeugen durch. Wenn Rosa Simanowski, die schon während ihrer Schulzeit auf Abwege geraten ist, erzählte, daß auch sie Angst vor den Juden hatte, und daß man ihr Blut habe abzapfen wollen, so kann man hierauf doch unmöglich etwas geben. Wenn der Knecht Leskowski von seinen angeblichen Beobachtungen bei Lewys am 11. März erzählt, wie er alle möglichen Äußerungen gehört haben will, so die Worte: »Leine, Leine, Fessel, Fessel, Mönchsee, viel zu tun, zu weiß, zu weiß,« so sind doch auch diese Angaben nicht ernst zu nehmen. Die Vorgänge im Laden der Familie Meyer müssen gleichfalls als unwahr erscheinen, und dies um so mehr, da sie zu drei verschiedenen Zeiten stattgefunden haben sollten, und die Familie doch wahrlich keine Veranlassung hatte, sich mit dem Blut des 18jährigen Gymnasiasten zu besudeln. Wenn man dies alles nachprüft, so wird man finden, daß man den Versuch als mißglückt erachten muß, die hiesigen Juden mit einem Ritualmord in Verbindung zu bringen. Gegen die Familie Lewy insbesondere liegt nicht das geringste vor. Nicht das geringste Belastende konnte gegen diese Personen bewiesen werden, und dafür gebe es gewiß nicht den geringsten Anhalt, daß sie an einem Komplott beteiligt gewesen seien. Wollte man nun ein anderes Motiv bei irgendeinem Mitgliede der Familie Lewy annehmen, so ist auch hierfür keine tatsächliche Unterlage vorhanden. Ernst Winter ist spätestens um 7 Uhr gestorben, bis dahin haben aber alle Mitglieder der Familie Lewy ihr Alibi nachgewiesen. Was nach 7 Uhr vorgegangen sein soll, ist hierbei zunächst ganz nebensächlich; aber auch über 7 Uhr hinaus haben die Familienmitglieder ihr Alibi nachgewiesen; und auch während der Nacht ist von sämtlichen Hausbewohnern und von den Nachbarn nichts Verdächtiges wahrgenommen worden. Nicht der geringste Schimmer eines Beweises hat sich also erbringen lassen, daß Winter im Lewyschen Keller getötet worden ist. Wenn ich nun frage, wie ist gerade die Familie Lewy in den Verdacht des Mordes oder des Totschlages gekommen, so scheint das nicht bloß an der Örtlichkeit des Lewyschen Grundstückes zu liegen, sondern ich führe es vor allem zurück auf das Gefasel des Zeugen Prinz, des »dummen Alex«. Hierdurch hat sich die Bevölkerung beeinflussen lassen. Dabei ist es für den vorliegenden Fall ganz gleichgültig, ob Moritz Lewy einen Meineid geschworen hat oder nicht. Und auch der Fall Israelski kommt nicht in Betracht: Ob Israelski den Kopf des Winter hinausgetragen hat, beweist nichts gegen die Familie Lewy, und hätte die Familie Lewy, die Pferd und Wagen zur Verfügung haben, es nötig gehabt, den Leichnam zu zerstückeln, wenn sie ihn zu Wagen viel leichter haben wegschaffen und irgendwo vergraben können? Ich bin der festen Überzeugung, daß ein Mitglied der Familie Lewy mit dem Morde nichts zu tun hat, und daß der gestern von diesen geleistete Eid ein richtiger Eid gewesen ist. Der Oberstaatsanwalt schloß sich im weiteren Verlauf seiner Rede den Ausführungen des Ersten Staatsanwaltes an und beantragte das Schuldig bezüglich aller vier Angeklagten wegen Meineids, da schwere Widersprüche vorliegen und da, für ihre Behauptungen kein Beweis erbracht worden sei.

      Verteidiger Rechtsanwalt Vogel: Es ist bedauerlich, daß man in der jetzigen Schwurgerichtsperiode nicht über den oder die Mörder des Ernst Winter zu Gericht sitzen kann. Statt dessen verhandelt man über Landfriedensbrüche und Meineide. Trotz der Bemühungen aller Behörden ist es nicht gelungen, Licht in das Dunkel der Tat zu bringen. Auch jetzt ist ein positives Ergebnis nicht erzielt worden. Aber der Meinung möchte ich doch Ausdruck geben, daß die Familie Lewy der Tat dringend verdächtig erscheint. Gleichwohl gebe ich zu, daß positive Unterlagen für diese Behauptungen nicht vorhanden sind. Immerhin kann ich mich der Beweisführung der Staatsanwaltschaft bezüglich der Familie Lewy ganz und gar nicht anschließen. Es muß die Tat in unmittelbarer Nähe des Mönchsees geschehen sein, und von sachkundiger Seite ist augenscheinlich die Zerstückelung des Leichnams erfolgt. So kommt denn als Täter entweder Hoffmann oder Lewy in Betracht. Wenn Fleischermeister Hoffmann den Winter bei irgendeiner Gelegenheit überrascht und im Jähzorn niedergeschlagen hätte, so wäre er der Mann gewesen, sich den Gerichten zu stellen und seinen Jähzorn zu büßen. Das ist nicht geschehen, also ist Hoffmann nicht der Täter, und dann bleibt nur das Haus Lewy übrig. Und warum hat Moritz Lewy den Verkehr mit Winter bestritten? Das ist verdächtig. Ebenso verdächtig ist die Tatsache, daß in der Nacht vom 11. zum 12. März im Lewyschen Keller Licht gebrannt hat. Den Alibibeweis des Fleischermeisters Lewy und seiner Söhne am 11. März halte ich zwar für, durchaus erbracht, das beweist aber nichts. Ich und meine Mitverteidiger sind nicht der Ansicht, daß Lewy oder einer seiner Söhne an der Mordtat persönlich beteiligt sind, aber Lewy hat das Lokal für den Mord hergegeben. Gewiß bleibt alsdann noch immer dunkel, wie Winter in den Lewyschen Keller gelockt worden ist. Die Behauptung, die jüdische Religion predige den Mord zum Zwecke der Blutentziehung, halte ich auch für ein Märchen. Aber es können innerhalb der Judenschaft sittlich verkommene Mitglieder vorhanden sein oder solche, die infolge falscher Auslegung der religiösen Gesetze einen Ritualmord begehen. Das ist der Untergrund für die vorliegende Tat. Es liegt hier nicht nur die Möglichkeit, sondern die Wahrscheinlichkeit eines Ritualmordes vor. Darauf weist die Blutleere des Körpers hin. Der Verteidiger behandelte alsdann des längeren die Fälle Eisenstädt und Matthäus Meyer. Auch der »dumme Alex« erscheine ihm als ein Zeuge dafür, daß die Juden die Mörder seien, denn Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Der Verteidigung kommt es darauf an, festzustellen: Ist ein Ritualmord ausgeschlossen oder ist die Möglichkeit nahegerückt, daß ein solcher verübt worden sein kann? Die Möglichkeit ist vorhanden, und weiteres zu behaupten, wünscht auch die Verteidigung nicht. Daß sich die Angeklagten bei ihren verschiedenen Vernehmungen mehrfach in Widersprüche verwickelt haben, muß zugegeben werden. Aber im allgemeinen sind ihre Angaben doch richtig, und dies trifft auch auf den Angeklagten Maßloff zu, dessen Widersprüche nur nebensächliche Punkte betreffen. Der Verteidiger ersuchte die Geschworenen, bei der Beurteilung der Schuldfrage bezüglich des Maßloff über die kleinen Widersprüche hinwegzusehen. Daß Maßloff zuerst den Gang der drei Männer nach dem Mönchsee verschwiegen habe, sei erklärlich durch die Furcht, wegen des Fleischdiebstahls zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er beantrage, Maßloff freizusprechen.

      Verteidiger Rechtsanwalt Zielewski: Er beantrage die Schuldfrage bezüglich der Frau Maßloff zu verneinen. Frau Maßloff habe zunächst beschworen, was sie von ihrem Mann über dessen angebliche Beobachtungen erfahren habe. Wenn diese Beobachtungen von ihrem Manne falsch wiedergegeben sein sollten, so habe Anna Maßloff doch geglaubt, sie für richtig halten zu müssen. Sie habe sie sich ganz bewußt allmählich zu eigen gemacht und dann an ihnen festgehalten. Was die Bekundungen der Angeklagten bezüglich des Taschentuches und des Winterschen Bildes, das sie bei Lewys gesehen haben wolle, anbelange, so halte er diese Angaben für durchaus wahrheitsgetreu. Daß der Mord an Ernst Winter von fremden Juden begangen worden sei, dafür spreche, daß von den Konitzer Juden eine Reihe von Tatsachen bestritten werden, die in der jetzigen Verhandlung sich als einigermaßen richtig erwiesen haben. Der Verteidiger suchte alsdann nachzuweisen, daß Anfang März eine größere Anzahl fremder Juden in Konitz von mehreren Leuten bemerkt worden seien. Belastend für die Juden sei auch die Bekundung des Zeugen Prinz, des »dummen Alex«, auf die doch mehr Wert zu legen sei, als es seitens der Staatsanwaltschaft geschehe. Ebenso muß dem Fall Eisenstädt ein größeres Gewicht beigemessen werden. Eisenstädt sei in der Nacht vom 11. zum 12. März nicht im Krankenhause gewesen, die beiden Krankenschwestern können sich nicht irren. Der Verteidiger schilderte hierauf nochmals