Название | Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band |
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Автор произведения | Hugo Friedländer |
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Издательство | |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754958285 |
Verteidiger Rechtsanwalt Heyer suchte den Nachweis zu führen, daß von seiten der Behörden in der Winterschen Mordsache Fehler gemacht worden und daß insbesondere die Haussuchungen nicht sachgemäß vorgenommen worden seien. Auch er halte die Familie Lewy nicht für glaubwürdig. Der Alibibeweis der Familie Lewy am 11. März sei allerdings geführt, aber wenn dieser Alibibeweis auch ausreiche, um von den Lewys den Verdacht der Täterschaft zu nehmen, so bleibe doch die Möglichkeit bestehen, daß der Lewysche Keller zur Tat hergegeben worden sei und daß die Lewys alsdann bei der Beiseiteschaffung der Leichenteile mitgewirkt haben. Er beantrage die Freisprechung der Angeklagten Berg.
Oberstaatsanwalt Dr. Lautz: Der erste Verteidiger ist mit mir darin einig, daß weder der alte Lewy noch einer seiner Söhne den Mord an Ernst Winter verübt habe. Daß Lewy seinen Keller zum Zwecke des Mordes anderen Leuten zur Verfügung gestellt oder vermietet haben sollte, ist ganz unbewiesen und wird meiner Ansicht nach auch nur herangezogen, um eine Erklärung dafür zu finden, daß im Keller irgend etwas geschehen sein kann. Es fehlt aber jeder Beweis hierfür. Es ist unmöglich, anzunehmen, daß sich fremde Leute gerade den Lewyschen Keller zu einer solchen Tat ausgesucht haben. Der Lewysche Keller wäre hierzu der ungeeignetste Raum, den man sich denken kann. Vorn an der Danziger Straße gehen fortwährend Leute vorüber, und auf der anderen Seite ist das, was im Keller vorgeht, sehr leicht von den Nachbarsleuten zu beobachten. Tatsache ist ferner, daß Lewy, wenn auch nicht in glänzenden, so doch in durchaus geordneten Verhältnissen sich befindet. Welchen Grund hätte er also haben sollen, sich gegen Geldentschädigung der Gefahr einer schweren Strafe auszusetzen? Den Mord kann zwar ebensogut ein Jude wie ein Christ begangen haben. Seien Sie versichert, daß die Staatsbehörde, wenn irgendein greifbarer Verdacht vorgelegen hätte, mit vollster Energie vorgegangen wäre; aber auch heute noch fehlt es an jedem begründeten Verdacht. Der Beweis für das Vorhandensein eines Judenkomplottes ist vollständig mißglückt. Alle Versuche der Verteidiger, den Nachweis zu führen, daß fremde Juden sich an solchem Komplott beteiligt hätten, sind mißlungen. Aber nehmen wir selbst an, es hätte solch ein Komplott bestanden, es wären fremde Juden gewesen, die Winter ermorden wollten – was hätten dann die hiesigen Juden für einen Anlaß zu Geldsammlungen gehabt, wie sie bei Matthäus Meyer vorgekommen sein sollen? Und wer sind schließlich die Kronzeugen gegen Lewy? Die Prostituierte Simanowski, der »dumme Alex«, der Viehtreiber Lankowski und die beiden doch recht beschränkten Hellwigs Mutter und Sohn. Wenn ferner Eisenstädt wirklich in der Nacht vom 11. zum 12. März nicht im Krankenhause war, so ist damit doch noch lange nicht bewiesen, daß er gerade im Lewyschen Keller gewesen sein muß. Auch das Verhalten von Moritz Lewy beweist nicht, daß er etwa derjenige gewesen sein muß, der den Winter in den Keller gelockt hat. Ob Moritz Lewy einen Meineid geleistet hat, ist augenblicklich Gegenstand der Untersuchung. Aber er kann gedacht haben, sage ich, ich habe Ernst Winter gekannt, so stecke ich in der Geschichte drin und riskiere, daß ich morgen eingesperrt werde. Zum Schluß wies der Oberstaatsanwalt noch darauf hin, daß einige der Zeugen, auf deren Aussage hin Lewy belastet erscheint, wie z.B. Lübke und der Nachtwächter Ruß, vollständig unglaubwürdig seien.
Erster Staatsanwalt Settegast: Es sei ja nicht ausgeschlossen, daß ein fanatischer Jude den Mord an Winter begangen habe. Aber man könne doch nicht annehmen, daß eine ganze Reihe anderer Juden schon ein Vierteljahr und längere Zeit vorher davon Kenntnis gehabt haben. Durch die ärztlichen Gutachten, insbesondere durch das des Dr. Puppe, sei erwiesen, daß der Leichnam des Winter nicht blutleer gewesen sei. Ein Verteidiger habe von einem erheblichen Verdachte gesprochen, der auf das gesamte Judentum gefallen sei, daß Juden Mitwisser oder Teilnehmer an dem Morde gewesen seien. Die Verhandlung habe nicht den geringsten Anhalt dafür ergeben. Er bestreite, daß das Judentum so entartet sei.
Der Vorsitzende erteilte darauf den Geschworenen die Rechtsbelehrung und bemerkte zum Schluß: Nunmehr will ich nur noch den Wunsch aussprechen, daß es Ihnen, meine Herren Geschworenen, mit Gottes Hilfe gelingen möge, die der materiellen Wahrheit entsprechende Entscheidung zu fällen, damit der alte Wahrspruch preußischer Richter – denn auch Sie, meine Herren Geschworenen, sind Richter, Sie haben den Richtereid geleistet – Anerkennung findet: daß der preußische Richter stets ohne Ansehen der Person seine Entscheidung trifft, daß auf seine Entscheidung die sozialen, religiösen und politischen Gegensätze keinerlei Einfluß ausüben, daß bei jeder seiner Amtshandlungen der preußische Richter sich stets bewußt ist, daß er selber dereinst vor dem höchsten Richter wird Rechenschaft ablegen müssen, wie er gerichtet hat.
Nach anderthalbstündiger Beratung bejahten die Geschworenen die Schuldfragen betreffs Maßloffs vor dem Amtsgericht. Maßloff konnte aber, wenn er die Wahrheit gesagt, strafrechtliche Verfolgung befürchten. Wegen des Eides vor dem Landgericht haben die Geschworenen die Schuldfragen verneint. Betreffs der Angeklagten Roß bejahten die Geschworenen beide Schuldfragen. Bei der ersten Schuldfrage konnte sie eine strafrechtliche Verfolgung befürchten. Die Schuldfragen betreffs der Frauen Maßloff und Berg wurden verneint.
Hierauf beantragte der Erste Staatsanwalt, mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung und Wichtigkeit der Sache, die die Angeklagten gekannt, und mit Rücksicht auf die große Frivolität, die vielleicht verschuldet habe, daß die Behörden irregeführt und der Mörder noch nicht entdeckt sei, gegen Maßloff vier Jahre, gegen Frau Roß neun Jahre Zuchthaus. Gegen Maßloff fünf Jahre, gegen Frau Roß zehn Jahre Ehrverlust und gegen Frau Roß dauernde Eidesunfähigkeit.
Nach längerer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Schwedowitz: Dem Spruche der Geschworenen entsprechend hat der Gerichtshof den Angeklagten Maßloff zu einem Jahre Zuchthaus, die Angeklagte Roß zu 2 1/2 Jahren Zuchthaus, 3 Jahren Ehrverlust und dauernder Eidesunfähigkeit verurteilt und die Frauen Maßloff und Berg freigesprochen.
Mitte Februar 1901 hatte sich Moritz Lewy vor dem Schwurgericht des Landgerichts Konitz wegen wissentlichen Meineids zu verantworten. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte wiederum Landgerichtsdirektor Schwedowitz. Die Anklage vertrat der inzwischen neu ernannte Erste Staatsanwalt Dr. Schweigger. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Hugo Sonnenfeld (Berlin) und Rechtsanwalt Appelbaum (Konitz). Eine große Anzahl Zeugen bekundete: Sie haben Winter mit Moritz Lewy oftmals zusammen gehen und plaudern sehen. Andere Zeugen, und zwar die intimsten Freunde des ermordeten Winter, bekundeten: Sie haben einen Verkehr zwischen Moritz Lewy und Winter niemals wahrgenommen. Von einigen Zeugen wurde bekundet, daß Winter anderen Gymnasiasten zum Verwechseln ähnlich gesehen habe.
Im Laufe der Verhandlung, die volle vier Tage in Anspruch nahm, erklärte Kriminalkommissar Wehn (Berlin): Moritz Lewy habe für Sonntag, den 11. März, sein Alibi vollständig einwandfrei nachgewiesen. Die Behauptung, Lewy habe kurz nach dem Morde ein Paket fortgeschafft, in dem sich Leichenteile befunden haben, sei unwahr. Es sei festgestellt, daß das Paket Kalbfleisch enthielt, das Lewy bei einer Kundin abgeliefert habe. Am Abend des dritten Verhandlungstages bemerkte der Verteidiger R.-A. Appelbaum: Ich beantrage die Vernehmung des hier anwesenden Journalisten Zimmer. Der Vorsitzende ersuchte Zimmer, zunächst hinauszugehen.
Rechtsanwalt Appelbaum: Herr Zimmer ist vom 18. September bis zum Speisigerprozeß (5.-6. Oktober) vielfach bei mir gewesen mit der ausdrücklichen Erklärung, er wolle seine Dienste den Juden gegen Entgelt anbieten, und zwar besonders in der Lewyaffäre. Er erklärte: In der ganzen Stadt werde gearbeitet, um Moritz Lewy meineidig zu machen, und er wolle sich jetzt gegen Bezahlung auf unsere Seite stellen. Ich verwies ihn auf seine Antezedenzien und fragte ihn, welche Dienste er als bekannter Antisemit leisten könne. Darauf übergab er mir ein Exposé, das er schon in der Tasche trug. Er sagte, er habe Mittel in der Hand, um zu verhindern, daß Moritz Lewy etwas geschehe. Wenn seine Dienste nicht akzeptiert werden sollten, sei Lewy verloren. Am 30. September, kurz vor dem Speisigerprozeß, war er wieder bei mir und sagte, jetzt würde er auch nicht mehr für 20000 Mark für die Juden arbeiten, Moritz Lewys Schicksal sei besiegelt. Am 7. Oktober, einem Sonntag, am Tage nach der Verhaftung Lewys, kam er wieder zu mir. Er triumphierte und sagte: Nun sehen Sie, es ist gekommen, wie ich vorausgesehen habe. Der Verteidiger ersuchte, Zimmer über diese Punkte befragen zu dürfen und bat den Ersten Staatsanwalt um sein Einverständnis, daß er den Zeugen,