Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band. Hugo Friedländer

Читать онлайн.
Название Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
Жанр
Серия
Издательство
Год выпуска 0
isbn 9783754958285



Скачать книгу

schärfer, jedoch lediglich mit Rücksicht auf das neue liberale Konkurrenzblatt, das geschah alles mit Einverständnis der Besitzer.

      Staatsanwalt: Auch nach dem 1. Januar waren Sie der Z.-Korrespondent des Konitzer Tageblattes?

      Zimmer: Ja. Staatsanwalt: Sind Sie auch der Z.-Korrespondent der Staatsbürger-Zeitung? Zimmer zögerte.

      Staatsanwalt: Das liegt doch auf der Hand, die Artikel stimmen ja überein. Sie scheinen auch der M.-und R.-Korrespondent zu sein. Sehen Sie, ich habe das ganz genau verfolgt. Sind Sie auch der Verfasser all jener scharf antisemitisch geschriebenen Artikel, welche sich gegen die Behörden, meinen Amtsvorgänger, das Berliner Polizeipräsidium anläßlich der Mordaffäre richten?

      Zimmer: Ich bin immer sehr vorsichtig gewesen.

      Staatsanwalt: Haben Sie auch im August und September für die Staatsbürger-Zeitung Artikel gegen die Behörden geschrieben?

      Zimmer: Ich glaube, damals hatte sich das Verhältnis etwas gelockert.

      Staatsanwalt: Es kommt mir darauf an, festzustellen, ob Sie zur selben Zeit, als Sie Appelbaum Ihre Dienste anboten, auch antisemitische Artikel schrieben?

      Zimmer: Ich glaube nicht.

      Staatsanwalt: Wollen Sie das auf die Gefahr hin, daß ich Ihnen das nachweise, aufrechterhalten?

      Zimmer: Ich nehme an, daß es nicht geschehen ist.

      Staatsanwalt: Sie mußten doch Ihren Unterhalt bestreiten?

      Zimmer: Ich schrieb für die ›Deutsche Wacht‹ Berichte. Ich habe meine Überzeugung nie geändert.

      Staatsanwalt: Ihre innere Überzeugung ist antisemitisch, Ihre andere philosemitisch. (Heiterkeit.)

      Vert. Rechtsanwalt Appelbaum Vielleicht erinnern Sie sich jetzt, daß Sie mir wörtlich antworteten: Unbedingt hätte ich es verhindern können; die Zeugen sind durch mich beschafft worden; ich ging bei Rechtsanwalt Gebauer ein und aus und hätte nur sagen brauchen, daß die Zeugen nichts wußten, und es war einfach erledigt?

      Vors.: Haben Sie das gesagt?

      Zimmer: Ich kann mich nicht erinnern.

      Vors.: Ist es aber möglich?

      Zimmer: Ich erinnere mich nicht, nehme es aber nicht an.

      Rechtsanwalt Sonnenfeld: Ist es richtig, daß Sie Ihr antisemitisches Material dem ›Kleinen Journal‹ angeboten haben?

      Zimmer: Das war nur eine persönliche Frage, welche den Verleger Bruhn und mein Verhältnis zur Staatsbürger-Zeitung betraf.

      Vert. Rechtsanwalt Sonnenfeld: Ist das von der Redaktion angenommen oder abgelehnt worden?

      Zimmer: Abgelehnt.

      Vors.: Haben Sie auch Beziehungen zu Herrn Schiller gehabt?

      Zimmer (sehr verlegen): Ja.

      Vors.: Nach welcher Richtung arbeitet der?

      Zimmer: Er erklärte, es sei ihm egal, er wolle nur Spuren entdecken. Ich ließ mich von ihm für einen Monat engagieren.

      Vors.: Welche Spuren wurden denn verfolgt?

      Zimmer: Ich sollte mein Augenmerk auch auf christliche Spuren lenken.

      Vors.: Waren Sie mit Schiller auch tätig bezüglich des Fleischergesellen Welke?

      Zimmer: Nein, das war später.

      Auf Befragen des Verteidigers Rechtsanwalts Sonnenfeld bekundete Kriminalkommissar Wehn: Gymnasialdirektor Tomaszewski habe eine Umfrage unter den Schülern gehalten, ob sie Winter mit Lewy zusammen gesehen haben. Sämtliche Schüler haben sich verneinend geäußert.

      Oberlehrer Dr. Stöwer: Er kenne den Angeklagten seit fünf Jahren als Mitglied des Turnvereins. Er habe nichts Nachteiliges über den Angeklagten gehört, im Gegenteil, er sei bis zu dem Augenblick, in dem die antisemitische Strömung einsetzte, sehr beliebt gewesen.

      Nach beendeter Beweisaufnahme führte Erster Staatsanwalt Dr. Schweigger etwa folgendes aus: Meine Herren Geschworenen! »Das ist der Fluch der bösen Tat, daß sie fortzeugend Böses muß gebären.« So schrieb vor einigen Tagen eine hiesige Zeitung, so sage auch ich. Seit in dem Mönchsee Leichenteile gefunden wurden, die zur Gewißheit führten, daß ein blühender, junger Mann durch eine entsetzliche Tat ums Leben gekommen ist, ist die hiesige Stadt in zwei Teile zerrissen; ist unsägliches Unglück über die Stadt gekommen. Wieviel Tränen sind geflossen? Der Schrei nach Sühne dieses Verbrechens, dieser Entrüstungsschrei, findet bei mir ein vollständiges Echo. Ob es aber jemals gelingen wird, dieses Dunkel zu lüften, das weiß nur Gott. Wir armseligen Menschen können nichts weiter, als unsere Schuldigkeit tun. In dieser Beziehung ist von meiner Seite nichts versäumt worden. Und ich werde mein ganzes Können aufbieten, um die Sache aufzuklären. Vielleicht gelingt es noch mit Gottes Hilfe, diese unglückliche Stadt von dem furchtbaren Banne zu befreien. Wenn ein Staatsanwalt etwas ausspricht, dann muß er es auch beweisen können. Ich kann nicht beweisen, daß der Angeklagte am Morde beteiligt war. Deshalb kann ich diese Behauptung auch nicht aussprechen. Ich ersuche Sie deshalb, alles Beiwerk beiseite zu lassen und lediglich zu prüfen, ob der Angeklagte einen Meineid geleistet hat. Wenn ich die furchtbare Beschuldigung erhebe: der Angeklagte habe dreimal einen Meineid geleistet, so sage ich: der Grund bei ihm war die Furcht, daß er, wenn er die Wahrheit sagte, dann in den Verdacht des Mordes geriet. Zunächst hat der Angeklagte vollständig bestritten, Winter gekannt zu haben. Als ihm mehrere Zeugen gegenübergestellt wurden, gab er die Möglichkeit zu, Winter gekannt zu haben, er könne sich aber dessen nicht erinnern. Als immer mehr Zeugen auftraten, die den Verkehr bekundeten, gab er die Möglichkeit zu, mit Winter gesprochen, zusammengestanden zu haben, zusammengegangen zu sein und sich mit ihm gegrüßt zu haben. Mit solchen Möglichkeiten durfte der Angeklagte nicht operieren. Das ist dreiste Lüge, das ist wissentlicher Meineid. Ich habe mich gefragt, wie kam ein achtzehnjähriger Gymnasiast zu dem Verkehr mit einem achtundzwanzigjährigen jüdischen Fleischergesellen. Das Bindeglied zwischen beiden war Anna Hoffmann, der beide den Hof machten. Anna Hoffmann ist eine sehr schöne Erscheinung, so daß das schon verständlich ist. Es ist frivol, daß Zeitungen einen. unzüchtigen Verkehr behaupteten. Durch die eingehendste Untersuchung ist festgestellt worden, daß der Verkehr Winters mit Anna Hoffmann vollständig harmlos war. Von der Verteidigung ist eine Reihe Zeugen geladen worden, die den Verkehr des Angeklagten mit Winter nicht wahrgenommen haben. Das ist doch aber kein Beweis. Sie können doch nicht sagen, ob der Verkehr nicht stattgefunden hat. Wir haben so viele Zeugen hier gehabt, die mit vollster Bestimmtheit den Verkehr wahrgenommen haben. Eine Anzahl Detektivs, die sich Freunde der Wahrheit nannten, wie Wienecke, Schiller, Rauch, sind in jüdischem Sinne bemüht gewesen, diese Zeugen durch Traktieren und andere Mittel zu beeinflussen. Ich bin ein unparteiischer Mann und nehme Zimmer nicht aus. Es ist das der Mann, der innerlich antisemitische, andererseits philosemitische Gesinnung hegte; der mit der rechten Hand die schärsten antisemitischen Artikel schrieb; der die Behörden in schroffster Weise angriff, und der mit der linken Hand das Geld von Juden nehmen wollte, um im Sinne der Juden tätig zu sein. Solche Leute, die keinen Funken Ehre besitzen, erschweren die Untersuchung. Wir brauchen die Hilfe solcher Leute nicht. Das sind nur Schlachtenbummler. Hinaus mit diesen Leuten, die diese unglückliche Stadt als melkende Kuh betrachten. Die Aussagen für den Schuldbeweis sind so reichhaltig, daß man eine Anzahl Zeugen preisgeben kann. Insbesondere gebe ich preis die Zeugen Lübke und Tochter, Mai, Pruß usw. Es bleiben aber jedenfalls 25 Zeugen, an deren Glaubwürdigkeit nicht zu rütteln ist. Man hat versucht, mit Photographien und Doppelgängern zu operieren. Dieser Beweis ist vollständig mißglückt. Das Ergebnis der Beweisaufnahme laßt gar keinen Zweifel, daß der Angeklagte Winter gekannt und mit ihm verkehrt hat. Ich ersuche Sie also, die Hauptschuldfrage und die Unterfragen: daß der Angeklagte durch die Wahrheitsbekundung strafrechtliche Verfolgung befürchten konnte, zu bejahen. Ich habe bereits bemerkt: ich habe keinen Beweis dafür, daß der Angeklagte am Morde beteiligt war. Hätte ich irgendeine Unterlage dafür, so würde ich noch heute die Anklage erheben. Da aber ein solcher Beweis fehlt, so ersuche ich lediglich die Schuldfrage im Auge zu behalten.

      Es