Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band. Hugo Friedländer

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Название Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band
Автор произведения Hugo Friedländer
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Год выпуска 0
isbn 9783754958285



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und Sie können sich durch den Augenschein überzeugen, daß das fragliche Verzeichnis allerdings vorhanden ist, aber nur den Anhang des Hauptwerks bildet. Und Sie können sich weiter überzeugen – ich werde das Buch dem Gerichtshofe durch meinen Anwalt überreichen lassen –, daß fast alle Enthüllungen des Gießener Polizeielaborats zum Teil wörtlich diesem »Schwarzen Buch« entlehnt sind. Entweder hat also der Anfertiger des Opus das »Schwarze Buch«, von dem er schreibt, gar nicht gekannt, oder er hat – aus welcher Ursache, bleibe dahingestellt – nur das letzte Stück gesehen und den Rest ignoriert. In jedem von beiden Fällen kommt seine Wahrheitsliebe gleich sehr ins Gedränge. Was ist aber das Zeugnis eines Mannes wert, der nicht einmal in bezug auf eine so einfache, mit Händen zu greifende Tatsache die Wahrheit zu sagen vermag? Da ich einmal vom »Schwarzen Buch« rede, das den Schatten der traurigsten Epoche unserer Geschichte hierher wirft, so sei kurz bemerkt, daß es in verschiedenen Variationen existiert, und daß die in meinem Besitze befindliche amtliche Musterausgabe den Titel führt: »Die Kommunisten-Verschwörungen des neunzehnten Jahrhunderts, im amtlichen Auftrage, zur Benutzung der Polizeibehörden der sämtlichen Deutschen Bundesstaaten, auf Grund der betreffenden gerichtlichen und polizeilichen Akten, dargestellt von Dr. jur. Wermuth, Königlich Hannoverscher Polizeidirektor, und Dr. jur. Stieber, Königlich Preußischer Polizeidirektor, – Berlin 1853. Druck von A.W. Hayn.« Die zwei Verfasser sind wohlbekannt. Herr Wermuth ist mittlerweile gestorben, Herr Stieber dagegen lebt noch und ist sogar sehr lebendig in diesem Augenblick. Auf den Inhalt des »Schwarzen Buches« einzugehen, habe ich keine Veranlassung. Es ist polizistische Geschichtsschreibung – das sagt alles. Ebensowenig kann ich mich mit den Plagiaten des Gießener Polizeidirektors befassen. Was geht mich Babeuf an, der 30 Jahre vor meiner Geburt guillotiniert wurde? Was Mazzini, der, wie männiglich bekannt, ein erbitterter Feind des Sozialismus ist? Was Fieschis Höllenmaschine, die explodierte, als ich noch mit der Schulmappe unter dem Arme in die Sexta ging? Was geht mich der »Bund der Geächteten« und der »Bund der Gerechten« an? Und weshalb verliest man dieses Zeug? Mit diesem Prozeß hat es nicht das geringste zu tun. Aber freilich, es ist ganz darauf berechnet, mich im ungünstigsten Lichte erscheinen zu lassen und mich den Geschworenen als Schinderhannes oder »Carlo Moor« hinzustellen. Es ist grundfalsch, daß ich in dem berüchtigten Kölner Kommunistenprozeß eine hervorragende Rolle gespielt habe. Ich war an diesem Prozeß direkt gar nicht beteiligt; ich war weder Angeklagter noch Zeuge. Freilich kam mein Name in der öffentlichen Prozeßverhandlung häufig vor, aber nur, weil er auf einem infam gefälschten Aktenstück stand, das Herr Stieber, um die Verurteilung der Angeklagten zu erwirken, produziert hatte. Ich rede von dem sogenannten »Protokollbuch«, das die Sitzungsberichte der Londoner Gemeinde enthalten und von mir als Schriftführer mit unterzeichnet sein sollte. Die Fälschung wurde sofort nachgewiesen und öffentlich vom Gerichtshof festgestellt. Trotzdem ist Herr Stieber heute noch im Amt und hoch in Gnaden und Ehren, während ich auf der Bank der Angeklagten sitze – ein Kontrast, eminent charakteristisch für unsere neueste Ära des Ruhmes und der nationalen Wiedergeburt. Und nun ein kurzes curriculum vitae. Einer Beamtenfamilie entstammend, war ich von meinen Angehörigen – den Vater hatte ich früh verloren – für die Beamtenlaufbahn bestimmt. Allein schon auf dem Gymnasium lernte ich die Schriften Saint Simons kennen, die mir eine neue Welt eröffneten. Zu einem »Brotstudium« hatte ich ohnehin keine Neigung. Ich wollte studieren, um mich auszubilden, um meine Pflichten in Staat und Gesellschaft erfüllen zu können. Mit 16 Jahren kam ich auf die Universität, nachdem ich im Abiturientenexamen die erste Note empfangen hatte. Ich bemerke das, nicht um zu prahlen, sondern um das Gießener Polizeimachwerk zu kennzeichnen, das mich zum verkommenen Subjekt stempeln will. Wie schon angedeutet, studierte ich die verschiedensten Materien. Ich tastete hin und her, gleich jedem Studenten, der wirklich lernen will und nicht in der Zwangsjacke eines Brotstudiums steckt. Den Gedanken, in den Staatsdienst zu treten, gab ich endgültig auf, da er sich mit meinen politisch-sozialen Anschauungen nicht vertrug. Aber ich hegte eine Zeitlang den Plan, Privatdozent zu werden, und hoffte, vielleicht auf einer der kleineren, unabhängigen Universitäten eine Professur zu erlangen. Doch in diesem Wahn wiegte ich mich nicht lange. Ich überzeugte mich, daß ich, ohne meine Grundsätze zu opfern, nicht die mindeste Aussicht hatte, die Lehrberechtigung zu bekommen, und faßte deshalb im Jahre 1847 den Entschluß zur Auswanderung nach Amerika. Ungesäumt traf ich die nötigen Vorbereitungen und war schon auf der Reise nach einem Seehafen begriffen, als ich zufällig im Postwagen die Bekanntschaft eines in der Schweiz als Lehrer ansässigen Mannes machte, der meinen Plan mißbilligte und mir, unter Hinweis auf die allem Anschein nach nahe bevorstehende Umgestaltung der europäischen Verhältnisse, mit so beredten Worten die Übersiedelung nach der republikanischen Schweiz riet, daß ich auf der nächsten Poststation umkehrte und, statt nach Hamburg, nach Zürich fuhr. Dort wollte ich mir auf den Wunsch mehrerer Staatsbeamten, an die ich von meinem neugewonnenen Freund empfohlen war und die sich gegenwärtig zum Teil in hervorragenden Stellungen befinden, das Bürgerrecht erwerben und mich der Advokatenkarriere widmen. Liebknecht schilderte alsdann seine Tätigkeit in der Schweiz und in Paris und fuhr darauf fort: Herwegh bereitete seinen bekannten Zug vor; ich schloß mich an und tat mein möglichstes im Interesse des Unternehmens. Es handelte sich um die Erkämpfung der deutschen Republik. Der Moment schien mir günstig. Ich wäre in meinen eigenen Augen ein Feigling oder ein Verräter gewesen, hätte ich anders gehandelt. Sie sehen, meine Herren Richter und Geschworenen, ich verleugne nicht meine Vergangenheit, nicht meine Grundsätze und Überzeugungen. Ich leugne nichts, ich verhehle nichts. Und um zu zeigen, daß ich ein Gegner der Monarchie, der heutigen Gesellschaft bin und wenn die Pflicht es erheischt, auch nicht vor dem Kampf zurückschrecke, dazu bedürfte es fürwahr nicht der albernen Erfindungen dieses Gießener Polizeimachwerks. Ich spreche es hier frei und offen aus: Seit ich fähig bin, zu denken, bin ich Republikaner, und als Republikaner werde ich sterben. Liebknecht schilderte alsdann seine Beteiligung am Badischen Aufstande, seine Gefangennahme, seine neunmonatige Gefangenschaft und seine Übersiedelung nach der Schweiz. Er wurde schließlich auf bundesratlichen Befehl aus der Schweiz transportiert und den französischen Behörden überliefert, die ihn mit einer Zwangspost nach London schickten. In London, so etwa fuhr Liebknecht fort, lebte ich 13 Jahre lang, mit politisch-sozialen Studien beschäftigt, noch mehr mit dem Kampf um das Dasein. Mitte 1862 wurde ich von August Braß, dem roten Republikaner von 1848, der uns in der Fehde mit dem Plonplonisten Karl Vogt drei Jahre zuvor sekundiert hatte, zum Eintritt in die Redaktion der von ihm in Berlin neubegründeten »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« eingeladen. Die Rückkehr nach Deutschland war mir durch die inzwischen publizierte Amnestie ermöglicht. Bekämpfung des Bonapartismus nach außen und des falschen Bourgeoisliberalismus nach innen, im Sinne der Demokratie und des Republikanismus (zu dem Herr Braß, damals noch »Bürger der Republik Genf«, sich mit großer Emphase bekannte), bildeten das Programm, auf Grund dessen ich im August 1862 den angebotenen Posten übernahm. Anfangs ging alles gut. Doch es dauerte nicht lange, so kam – Ende September 1862 – Herr von Bismarck ans Ruder, und ich merkte bald, daß sich eine Änderung in der Haltung des Blattes vollzog. Ich schöpfte Verdacht und äußerte ihn; Braß leugnete hartnäckig, daß er Verpflichtungen gegen das neue Ministerium eingegangen sei und gab mir carte blanche in meinem Departement (der auswärtigen Politik). Doch die Verdachtsmomente häuften sich. Ich erlangte schließlich die Beweise, daß und wie Braß sich an Herrn von Bismarck als literarischer Hausknecht verdingt hatte. Es ist selbstverständlich, daß ich mein Verhältnis zur »Norddeutschen Allgemeinen Zeitung« nun lösen mußte, obgleich ich damit auf meine einzige Erwerbsquelle verzichtete. Um jene Zeit und später wurden wiederholt Versuche gemacht, auch mich zu kaufen. Ich kann nicht positiv sagen, daß Herr von Bismarck mich kaufen wollte, aber ich kann sagen, daß Agenten des Herrn von Bismarck mich kaufen wollten, und zwar unter Bedingungen, die, außer vor mir selbst und meinen Parteigenossen, meine persönliche Würde gewahrt hätten. Herr von, jetzt Fürst Bismarck nimmt nicht bloß das Geld, sondern auch die Menschen, wo er sie findet. Welcher Partei jemand angehört, ist ihm gleichgültig. Apostaten zieht er sogar vor; denn ein Apostat ist der Ehre bar und darum ein willenloses Werkzeug in den Händen des Meisters. Der preußischen Regierung kam damals sehr viel darauf an, die widerspenstige Bourgeoisie zu Paaren zu treiben. Man wollte sie nach dem von dem englischen Torychef Disraeli vor dreißig Jahren gegebenen Rezept, zwischen Junkertum und Proletariat, wie zwischen zwei Mühlsteinen zermalmen, falls sie nicht vorzöge, sich zu fügen. Man stellte mir und meinen Freunden wiederholt die »Norddeutsche Allgemeine Zeitung« für Artikel extrem-sozialistischer, ja kommunistischer