Ein Hauch von Vorsehung. Ava Patell

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Название Ein Hauch von Vorsehung
Автор произведения Ava Patell
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783746718651



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An die Farbe ihres Anzugs? Das helle grau? Die dazu passenden Manschettenknöpfe? Dass Miss Harrison an dem Tag ein cremefarbenes Kleid trug? Dass der Teppich in dem Zimmer einen Brandfleck hatte, direkt neben dem Stuhl, auf dem ich saß?« Er seufzte. »Ich kann Ihnen jedes Wort sagen, das wir in diesem Zimmer gesprochen haben.«

      »Wie weit reicht das zurück? Könnten Sie das … beispielsweise auch bei Ihrem ersten Schultag?«

      Kaden nickte. »Ich erinnere mich an nahezu jeden Tag. Seit dem 23.06. Da war ich vier Jahre alt.« Er wünschte sich, er wäre irgendwo anders. Nicht hier. Nicht an diesem Ort.

      »Hm. Bemerkenswert.« Nikolaj wollte nicht tiefer in ihn dringen als nötig und fragte daher lieber nicht nach, ob es einen Grund für dieses fotografische Gedächtnis gab. Etwas, das an diesem Tag passiert war beispielsweise. Und er würde auch nicht nach der Eddinggeschichte fragen. Kinder, besonders in einem bestimmten Alter, konnten grausam sein. Selbst, wenn die Sache mit dem Freak auf der Stirn nicht stimmte, so würde es dennoch andere Erinnerungen wachrufen und dass Kaden diese Unterhaltung so schon unangenehm war, konnte man ihm an der Nasenspitze ansehen. »Ich schätze es nicht gerade, in meinem Büro angeschrien zu werden.«

      »Ich weiß. Sie mögen es ja auch nicht, wenn man Sie unterbricht.«

      »Das ist wahr. Ich habe da einen wunden Punkt getroffen, von dem ich nichts wusste. Sie behalten sehr viel und ich scheine sehr schnell zu vergessen. Dass sie nicht aus diesem Bereich kommen, dass Sie viel aufzuholen haben.«

      »Na ja.« Kaden hob die Schultern. »Wir können wohl alle nicht aus unserer Haut.«

      Nikolaj griff in die Innentasche seines Jacketts und zog die CD in ihrer Hülle hervor, die er Kaden hinhielt.

      »Können Sie sich das anhören? Eins der neuen Demos. Das vielversprechendste wie ich finde. Ich würde gern morgen Ihre Meinung dazu hören.«

      Kaden sah auf die Hülle und dann auf in Nikolajs Gesicht. Es war das erste Mal, dass er ihn jetzt ansah. »Also bin ich nicht gefeuert?«

      »Nein. Das sind Sie nicht.« Nikolaj sah in Augen, in die zwar das Licht über ihnen fiel, die aber dennoch dunkel wirkten. »Sie haben doch nicht noch andere Superkräfte, oder?«

      Kaden lachte auf. Und er war beinahe stolz, denn man hörte nur ein ganz kleines bisschen seine vorherige Verzweiflung raus. »Nein. Nein, habe ich nicht.«

      »Gut.« Nikolaj lächelte ihn an. Ein versöhnliches Lächeln. »Können Sie mir aus dem wortgenauen Bericht noch eine Zusammenfassung zaubern wie abgesprochen?«

      »Ja. Das ist kein Problem.«

      Kadens Haar fiel ihm über die Augen und glänzte dunkel. Viel Licht gab die Leuchte über ihnen nicht her und so erkannte man nur schlecht die rotbraune Färbung. Jetzt war sein Duft so sanft wie immer, mit diesem leichten süßen Ton der Vanille und der leicht herben Note des Granatapfels. Die Lippen zierte ein Lächeln, das Nikolaj einen Augenblick lang gefangen nahm. Schließlich nickte er und wollte sich zum Gehen wenden, drehte sich aber noch einmal um. »Darf ich Ihre Superkraft mal benutzen, wenn ich sie brauche?«

      Kaden lachte leise. »Mr. Sorokin. Ich arbeite für Sie. Sie dürfen Sie also immer nutzen.«

      Nikolaj nickte leicht und drehte sich nun wirklich zum Gehen. »Wir sehen uns morgen«, sagte er fest.

      Kaden sah auf den Stift in meinem Fingern. »Mr. Sorokin?«

      »Ja, Mr. Williams?«

      »Sie sind der Erste, der es als Superkraft bezeichnet.« Kaden strich mit dem Daumen über den Stift, fühlte das kühle Plastik.

      Nikolaj hörte Unsicherheit und ein wenig Angst in Kadens Stimme. Kadens gesamte Haltung drückte aus, was in ihm vorgehen musste.

      »Ich wüsste nicht, was es sonst sein sollte«, antwortete er und in Ermangelung weiterer Worte nickte er Kaden zu und setzte seinen Weg fort.

      Kaden lächelte und senkte den Blick. Für einen Moment meinte er, noch diesen besonderen Duft wahrnehmen zu können, feuchter Waldboden. Feuchtes Laub. Und dann wieder kühle Meeresluft. Klar und rein. Es war, als würde der Wind diese winzigen Moleküle zu ihm wehen. Nur für eine Sekunde. Und dann war es vorbei. Kaden seufzte und schloss die Tür erneut auf, trat ein und ließ sie hinter sich zufallen.

      Nikolajs Duft löste etwas in ihm aus, das er nicht greifen konnte. Es waren widersprüchliche Gefühle. Während Kaden die Treppe nach oben stieg, drehte er den Stift in seinen Fingern. Diese markante maskuline Note, die so gut passte. Zu Nikolajs Persönlichkeit. Zu seiner Statur. Alles an diesem Mann schien perfekt zu passen und sich zu einem stimmigen Bild zusammenzusetzen. Die dunklen Haare, die hellen Augen. Diese Kombination alleine konnte einen aus der Bahn werfen. Die Anzüge, bis zur letzten Falte perfekt. Die teuren Schuhe. Kaden schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und ließ die Tasche neben der Tür fallen. Nikolaj verlangte viel in der Firma. Aber er hatte auch viel zu verlieren. Irgendetwas in Kaden wollte diesen Ansprüchen gerecht werden. Bisher waren sie immer nur in den merkwürdigsten Momenten aneinander geraten.

      Diesen Gedanken hing Kaden noch immer nach, als er unter der Dusche stand. Im Grunde wusste er absolut nichts über Nikolaj, genau so wenig wie dieser etwas über ihn wusste. Abgesehen von dieser Gedächtnissache. Damit wusste Nikolaj etwas über ihn, was sonst nur sehr wenige Menschen wussten.

      Und wenn Nikolaj es wusste, dann wusste es Darea auch. Daran hatte Kaden keinen Zweifel. Diese Frau war beinahe wie Gott. Sie hatte einen sechsten Sinn und Quellen in der Firma, die er besser nicht ergründen wollte.

      Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, das von ihm Besitz nahm. Kaden fühlte sich verletzlich. Angreifbar. Wie schon seit Jahren nicht mehr. Aber irgendetwas sagte ihm, dass weder Nikolaj noch Darea dieses Wissen ausnutzen würden. Wenn Kaden genau darüber nachdachte, dann war er sich beinahe sicher, dass es Darea zu verdanken war, dass Nikolaj hier vor seiner Tür gestanden hatte. Diese Frau war unergründbar.

      Als die Dusche von einer Sekunde zur anderen entschied, kein heißes Wasser mehr für ihn bereitzuhalten und ihn in einen Eisklotz zu verwandeln, stieg er schnell hinaus. Und dann setzte er sich ins Wohnzimmer, legte die CD in seine kleine Anlage.

      Die Musik, die danach durch das Zimmer tönte, überraschte ihn. Es waren leichte, freundliche Stücke. Aber auch eines, welches eher melancholisch klang. Es gefiel ihm. Es war typischer Pop und das war nicht das, was Kaden in der Regel hörte. Aber es war wirklich gut. Beschwingt. Und der Sänger hatte eine tolle Stimme. Voll und warm. Er schaffte es sogar, die CD zu hören ohne dabei einzuschlafen.

      Am nächsten Morgen war Kaden schon wieder früh im Büro. Er wollte die Zusammenfassung für Nikolaj noch vor dem Mittag fertig haben. Und noch etwas anderes wollte er unbedingt tun und dafür musste er ein kleines Gespräch führen. Um kurz nach eins lief er dann lächelnd auf Dareas Arbeitsplatz zu. Der schwarze Haarschopf war zur Seite gedreht. Sie hatte den Telefonhörer am Ohr, den Blick gehoben, und sah ihn daher schon kommen. Sie hob eine Augenbraue. In einer Hand hielt Kaden einen Ordner, in der anderen einen Thermobecher von MoonBrew . Ihrem liebsten Kaffeeshop in der Stadt.

      Darea sah skeptisch auf den blau-weißen Thermobecher, bevor sie die Hände von ihrer Tastatur hob und Kaden endgültig entgegen sah.

      Er grinste. Da sie telefonierte, konnte sie nicht fragen, was das sollte und so stellte er den Becher einfach vor ihr auf ihrem Schreibtisch ab. Und lächelte sie an. Bereit zu warten, wie lange auch immer das Gespräch noch dauerte.

      »Ja, Mr. Downsend, das verstehe ich durchaus. Ich werde sehen, was sich machen lässt und die Angelegenheit mit Mr. Sorokin besprechen.« Darea sah auf den Becher mit der Schutzpappe gegen die Hitze, dann wieder zu Kaden. »Nein, das wird nicht möglich sein. Glauben Sie mir, keiner von uns möchte ihn jetzt gerade sprechen. Ja. Es wird besser sein, wenn ich Sie zurückrufe. Gut. Auf Wiederhören.« Darea legte den Telefonhörer auf die Basis und sah dann fragend auf. Einer ihrer schmalen Finger deutete auf den Becher. »Was ist das?«

      Kaden lächelte noch ein Stück breiter. Dann räusperte er sich. »Doppelter Mocca-Latte mit dreifach Sojamilch, Karamell-Sirup und