Название | Böse Jungs dringend gesucht |
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Автор произведения | Mira Schwarz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783741810022 |
Bei ihrem Aufbruch war Jenny noch zufrieden mit ihrem Aussehen gewesen, aber je näher Schwerin rückte, desto mehr verfluchte sie ihren Look. Sah sie nicht eher aus, als würde sie einen Wandertrip durch die Berge machen? Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was Anouk für die Reise anziehen würde.
Aber egal. Chris würde ja doch nicht da sein, beruhigte sie sich.
Als Jenny an der Ausfahrt Schwerin-Zentrum den Blinker ihres lila Fiat Pandas setzte, hätte sie sich am liebsten an der nächsten Tankstelle umgezogen. Nur der Umstand, dass sie ohnehin nichts Besseres in ihrer Tasche hatte, hielt sie ab. Als sie den Bahnhof am Ende der Straße auftauchen sah, spielte ihr Herz komplett verrückt. Sie brauchte Chris nicht erst zu sehen.
Sie wusste plötzlich, dass sie gleich ihrer Jugendliebe gegenüberstehen würde.
***
Jennys Herz hatte sich nicht getäuscht. Anouk und Chris standen auf dem Bahnhofsvorplatz in der Sonne. Sie hatten ihre Taschen abgestellt, hielten jeder einen Kaffeebecher in der Hand und lachten über irgendetwas, als Jenny auf den Haltestreifen fuhr. Sie war zwanzig Meter von ihnen entfernt und die beiden hatten noch keine Notiz von ihrem Auto genommen. Das gab Jenny einen Moment Zeit, sich von ihrem Gefühlscocktail aus Schock und überschäumender Freude zu erholen.
Sie griff mit zitternden Fingern nach ihrer Sonnenbrille – die würde ihr wenigstens einen gewissen Schutz geben. Dann betrachtete sie die beiden Stiefgeschwister, bevor sie ausstieg. Anouk trug ein kurzes Sixties-Kleid mit schwarz-weißen Karos und dazu wie so oft hochhackige Riemchensandalen. Ihr Gesicht wurde von einer großen, schwarzen Sonnenbrille verdeckt, die ihren platinblonden Kurzhaarschnitt nur noch mehr betonte. Ihre Lippen waren das einzig farbige an ihr: glutrot leuchteten sie in der Sonne. Erst dann wanderte Jennys Blick verstohlen zu Chris. Er sah genauso aus, wie auf dem Cover der CD. Ausgeblichene Jeans, dazu ein schwarzes T-Shirt mit buntem Aufdruck - wahrscheinlich von irgendeiner coolen Band, von der Jenny noch nie gehört hatte. Seine von der Sonne gebleichten Haare fielen ihm in die Stirn. Die beiden sahen aus, als hätten sie gerade einen Calvin-Klein-Werbespot abgedreht. Jennys Selbstbewusstsein schnurrte zusammen wie ein Ballon, dem die Luft entweicht. Innerhalb von Minuten war sie wieder die unsichere Dreizehnjährige, die alles dafür gegeben hätte, einmal so cool zu sein wie diese beiden.
Sie sah wie in Zeitlupe, dass Anouks Kopf sich drehte. Die Schonzeit war vorbei. Anouk hatte ihr Auto entdeckt und die beiden griffen nach ihren Taschen und kamen auf sie zugeschlendert. Mit weichen Knien stieg Jenny aus ihrem Auto.
„Na, da bist du ja endlich“, begrüßte Anouk ihre Freundin und umarmte sie, als sie bei ihr angekommen war. „Sonst bist du doch immer oberpünktlich. Wir dachten schon, du lässt uns sitzen.“
Jetzt hatte auch Chris den Haltestreifen erreicht und blieb vor Jenny stehen, unschlüssig, ob er sie ebenfalls umarmen sollte. „Hi.“
„Hey, trauriger Cowboy“, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.
Er gab sich einen Ruck und zog Jenny kurz an sich. „Hallo, Frau Doktor Bergmann.“
Ein absurdes Glücksgefühl breitete sich in Jenny aus, weil er ihren Nachnamen noch wusste. Außerdem hatte er mitbekommen, dass sie ihr Studium erfolgreich abgeschlossen hatte. Jenny war einen knappen Kopf kleiner als Chris und sie konnte kurz sein raues Kinn an ihrer Stirn spüren, als sie sich voneinander lösten. Er roch nach Duschgel und Kaffee.
Es war schon fünf Uhr nachmittags. Wenn sie vor Anbruch der Dunkelheit bei ihrem Häuschen sein wollten, mussten sie sich beeilen. Jenny öffnete den Kofferraum und Anouk und Chris warfen ihre Taschen und Jacken hinein.
„Ist richtig warm in Deutschland“, stellte Chris fest.
„Ja“, antwortete Jenny und zerbrach sich den Kopf, was sie als nächstes sagen konnte. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass sie wirklich neben ihm stand. „Und du willst also wirklich mit uns ins Bauernhaus fahren?“, fragte sie schließlich, um überhaupt etwas zu sagen.
Er nickte. „Ich war schon ewig da. Endlich mal wieder schwimmen.“
„Du bist doch in England ständig von der Nordsee umgeben“, erwiderte Jenny mit einem leichten Kopfschütteln.
„Ich war dieses Jahr trotzdem noch nicht ein einziges Mal am Strand.“
Das war ja schon fast ein Gespräch! Jenny entspannte sich etwas. „Kein Wunder. Ihr seid ja im Moment auch total erfolgreich.“
Er nickte. „Ja, irgendwie schon.“
Komisch. Irrte sie sich oder sah er ein bisschen traurig aus? Jenny konnte nicht weiter nachbohren, denn Anouk drängte sich zwischen die beiden. „Kann ich vielleicht fahren?“, wandte sie sich mit einem Augenaufschlag an Jenny. „Du weißt doch, dass ich in so kleinen Autos nicht hinten sitzen kann. Mir wird da immer total übel.“
Nach Jennys Beobachtung hatte Anouk eine sehr angenehme Form der Reisekrankheit: sie schien immer dann aufzutauchen, wenn es gerade passte. Jenny überlegte kurz, wie sie reagieren sollte. Aber sie hatte keine Lust, in ihrem eigenen Auto hinten zu sitzen.
„Ich fahre“, sagte sie deshalb und schob die Freundin sanft zur Seite. „Ihr könnt euch einigen, wo ihr sitzt.“
Chris lachte. „Na, bevor unserer Prinzessin schlecht wird“, sagte er gutmütig und öffnete die hintere Tür. „Hauptsache, wir hören nicht die Spicegirls.“
Wie auf Kommando fingen Jenny und Anouk an, den Song 'Wannabe' zu singen und setzten sich lachend auf die Vordersitze. Chris hielt sich die Ohren zu und Jenny ließ immer noch singend den Wagen an. Es fühlte sich an wie vor ewigen Zeiten, als Chris von seinem Vater den alten Mercedes bekommen hatte und sie am Wochenende zu dritt kleine Spritztouren unternommen hatten.
Auf der Autobahn legten Anouk eine CD ein und Chris lehnte sich zurück, ohne sich am Gespräch zu beteiligen. Im Rückspiegel sah Jenny irgendwann, dass er den Kopf nach hinten gelehnt hatte. Sie konnte seine Augen hinter der Sonnenbrille nicht sehen, aber alles an seiner Körperhaltung sprach dafür, dass er sie geschlossen hatte.
Jenny wandte sich an Anouk, die aus den Sandalen geschlüpft war und ihre zierlichen Füße mit den dunkelroten Nägeln am Handschuhfach abstützte. „Und? Was hast du letzte Woche so gemacht?“
„Ach, das Übliche“, antwortete Anouk. „Ich war mit meiner Mutter auf einer Filmpremiere, wir haben kurz bei einer Vernissage reingeschaut - ein grauenhafter Künstler! - und ansonsten habe ich an meiner Mappe gearbeitet.“
Jenny warf ihr einen überraschten Blick zu. Das Thema Mappe und eigene Kunst war eigentlich ein Tabuthema zwischen ihnen.
Anouk war mit großen Plänen an die Kunsthochschule in Berlin gekommen. Aber sie hatte sich dort nicht ausreichend gefördert gefühlt und das Studium abgebrochen. Sie hatte es nicht wirklich verwunden, dass sie sich trotz der Unterstützung ihrer Eltern mit ihren Bildern nicht hatte durchsetzten können. Sie machte schräge Kohlezeichnungen mit geometrischen Formen, die einen gewissen, morbiden Charme hatten. Als sich abzeichnete, dass sie in der Berliner Kunstszene nicht Fuß fassen konnte, hatte ihr Vater ihr den Job in einer Galerie besorgt. Anouk machte ihren Job hervorragend und war inzwischen zur Geschäftsführerin aufgestiegen. Doch selbst das schien sie nicht wirklich zufrieden zu stellen.
„Ich wusste gar nicht, dass du wieder etwas planst“, erwiderte Jenny vorsichtig, aber offenbar war Anouk nicht bereit, das Thema zu vertiefen.