SEX & other DRUGS - Novembertau. Mira Schwarz

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Название SEX & other DRUGS - Novembertau
Автор произведения Mira Schwarz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741842801



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sogar tagsüber schwer, durch den bleigrauen Himmel zu dringen. Gerade jetzt schaffen es ein paar Strahlen auf mein Gesicht. Ich schließe die Augen und atme durch.

      Fast wünsche ich mir das Koma zurück, die Dunkelheit und die Ruhe. Schon eine Sekunde später erkenne ich, dass ich nicht ganz bei Trost sein muss. Ich sollte dankbar sein für eine zweite Chance. Also schlage ich die Augen auf und fixiere den Stapel vor mir.

      Irgendwann muss ich beginnen, wieso nicht jetzt?

      ***

      Die ersten hundert Seiten gehen mir erschreckend einfach von der Hand.

      Berechnen Sie das Darlehen mit allen Eventualitäten (Arbeitslosigkeit, Tod, Scheidung) für eine Familie mit zwei Kindern. Die Frau ist selbstständig, verdient circa …

      Erklären Sie mit Ihren eigenen Worten einem 12-jährigen Kind das Prinzip einer Tilgungsrate.

      Ich zeichne Kurven, erkläre Darlehenspläne, berechne Tilgungsraten bei steigenden Zinssätzen und schreibe auf, wie ich bestimmte Familien beraten würde. Kurzum – Fragen, die ich für meinen Brot-und-Butter-Job einfach benötige. Augenblicklich fühle ich mich sicherer. Der nächste Teil besteht aus Wissensfragen.

      Erklären Sie den Aufgabenbereich des Kongresses.

      Wie kommt ein Gesetz zustande?

      Übertragen Sie dieses Prinzip auf die First Pacific Bank und erklären Sie Ähnlichkeiten in der Befehlsstruktur.

      Ein wenig abstrakt, aber in Ordnung. Zumindest ansatzweise kann ich die Fragen auf meine Tätigkeit beziehen. Auch bei den anschließenden Rätselfragen komme ich gut voran. Ich helfe John und Mary aus dem Labyrinth, finde für Tom den richtigen Stromkreis, helfe der kleinen Linda, das kaputte Fenster wieder zusammenzusetzen, und finde heraus, wer Jacks Fahrrad geklaut hat. Dabei ertappe ich mich dabei, wie die Rätsel mir immer mehr Freude bereiten. Mehr und mehr gerate ich in den Sog dieses Tests und bemerke dabei gar nicht, wie die Zeit rennt.

      Gerade, als ich den Test beinahe schon sinnvoll finde, muss ich stutzen. Der Kugelschreiber schwebt über der Frage, während ich sie immer und immer wieder lese.

      Würden Sie sagen, dass Ihre eigene Emotionalität Ihnen im Weg steht?

      Mehrmals lese ich die Worte, bis sie endlich meinen Kopf erreichen. Es ist das letzte Achtel. Was zum Teufel ist das für ein Test? Schließlich erkläre ich in wenigen Sätzen, dass ich mich ungern von meinen Emotionen leiten lasse, da sie weder für den Kunden noch für die First Pacific zum Vorteil gereicht hätten, ich mich stattdessen auf die Fakten konzentriere, um das beste Ergebnis für beide zu erzielen.

      Mit einem leichten Anflug von Stolz begutachte ich den bereits abgearbeiteten Stapel. Die letzten Stunden muss ich mich wie eine Wahnsinnige durch das Papier gearbeitet haben. Meine Hand schmerzt und auch mein Rücken knackt gefährlich, als ich mich aufrichte und zum Fenster sehe. Dabei nehme ich mir ein Sandwich und trinke einen Kaffee. Die November im Big Apple sind nie besonders hell, aber gerade kommt es mir so vor, als wollte die Dunkelheit ihr finsteres Tuch über die Stadt werfen und es nie wieder lüften. Es ist bereits 9 PM durch. Die meisten Menschen sind jetzt schon zu Hause, machen sich gerade ihr Abendessen, schalten den Fernseher an oder verbringen noch ein paar Minuten mit ihren Kindern. Selbst in einer Stadt, die niemals schläft, wird sich in wenigen Stunden der Großteil der Menschen bettfertig machen. Ich werde nicht zu ihnen gehören. Zumindest nicht, wenn ich auf das letzte Achtel des Tests gucke.

      Als ob sie die Nacht begleiten möchten, rieseln ein paar Schneeflocken vor meinem Fenster herab auf den Boden. Ich stehe auf, beobachte sie für eine längere Zeit. Die übrigen Bürogebäude sind dunkel. Unsere Bank scheint die einzige zu sein, in der noch gearbeitet wird. Obwohl ich mich etwas wehre, diese Leistungsüberprüfung wirklich als Arbeit zu bezeichnen. Als ich den Gedanken formuliere, fällt mir etwas ein. Mr. Hedfield!

      Er wird doch nicht etwa?

      Schnell schlucke ich den letzten Bissen vom Sandwich herunter, spüle mit mehreren großen Schlucken Wasser nach und mache mich auf den Weg in sein Büro. Um mich herum ist es dunkel. Anscheinend hat niemand meiner Kollegen damit gerechnet, dass ich den ganzen Tag über einsam und allein im Konferenzraum sitzen würde. Nur aus einem weiteren Zimmer fällt ein Lichtkegel auf den blauen Teppich in der zweiten Etage. Das gibt es doch nicht! Er ist tatsächlich noch da.

      Zaghaft klopfe ich an die Tür.

      »Mr. Hedfield?«

      Wie ein Gentleman erhebt er sich, richtet sein Jackett. »Ahh, Miss Ashcroft! Kommen Sie doch herein, haben Sie eine Frage?«

      Miss … meine Zähne knirschen, während ich versuche, ein einigermaßen angemessenes Lächeln zu bewahren. »Nein, ich meine ja«, stammle ich. »Dieser Test … woher kommt er und wer hat angeordnet, dass ich ihn machen muss?«

      Hedfield leert seinen Tee und sieht mich mit erwartungsvollen Augen an. »Darf ich fragen, warum Sie mir die Frage stellen? Ist er zu schwierig? Wie weit sind Sie denn?«

      »Nein, nein, das ist es nicht. Ich bin beim achten und letzten Teil. Die anderen Fragen konnte ich eigentlich sehr gut beantworten.«

      »Na, das ist doch großartig!« Seine Freude scheint nicht gespielt. Er bietet mir dabei einen Platz an, den ich mit einem weiteren schmalen Lächeln ablehne.

      Trotzdem trete ich näher, knete dabei nervös meine Finger. »Einige Fragen kommen mir etwas seltsam vor.«

      Hedfield nickt, gießt sich dampfenden Tee in die Tasse. »Seltsam?«

      »Beinahe wie eine Hilfe zur psychologischen Profilerstellung. Einige der Fragen sind … sehr privat.«

      »Da fragen Sie leider den Falschen«, gibt Hedfield zu und hebt dabei entschuldigend die Arme, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. »Ich habe den Test nur weitergeleitet. Eine Standardprozedur für Mitarbeiter, die etwas länger ausfallen. Falls Sie aber dazu Fragen haben, leite ich Ihr Anliegen gerne an die Personalabteilung in Manhattan weiter.« Er greift zum Telefon. »Vielleicht könnten wir sogar direkt einen Termin …«

      »Nein, danke.« Beinahe hätte ich selbst die Hörertaste seines Telefons gedrückt. Damit hat er mich überrumpelt. Ich sollte schon dankbar sein, dass die Firma mir überhaupt die Chance gibt und mich hier weiter arbeiten lässt. Gerade jetzt, wo ich einen krankenversicherten Job am dringendsten benötige.

      »Es war nur rein interessehalber«, sage ich leise, zucke mit den Schultern und gehe in Richtung der Tür. »Weil es doch ein recht großer Test war, da wollte ich einfach mal nachfragen.«

      »Verständlich«, antwortet Hedfield und pustet in seine Tasse. »Lassen Sie sich Zeit, Miss Ashcroft.«

      »Sie müssten aber nicht die ganze Zeit …«

      »Oh doch, das muss ich«, flüstert er und ist im nächsten Moment wieder in seine Unterlagen vertieft.

      Wenige Schritte weiter muss ich erst einmal tief durchatmen. Das war bestimmt kein guter Auftritt, um sich seinen Job zu sichern.

      Ich war lange genug für Ryan eine Belastung. Erschrocken beschleunige ich meinen Schritt, greife im Konferenzsaal zu meiner Tasche und sehe auf das Display. Vier Anrufe in Abwesenheit, sieben Nachrichten und zwei Voicemails. Die meisten sind von ihm, aber auch zwei Messages von Carmen sind dabei. Schnell wähle ich seine Nummer.

      »Ich dachte, du meldest dich gar nicht.«

      Gut, ich erreiche ihn. Er klingt nicht wütend.

      »Sorry«, hauche ich und lasse mich auf den Stuhl fallen, auf dem ich bereits die letzten Stunden verbracht habe. »Ich muss so einen blöden Test schreiben und hänge mit dem Frettchen hier immer noch herum.«

      Ryan knurrt zustimmend. »So etwas hat er ja schon angekündigt. Auf deinen Büroanschluss geht auch nur die Mailbox dran. Wie läuft es?«

      »Ganz gut, es wird aber noch ein wenig dauern.«

      Auf der anderen Seite der Leitung höre ich einen Stift über ein Blatt Papier