§4253. Nathalie D. Plume

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Название §4253
Автор произведения Nathalie D. Plume
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754188163



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noch aufgebrachten Atmung einen klaren Satz herauszubringen, also übernimmt Mona das Wort. „Wir wollen zu Paul Barens und Felix Mending, sie sollten hier eingeliefert werden.“ Während sie spricht, rollen ihr Tränen über die Wangen und tropfen von ihrem Kinn auf die polierte Glasscheibe des Tresens. Die Dame hinter der Anmeldung verändert ihren leicht genervten Gesichtsausdruck während Monas gesamter Ausführungen kein einziges Mal, sie zupft lediglich nach ihrem Satz einige Taschentücher aus einer Box neben ihrem Bildschirm und reicht sie Mona ohne Kommentar. „Name?“, ist ihre knappe Antwort. „Mein Name ist Mona Barens.“ Sie deutet auf den immer noch schwer atmenden Oliver und wischt sich eine weitere Träne vom Gesicht. „Und sein Name ist Oliver Mending.“ Die Frau nickt knapp, tippt einige Sätze in ihre Tastatur und erhebt, mit derselben monotonen Stimme, das Wort: „Nehmen Sie bitte noch einmal im Wartezimmer Platz, es wird Sie gleich jemand über den Zustand Ihrer Angehörigen unterrichten.“

      Die Vier setzen sich erschöpft und bedrückt auf einige der Stühle und beginnen zu warten. Selbst Oskar versteht, auf seine Weise, dass die Menschen um ihn herum irgendwie anders sind als sonst, und widersteht dem Bedürfnis herumzuwandern. Stattdessen zieht er das Plüschokapi, das er mitgenommen hat, näher an sich heran und beginnt die Mähne mit seinen kleinen Fingern zu kämmen. Mona hat sich neben Oliver gesetzt und hält seine Hand so fest umklammert, wie sie kann; ob sie es für sich oder für Oliver tut, kann Evelin, die ihnen mit Oskar gegenübersitzt, nicht sagen. Wieder ziehen sich die Minuten unnachgiebig dahin, Menschen kommen, Menschen gehen, aber niemand kommt, um die vier zu erlösen. Evelin rast ein Gedanke durch den Kopf, sie beugt sich zu Oliver hinüber und tippt ihm aufs Knie. „Oliver, was ist denn mit Lila?“ Der Mann legt den Kopf schief und sieht Evelin an, als wäre ihm erst jetzt eingefallen, dass er eine Tochter hat, dann entspannen sich seine Gesichtszüge wieder. „Sie ist zu Hause geblieben, um auf ihre Schwester aufzupassen, ich konnte sie in der Eile nicht mitnehmen, sie wartet darauf, dass meine Eltern kommen und sie ablösen können, dann kommt sie mit einem Taxi nach.“ Evelin nickt gequält und tippt schnell eine Nachricht an ihre Freundin in ihr Handy – Hey Lila, hab gehört du musst auf deine Schwester aufpassen, hab die Nachricht von unseren Vätern auch gerade erfahren, habe Angst, kannst mich anrufen, wenn du magst, hoffentlich wird alles wieder gut –. Während die Nachricht ihren Bildschirm verlässt, schluckt Evelin heftig und kämpft verzweifelt gegen das Gefühl an zu weinen. Der Kloß in ihrem Hals wird von Minute zu Minute dicker und es fühlt sich an, als wollten ihre Tränen sie erwürgen, aus Rache gefangen gehalten zu werden. Ihre betäubten Sinne fühlen sich gequält an und die Sorge um ihren Vater bringt sie beinahe um den Verstand. Auch dass sie immer wieder die Abläufe durchgeht, von dem Zeitpunkt als sie den Anruf ihres Vaters weggedrückt hat, zu Oliver, der aus dem Windfang trat, bis jetzt, wo sie immer noch wartend in der Eingangshalle des Krankenhauses sitzt.

      Wahrscheinlich sind es nur zwanzig Minuten gewesen, die sie hatten warten müssen, aber alle Vier erheben sich steif, wie nach Tagen im Sitzen, als ein Mann im weißen Kittel auf sie zusteuert. Mit Besorgnis sehen sie dem Mann entgegen, der langsam und bedacht auf sie zukommt. „Herr Mending?“, stellt er seine Frage in die Runde. Oliver, dessen Beine zittern, nickt dem Weißkittligen nur knapp zu und presst ein „ja“ über die bebenden Lippen. „Ihrem Mann geht es den Umständen entsprechend gut. Seine Atemwege sind stark verbrannt und er hat eine heftige Rauchgasvergiftung, außerdem hat er Verbrennungen dritten Grades an seinem linken Arm. Er wird aber durchkommen. Wir haben ihm Flüssigkeit, Schmerzmittel und etwas zur Beruhigung gegeben, Sie können jetzt zu ihm, er hat auch schon nach Ihnen gefragt.“ Ein erlöster Seufzer, ein „Oh, Gott sei Dank“ an die Krankenhausdecke und alle Drei sehen sich für einen Moment lachend an, bis sie sich wieder daran erinnern, wo sie sind, und zurück in Ernsthaftigkeit verfallen. Oliver, dem die Erleichterung ins Gesicht geschrieben steht und dessen Sorgenfalten, die zuvor so tief in sein Gesicht gekratzt waren, langsam erblassen, richtet sich noch einmal an den Arzt. „Vielen Dank für die Information, Sie wissen nicht, wie glücklich Sie mich damit gemacht haben, aber was ist mit Paul, Paul Barens?“ Der Mann sieht kurz zu Boden, bevor er sich Mona zuwendet. „Im Augenblick kann ich leider noch nichts zu seinem Zustand sagen, Frau Barens. Es tut mir leid, Sie müssen sich noch ein wenig gedulden.“ Mona schluchzt in die Ruhe der Eingangshalle. „Oh, bitte, bitte, bitte“, wimmert sie der Decke entgegen und weint zum zweiten Mal an diesem Tag in Olivers graues Hemd. „Mona, es tut mir so leid, aber es wird bestimmt alles gut werden“, versucht Oliver verzweifelt die weinende Frau zu beruhigen. Dann drückt sie ihn von sich weg und starrt ihm ins Gesicht. „Gehe jetzt Oliver, du musst zu Felix gehen, ich komme schon zurecht.“ Ein paarmal macht Oliver abwinkende Handbewegungen und drückt die Frau fester an sich, doch der Arzt deutet ihm zu folgen. Evelin, die die ganze Szenerie immer noch durch den Vorhang ihrer betäubten Sinne beobachtet und noch immer krampfhaft versucht ihre Tränen herunterzuschlucken, hechtet den beiden Männern noch hinterher, bevor die hinter der Schwingtür verschwinden können. Trotzig zieht sie dem Arzt am Kittel, richtet sich zu ihrer vollen Größe auf und räuspert sich, um den Kloß beiseitezuschieben, der ihr die Luft abzwängt. „Was ist mit meinem Vater? Ich meine, wie geht es ihm, Sie werden doch schon etwas wissen, Sie können es mir ruhig sagen.“ Der Mann im weißen Kittel schaut Evelin ernst entgegen. Sein Blick wandert zu Oliver, der ihm mit geschlossenen Augen kurz zunickt. „Wie ist denn dein Name?“ „Evelin Barens.“ „Okay Evelin, du darfst dir keine zu großen Sorgen machen, ja?“ Evelin nickt ihm tapfer entgegen. „Es sieht sehr schlecht aus, aber wir tun alles, was in unser Macht liegt, damit alles wieder gut wird, und ich darf sonst kein Versprechen machen, aber dieses Versprechen gebe ich dir.“ Der Mann lächelt, drückt auf den Schalter der Tür und verschwindet dahinter. Oliver bleibt noch einen Moment stehen und beugt sich ein wenig herunter, um Evelin besser in die Augen sehen zu können. „Es tut mir sehr, sehr dolle leid, aber du musst wissen, dass ich mir auch schreckliche Sorgen mache und dass es vollkommen in Ordnung ist zu weinen.“ Evelin hält seinem Blick stand. „Meine Oma hat immer gesagt, wenn man weint, besiegelt man das Schicksal.“ Oliver sieht sie noch einen Moment besorgt an, dann folgt er dem Arzt durch die Türen, die sich hinter ihm schließen, und Evelin bleibt alleine zurück.

      In den Armen ihrer Mutter wartet sie noch eine weitere Stunde. Als der Arzt, der Oliver zuvor weggebracht hat, zurückkommt, sieht Mona aus, als wäre sie um Jahre gealtert. Ihre sonst vollen Wangen sind eingefallen und die sonst so golden schimmernden braunen Haare haben ihren Glanz verloren. Selbst ihr Gang, der sonst mehr einem Tanz gleich ist, wirkt wie der einer alten Frau. Sie erhebt sich trotzdem erstaunlich schnell und läuft dem Arzt entgegen. Sie greift nach seinen Händen und versucht verzweifelt aus dem Ausdruck des jungen Arztes schlau zu werden. Einige der Menschen, die ebenfalls im Wartezimmer sitzen, beobachten die kleine Familie aufmerksam, die nun um den jungen Mann herumsteht und gebannt an seinen Lippen hängt. „Frau Barens, wenn Sie mir kurz folgen wollen“, ist das Einzige, was er entgegnet. „Nein, bitte, bitte sagen Sie mir erst, wie es meinem Mann geht. Wie geht es Paul?“ Der Mann greift nach Monas Hand, drückt sie einmal und wiederholt seinen Satz. „Ich bitte Sie, Frau Barens, kommen Sie erstmal mit mir mit. Sie bekommen die Antworten auf Ihre Fragen.“ Wie Gift sickert die Erkenntnis in Evelins Unterbewusstsein und vergiftet die Hoffnung, die sie sich so verkrampft bewahren will. Nur der Körper ist es, der den drei einsamen Gestalten den Schmerz vorbehalten will.

      Der junge Mann läuft mit ihnen durch die grellen Korridore des Krankenhauses, bis er eine Tür erreicht, sie öffnet und erst wieder schließt, als die drei in dem gemütlich eingerichteten Raum stehen. „Wollen Sie sich kurz setzen?“, fragt er Mona und deutet auf das braune, gemütlich aussehende Sofa. „Nein, das will ich nicht!“, entgegnet Mona wütend und verzweifelt fügt sie hinterher: „Ich möchte nur wissen, wie es meinem Mann geht.“ Der Arzt richtet seinen Blick auf den Boden vor ihm, sammelt sich und schaut dann genau in Monas grüne Augen. „Es tut mir sehr leid Frau Barens, wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, aber wir konnten nichts mehr für ihn tun. Ihr Mann ist heute um 02:45 Uhr gestorben.“ Ein Schrei erfüllt den Raum und Evelins Mutter sinkt zum zweiten Mal in dieser Nacht auf die Knie. Sie vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen und schluchzt so laut, dass es weh­tun muss. Auch Evelins Standhaftigkeit versagt und sie stolpert rückwärts auf das braune Sofa. Es ist weich und warm und es wirkt fast so, als ziehe sie das Mädchen tiefer in sein weiches Polster, um sie zu halten. Aus Evelins Mund kommt kein Ton, der Knoten in ihrem Hals platzt schmerzhaft auf und dicke