Fjodor Dostojewski: Hauptwerke. Fjodor Dostojewski

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Название Fjodor Dostojewski: Hauptwerke
Автор произведения Fjodor Dostojewski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754189153



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Kernpunkt dessen, was Christus gesagt hat. Eine einfache Bauersfrau! Allerdings war es eine Mutter ... und wer weiß, vielleicht war sie die Frau jenes Soldaten. Höre, Parfen, du fragtest mich vorhin; da hast du meine Antwort: das Wesen des religiösen Gefühls wird weder durch vernunftmäßige Überlegungen, noch durch Vergehungen und Verbrechen, noch durch atheistische Anschauungen berührt; es ist etwas Andersartiges und wird in alle Ewigkeit etwas Andersartiges sein; die Lehren des Atheismus werden in alle Ewigkeit davon abgleiten, und die Atheisten werden in ihren Disputationen in alle Ewigkeit dran vorbeireden. Die Hauptsache aber ist, daß man dies am klarsten und schnellsten an der russischen Seele erkennt; das ist das Resultat meiner Beobachtungen! Das ist eine der ersten Überzeugungen, die ich bei uns in Rußland gewonnen habe. Hier läßt sich etwas ausrichten, Parfen; es läßt sich vieles ausrichten auf unserem russischen Boden, glaube mir! Erinnere dich, wie wir eine Zeitlang in Moskau zusammen lebten und öfters miteinander darüber sprachen ... Und ich hatte gar nicht vorgehabt, jetzt hierher zurückzukehren! Ich hatte mir die Wiederbegegnung mit dir ganz, ganz anders ausgemalt! Na, was hilft's ...? Leb wohl, auf Wiedersehen! Gott behüte dich!«

      Er wendete sich um und stieg die Treppe hinunter.

      »Ljow Nikolajewitsch!« rief Parfen dem Fürsten von oben nach, als dieser zum ersten Treppenabsatz gelangt war; »hast du das Kreuz, das du von dem Soldaten gekauft hast, bei dir?«

      »Ja.« Der Fürst blieb wieder stehen.

      »Zeig es doch einmal her!«

      Wieder eine neue Absonderlichkeit! Der Fürst überlegte einen Augenblick, stieg dann wieder hinauf, zog das Kreuz heraus und zeigte es ihm, ohne es vom Hals abzunehmen.

      »Gib es mir!« sagte Rogoschin.

      »Wozu? Hast du denn ...«

      Der Fürst mochte sich nicht gern von diesem Kreuz trennen.

      »Ich will es tragen, und meines will ich dir geben; das trage du dann!«

      »Du willst, daß wir die Kreuze tauschen? Schön, Parfen; wenn du es so meinst, dann freue ich mich; wir wollen Kreuzbrüder werden!«

      Der Fürst nahm sein zinnernes Kreuz ab, Parfen sein goldenes, und sie tauschten miteinander. Parfen schwieg. Erstaunt und betrübt bemerkte der Fürst, daß das frühere Mißtrauen und das frühere bittere, spöttische Lächeln von dem Gesicht seines neuen Kreuzbruders immer noch nicht geschwunden waren, sondern wenigstens in einzelnen Augenblicken immer wieder stark sichtbar wurden. Schweigend ergriff Rogoschin endlich die Hand des Fürsten und stand eine Weile da, als ob er sich zu etwas nicht entschließen könnte; endlich zog er ihn auf einmal hinter sich her, indem er kaum hörbar sagte: »Komm!« Sie gingen quer über den Treppenflur und klingelten an einer Tür, die derjenigen, aus welcher sie herausgekommen waren, gerade gegenüber lag. Es wurde ihnen bald geöffnet. Eine alte, ganz zusammengekrümmte Frau in schwarzem Kleid, mit einem Tuch um den Kopf, verbeugte sich schweigend tief vor Rogoschin; dieser sagte schnell ein paar Worte zu ihr und führte, ohne stehenzubleiben und eine Antwort abzuwarten, den Fürsten in die Wohnung hinein. Wieder durchschritten sie dunkle Zimmer von einer außerordentlichen, sozusagen kalten Sauberkeit; auch die altertümlichen Möbel in ihren weißen, reinen Überzügen machten einen kalten, trüben Eindruck. Ohne Anmeldung führte Rogoschin den Fürsten geradewegs in ein kleines, salonartiges Zimmer; ein Teil desselben war durch eine niedrige Zwischenwand von glänzendem Mahagoniholz mit je einer Tür rechts und links abgeschlagen; der dahinterliegende Raum diente wahrscheinlich als Schlafzimmer. In einer Ecke des Salons, am Ofen, saß in einem Lehnstuhl eine kleine, ältere Frau, dem Anschein nach noch nicht allzu bejahrt, sogar mit einem recht gesunden, angenehmen, runden Gesicht, aber schon vollständig ergraut und (was man schon beim ersten Blick erkennen konnte) ganz kindisch geworden. Sie trug ein schwarzwollenes Kleid, ein großes, schwarzes Tuch um den Hals und eine reine, weiße Haube mit schwarzen Bändern. Die Füße ruhten auf einem Fußbänkchen. Neben ihr saß eine andere, sauber gekleidete, alte Frau, älter als die erste, gleichfalls in Trauer und gleichfalls mit einer weißen Haube, wahrscheinlich eine arme Person, die aus Gnaden in das Haus aufgenommen war, und strickte schweigend einen Strumpf. Sie schienen beide die ganze Zeit her geschwiegen zu haben. Als die erste Alte Rogoschin und den Fürsten erblickte, lächelte sie ihnen zu und nickte zum Zeichen ihres Vergnügens mehrmals freundlich mit dem Kopf.

      »Mütterchen«, sagte Rogoschin, ihr die Hand küssend, »hier ist ein guter Freund von mir, Fürst Ljow Nikolajewitsch Myschkin; er und ich haben miteinander die Kreuze getauscht; er hat sich eine ganze Zeitlang in Moskau wie ein Bruder gegen mich benommen und viel für mich getan. Segne ihn, Mütterchen, wie du deinen eigenen Sohn segnen würdest! Warte, liebe Alte! So! Laß mich dir die Hand zurechtmachen ...«

      Aber noch ehe Parfen Zeit hatte dies auszuführen, hob die alte Frau ihre rechte Hand in die Höhe, legte drei Finger derselben zusammen und bekreuzte den Fürsten dreimal andächtig. Darauf nickte sie ihm noch einmal freundlich und zärtlich mit dem Kopf zu.

      »Nun wollen wir wieder gehen, Ljow Nikolajewitsch!« sagte Parfen. »Ich hatte dich nur zu diesem Zweck hergeführt ...«

      Als sie wieder auf die Treppe hinaustraten, fügte er hinzu:

      »Sie versteht ja nichts, was man zu ihr sagt, und hat auch von meinen Worten nichts verstanden; aber sie hat dich doch gesegnet; da muß es doch ihr eigener Wunsch gewesen sein ... Nun aber leb wohl; du und ich haben beide keine Zeit mehr.«

      Damit öffnete er die Tür, die zu seiner Wohnung führte.

      »So laß dich doch wenigstens zum Abschied umarmen, du wunderlicher Mensch!« rief der Fürst, indem er ihn mit zärtlichem Vorwurf anblickte, und wollte ihn umarmen.

      Aber Parfen hatte kaum dazu angesetzt, die Arme zu erheben, als er sie auch sogleich wieder sinken ließ. Er konnte sich nicht dazu entschließen; er wandte sich ab, um den Fürsten nicht anzusehen. Er wollte ihn nicht umarmen.

      »Hab keine Angst! Ich habe dir zwar dein Kreuz weggenommen, werde dich aber nicht um einer Uhr willen ermorden!« murmelte er undeutlich und lachte auf einmal seltsam auf.

      Aber plötzlich verwandelte sich sein ganzes Gesicht: er wurde schrecklich blaß, seine Lippen fingen an zu zittern, seine Augen flammten auf. Er hob die Arme in die Höhe, umarmte den Fürsten mit festem Druck und sagte keuchend:

      »So nimm sie denn hin, wenn das Schicksal es einmal so will! Sie sei dein! Ich trete sie dir ab ...! Vergiß Rogoschin nicht!«

      Er wandte sich von dem Fürsten ab, ging, ohne noch einmal nach ihm hinzublicken, in seine Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu.

      Es war schon spät, fast halb drei, und der Fürst traf den General Jepantschin nicht mehr zu Hause. Er ließ seine Karte zurück und entschied sich dafür, nach dem Gasthaus »Zur Waage« zu gehen und dort nach Kolja zu fragen und, wenn er nicht dort sei, ihm ein Briefchen zurückzulassen. In der »Waage« wurde ihm gesagt, Nikolai Ardalionowitsch sei schon am Morgen weggegangen, habe aber beim Weggehen die Weisung hinterlassen, wenn etwa jemand nach ihm frage, solle man sagen, daß er wohl um drei Uhr zurück sein werde. Wenn er um halb vier noch nicht wieder da sei, sei er mit der Bahn nach Pawlowsk gefahren, nach dem Landhaus der Generalin Jepantschina, und werde dort auch zum Essen bleiben. Der Fürst setzte sich hin, um auf ihn zu warten, und benutzte die Zeit, um sich etwas zum Mittagessen geben zu lassen.

      Um halb vier und selbst um vier Uhr war Kolja noch nicht erschienen. Der Fürst ging weg und wanderte mechanisch umher, wohin ihn die Füße trugen. Zu Anfang des Sommers kommen in Petersburg manchmal wunderschöne Tage vor, helle, warme, stille Tage. Es traf sich, daß dieser Tag gerade einer von jenen seltenen Tagen war. Eine Zeitlang schweifte der Fürst ziellos umher. Die Stadt war ihm nur wenig bekannt. Er blieb manchmal an Straßenkreuzungen, vor diesem oder jenem Haus, auf Plätzen und auf Brücken stehen; einmal ging er auch, um sich auszuruhen, in eine Konditorei. Mitunter begann er mit größtem Interesse die Passanten zu betrachten; aber meist achtete er weder auf die Passanten noch darauf, wo er ging. Er befand sich in einem Zustand peinlicher Spannung und Unruhe und fühlte gleichzeitig