Название | Fjodor Dostojewski: Hauptwerke |
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Автор произведения | Fjodor Dostojewski |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754189153 |
»Das ist ja ... das ist ja eine Kopie nach Hans Holbein«, sagte der Fürst, der nun Zeit gehabt hatte, das Bild genauer zu betrachten; »und wiewohl ich kein großer Kenner bin, so scheint es mir doch eine vorzügliche Kopie zu sein. Ich habe dieses Bild im Ausland gesehen und kann es nicht vergessen. Aber ... was hast du denn ...?«
Rogoschin kümmerte sich auf einmal nicht weiter um das Bild, sondern ging auf dem bisherigen Weg wieder voran. Allerdings ließ sich dieses sprunghafte Wesen durch seine Zerstreutheit und durch die besondere, seltsam reizbare Stimmung, die bei ihm so plötzlich hervorgetreten war, vielleicht erklären; aber trotzdem erschien es dem Fürsten wunderlich, daß Rogoschin ein von ihm selbst begonnenes Gespräch so plötzlich abbrach und ihm nicht einmal antwortete.
»Hör mal, Ljow Nikolajewitsch«, fing Rogoschin wieder an, nachdem er einige Schritte gemacht hatte, »ich wollte dich schon längst fragen: glaubst du an Gott oder nicht?«
»Wie sonderbar du fragst, und ... was du für ein sonderbares Gesicht machst!« äußerte der Fürst unwillkürlich.
»Dieses Bild betrachte ich immer gern«, murmelte Rogoschin nach kurzem Stillschweigen, als ob er seine Frage wieder vergessen hätte.
»Dieses Bild betrachtest du gern?« rief der Fürst, von einem plötzlichen Gedanken überrascht. »Dieses Bild? Aber beim Anblick dieses Bildes kann ja mancher Mensch seinen Glauben verlieren!«
»Ich verliere ihn auch«, war Rogoschins überraschende, bestätigende Antwort.
Sie waren bereits zur Entreetür gelangt.
»Wie?« sagte der Fürst, stehenbleibend. »Was redest du da? Ich habe eigentlich nur im Scherz gesprochen, und du sagst das so ernst! Und warum hast du mich gefragt, ob ich an Gott glaube?«
»Einen besonderen Grund hatte ich nicht dazu. Ich wollte dich schon früher danach fragen. Heutzutage glauben ja viele nicht an ihn. Ob das wohl wahr ist (du hast ja im Ausland gelebt), mir hat einmal so ein Trunkenbold gesagt, bei uns in Rußland gebe es mehr Leute, die nicht an Gott glauben, als in allen andern Ländern? ›Uns‹, sagte er, ›wird es leichter, zum Unglauben zu gelangen, als ihnen, weil wir weiter fortgeschritten sind.‹«
Rogoschin lächelte spöttisch; als er seine Frage ausgesprochen hatte, öffnete er die Tür und wartete mit der Klinke in der Hand darauf, daß der Fürst hinausgehe.
Der Fürst wunderte sich, ging aber hinaus. Der andere trat nach ihm auf den Treppenflur hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Sie standen einander mit solchen Gesichtern gegenüber, daß es schien, als hätten sie beide vergessen, wohin sie gekommen seien, und was sie nun zu tun hätten.
»Lebe wohl!« sagte der Fürst und reichte Rogoschin die Hand.
»Lebe wohl!« erwiderte dieser und drückte fest, aber ganz mechanisch die ihm hingestreckte Hand.
Der Fürst stieg eine Stufe hinab und wendete sich dann wieder um.
»Was aber den Glauben betrifft«, begann er lächelnd (er wollte offenbar Rogoschin nicht verlassen, ohne ihm geantwortet zu haben; auch belebte ihn eine plötzlich auftauchende Erinnerung), »was den Glauben betrifft, so hatte ich in der vorigen Woche an zwei Tagen vier verschiedene Erlebnisse. An einem Vormittag fuhr ich auf einer neuen Eisenbahnstrecke und unterhielt mich im Waggon vier Stunden lang mit einem gewissen S., den ich auf der Fahrt kennengelernt hatte. Ich hatte schon früher viel von ihm gehört, unter anderm auch, daß er Atheist sei. Er ist tatsächlich ein sehr gelehrter Mann, und ich freute mich, daß ich mit einem wirklichen Gelehrten reden durfte. Außerdem ist er ein außerordentlich wohlerzogener Mensch und redete infolgedessen mit mir, ganz wie wenn ich ihm an Kenntnissen und Begriffsvermögen gleichkäme. An Gott glaubte er nicht. Nur eines fiel mir auf: daß er über diesen Punkt die ganze Zeit über gar nicht sprach, und das fiel mir gerade deswegen auf, weil es mir auch früher, sooft ich mit Ungläubigen zusammengekommen war, und sooft ich derartige Bücher gelesen hatte, immer so vorgekommen war, als ob sie über diesen Punkt überhaupt weder redeten noch in ihren Büchern schrieben, obgleich es auf den ersten Blick scheinen konnte, daß sie darüber handelten. Das sprach ich ihm gleich damals aus, aber jedenfalls nicht deutlich, oder ich wußte mich nicht auszudrücken; denn er verstand mich nicht ... Am Abend kehrte ich in einer Kreisstadt in einem Gasthaus ein, um da zu übernachten, und in diesem Gasthaus war kurz vorher, in der vorhergehenden Nacht, ein Mord geschehen, so daß bei meiner Ankunft alle noch davon sprachen. Zwei Bauern, ältere Leute, nicht betrunken, schon lange miteinander bekannt und befreundet, hatten Tee getrunken und wollten sich zusammen in ihrem gemeinsamen Kämmerchen schlafen legen. Aber der eine hatte bei dem andern in den letzten zwei Tagen eine silberne Uhr an einer Schnur von gelben Glasperlen gesehen, die er offenbar bei ihm früher noch nicht gekannt hatte. Dieser Mann war kein Dieb; er war sogar ein ehrenhafter Mensch und für einen Bauer durchaus nicht arm. Aber diese Uhr gefiel ihm dermaßen und hatte für ihn so viel Verlockendes, daß er schließlich nicht mehr widerstehen konnte: er nahm ein Messer, ging, als der Freund sich umgedreht hatte, vorsichtig von hinten an ihn heran, paßte die Entfernung ab, richtete die Augen gen Himmel, bekreuzte sich, und nachdem er im stillen inbrünstig gebetet hatte: ›O Gott, verzeih mir um Christi willen!‹, schnitt er seinem Freund mit einem Schnitt wie einem Hammel die Kehle durch und nahm ihm die Uhr weg.«
Rogoschin schüttelte sich vor Lachen. Er lachte so heftig, als ob er einen Anfall bekommen hätte. Es machte einen ganz seltsamen Eindruck, dieses Lachen zu sehen, nachdem er sich kurz vorher in so düsterer Stimmung befunden hatte.
»Das gefällt mir! Nein, das ist ja ganz vorzüglich!« schrie er krampfhaft und fast außer Atem. »Der eine glaubt überhaupt nicht an Gott, und der andere glaubt so sehr an ihn, daß er sogar bei der Ermordung eines Menschen betet ... Nein, Bruder, das ist ja gar nicht auszudenken! Hahaha! Nein, das ist köstlich!«
»Am andern Morgen ging ich aus und schlenderte durch die Stadt«, fuhr der Fürst fort, sobald Rogoschin sich einigermaßen beruhigt hatte, wiewohl das Lachen immer noch nach Art eines Krampfanfalls auf seinen Lippen zuckte; »da sah ich, wie ein betrunkener Soldat in ganz wüstem Zustand auf dem Holztrottoir umherschwankte. Er kam auf mich zu und sagte: ›Herr, kaufe mir dieses silberne Kreuz ab; ich lasse es dir für zwanzig Kopeken; es ist von Silber!‹ Ich sah, daß er in der Hand ein Kreuz hielt, das er sich jedenfalls eben erst abgenommen hatte; es saß an einem himmelblauen, stark abgenutzten Band, war aber, wie man auf den ersten Blick sehen konnte, nur von Zinn, von großem Format, mit acht Enden, nach einem echt byzantinischen Muster. Ich nahm ein Zwanzigkopekenstück aus der Tasche und gab es ihm; das Kreuz aber band ich mir sogleich um; dem Soldaten konnte man am Gesicht ansehen, wie er sich freute, den dummen Herrn geprellt zu haben; er ging schleunigst davon, ohne Zweifel um den Erlös für sein Kreuz zu vertrinken. Auf mich, Bruder, machte damals all das, was in Rußland massenhaft auf mich eindrang, einen sehr starken Eindruck; ich hatte in meinem Heimatland vorher für nichts Verständnis gehabt, war wie ein Blinder aufgewachsen, und meine Erinnerungen an Rußland während der fünf Jahre meines Aufenthalts im Ausland waren höchst phantastischer Art gewesen. Da wanderte ich also weiter und dachte: ›Nein, ich will über diesen Soldaten, der seinen Christus verkauft hat, doch noch nicht den Stab brechen. Gott weiß, was für Gefühle sich in den schwachen Herzen dieser betrunkenen Menschen regen.‹ Als ich eine Stunde darauf in mein Gasthaus zurückkehrte, stieß ich auf eine Bauersfrau mit einem Säugling. Es war eine noch junge Frau; das Kind mochte etwa sechs Wochen alt sein. Das Kind lächelte sie an, nach ihrer Wahrnehmung zum erstenmal seit seiner Geburt. Ich sah, daß sie sich auf einmal mit dem Ausdruck größter Frömmigkeit bekreuzte. ›Was hast du denn, junge Frau?‹ fragte ich; ich erkundigte mich nämlich damals nach allem, was mir auffiel. ›Ach‹, sagte sie, ›ebenso wie sich eine Mutter freut, wenn sie ihr Kind zum erstenmal lächeln sieht, ganz ebenso wird sich gewiß auch Gott jedesmal freuen, wenn er vom Himmel sieht, daß ein Sünder von ganzem Herzen betet.‹ Das sagte die Bauersfrau zu mir, fast mit diesen selben Worten, und sprach damit einen überaus tiefen, feinen, echt religiösen Gedanken aus, einen Gedanken, in dem das ganze Wesen des Christentums zugleich zum Ausdruck