Der Juliane-Plan. Christina Maria Bauer

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Название Der Juliane-Plan
Автор произведения Christina Maria Bauer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844272529



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Pelz, von dem man besser Abstand hielt. Schon war der Igel unter einem Strauch verschwunden. Gut so. An einigen Stellen witterte Violetta frische Markierungen von Katzen und Hunden. Die meisten kannte sie. Sie rieb sich den Pelz an einem Fichtenstamm. Nun würden die nächsten Besucher auch wissen, dass sie hier gewesen war.

      Als sie ihre Krallen an der knisternden Baumrinde wetzte, stieg Harzduft auf. Irgendwo im Geäst der Fichte knarzte etwas. Violetta spähte an dem Stamm hinauf, wo gerade ein Eichhörnchen entlangeilte. Schon war der rotbraune Pelz zwischen nadelbewachsenen Ästen verschwunden. Diese kleinen Nager bekamen es hin, sogar auf einem solchen Zweig noch herumzurennen. Auf Fichten klettern machte Violetta gar keinen Spaß. Diese Äste taugten einfach nicht, um sich draufzusetzen. Ganz anders als bei Apfel- und Zwetschgenbäumen, in deren Geäst fast immer ein guter Aussichtsplatz zu finden war. Noch dazu hatten sie eine rauhe Rinde, an der es sich angenehm klettern ließ. Doch auch ein glatter Ahorn- oder Kastanienstamm war eine willkommene Herausforderung, wenn es von der Krone aus etwas zu sehen gab.

      Auf der anderen Seite der Wiese ragten einige Gartenlauben auf. Das Mondlicht glänzte auf den dunklen Dachschindeln. Dort war Violetta schon eine Weile nicht mehr gewesen. Durch das halbhohe Gras lief sie auf die Häuschen zu. Plötzlich hörte sie ganz in der Nähe ein Rascheln. Was war das? Eine Katze? Ein Mensch? Sie hielt inne und spähte um sich, doch es war nirgends etwas zu sehen. Wenig später kletterte sie einen gewundenen Baumstamm hinauf und sprang mit einem energischen Satz auf eine Gartenlaube. Die Dachschindeln strahlten noch immer ein wenig Wärme von der Sonne des Tages ab. Violetta setzte sich und drückte wohlig den Bauch dagegen. Sie ließ ihren Blick über die umliegenden Gärten schweifen, in denen es summte und zirpte. Vom blauen Samthimmel glänzten ihr punktförmige Sterne entgegen. Violetta begann sich die Vorderpfote zu putzen.

      Die Katze dachte darüber nach, was sie tun konnte, damit Juliane wieder glücklich war. Sollte sie es mit einem anderen Geschenk probieren? Sie könnte eine Ratte fangen. Aber die war im Grunde auch nicht viel anders als eine Maus, nur größer. Es könnte statt dessen auch ein Maulwurf sein, oder ein Vogel. Die Katze hatte so eine Ahnung, dass das wohl auch nicht die richtigen Geschenke für Juliane waren. Vielleicht konnte sie wegen dieses Übeltäters etwas unternehmen, der ihrer Menschenfrau die Laune verdarb. Die Katze war so in Gedanken versunken, dass sie den Kater erst spät bemerkte. Behäbig tappte er über das Dach. Es war Herr Paul, ein Kartäuser, dessen Revier nicht allzu weit von ihrem entfernt lag.

      Ab und zu liefen sie sich bei ihren Streifzügen über den Weg. Meist saßen sie dann irgendwann auf der Gartenlaube, um über Katzen und Menschen zu sinnieren. Manchmal sogar über Hunde. Der Kater schien von der Kletterpartie auf das Laubendach ein wenig außer Atem. Dabei war er mit zehn sicher noch nicht zu alt für etwas Anstrengung. Es lag wohl eher an seinen Speckröllchen. Er formte sich neben ihr zu einem grauen Pelzhügel. Die Härchen seines Fells stellten sich in der Sommerbrise leicht auf.

       „Was für eine Freude, mit Ihnen den Mond anzuschauen.“

      „Sie Schmeichler“, schnurrte Violetta.

      Sie saßen eine Weile in vertrautem Schweigen. Ab und an putzten sie sich gegenseitig den Pelz. Violettas Gedanken wanderten wieder zu Juliane. Nachdenklich schielte sie zu Herrn Paul hinüber. Er war lebenserfahren. Konnte er ihr womöglich einen klugen Rat geben? Sie hatte sich noch nie von einer anderen Katze einen Rat geben lassen. Das musste sie probieren.

      „Was macht Ihr Mensch?“, fragte sie.

       „Frau Eisenstein ist wie immer sehr rege und schwirrt auf Wohltätigkeitsfesten und allerhand Ähnlichem herum.“

       „Dann sehen Sie sie kaum.“

       „Doch, das auch. Am besten gefällt es ihr, wenn ich auf ihrem Schoß sitze und schnurre, während sie am Kaminfeuer ein Buch liest.“

       „Also ist sie glücklich.“

      „Ich denke, das ist sie. Was machen Ihre Menschen?“

       „Eine meiner Menschenfrauen ist unglücklich.“

       „Wie kommt das denn?“

      Violetta erzählte, was sie beobachtet und wie sie erfolglos versucht hatte, Juliane aufzuheitern. Der Kartäuser sah sie aus seinen Bernsteinaugen an.

       „Wenn Sie ihr etwas schenken wollen, brauchen Sie ein Menschengeschenk.“

       „Das ist mir aufgefallen.“

       „Frau Eisenstein bekommt am liebsten Blumen.“

       „Ich bin doch kein Karnickel, dass ich anfange, Blumen abzubeißen.“

       „Dann lassen Sie sich etwas Neues einfallen, Sie sind doch erst drei.“

      Herr Paul setzte sich auf seine nach innen gebeugten Vorderpfoten und schloss die Augen. Violetta begann nachdenklich auf der Laube auf und ab zu laufen. Die rauhen Dachschindeln kribbelten unter ihren Pfoten. Im Vorbeilaufen schnupperte sie an einem gewundenen Ast, der von einem Baum auf das Dach gefallen war. Zerfranst ragte das morsche Holz aus der schuppigen Rinde. An den dünnen Zweigen raschelten noch einige welke, gelbe Blätter.

      Der Katze wollte einfach kein Geschenk mehr einfallen, und auch sonst nichts zum Aufheitern für Juliane. Sie blieb einen Moment stehen, die Schwanzspitze unruhig durch die Luft zuckend. Herr Paul sah aus als sei er inzwischen weggedöst. Violetta beschloss, noch eine Runde durch ihr Revier zu laufen, vielleicht fiel ihr dann noch etwas ein.

      Als sie sich gerade abwenden wollte, meldete sich der Kartäuser wieder zu Wort.

       „Sie brauchen Inspiration.“

      Er stand auf und streckte seinen rundlichen Körper.

       „Was Sie nicht sagen.“

       „Wissen Sie, was mich inspiriert? Ein gutes Essen. Dabei lässt es sich am besten beraten. Kommen Sie doch morgen Abend vorbei. Dann macht Frau Eisenstein bestimmt frische Hühnerleber.“

      Eine gute Idee. Violetta konnte sich nicht erinnern, schon mal frische Hühnerleber probiert zu haben. Vielleicht sprudelten die Einfälle dann besonders leicht, wenn noch dazu zwei Katzen nachdachten. Auf dem Heimweg machte Violetta nur noch selten Halt. Doch aus einem Garten wehte ein würziger Fleischduft heran, der sie unversehens an den Zaun lockte. Drinnen waren Menschenstimmen und Gläserklirren zu hören.

      Neugierig spähte die Katze durch die schmalen Zaunspalten. Sie sah einige Menschen an einem großen Tisch sitzen. Sie redeten durcheinander und reichten sich Schalen mit Pflanzenzeug und Brot. Nicht weit vom Zaun schmorten Fleischstücke auf einem Metallgitter über einer Wanne mit glühenden Kohlen. Violetta leckte sich die Lefzen. Das musste sie sich näher ansehen. Sie sprang mit einem energischen Satz auf einen Zaunpfosten und von dort auf den kargen Rasen. Plötzlich erklang ganz in der Nähe lautes Gebell.

       „Eindringliiiing!“

      Ein großer Rottweiler rannte auf den Zaun zu. Wo kam der denn auf einmal her?

      Violettas Pelz begann sich zu sträuben, doch während sie noch überlegte, ob sie weglaufen sollte, quietschte am anderen Ende des Gartens das Eingangstor. Dort war ein Mensch mit einem weiteren Hund aufgetaucht. Der Rottweiler blieb einen Moment verwirrt stehen, drehte ab und rannte kläffend zum Eingang.

       „Eindringliiiing!“

      Während der Mensch sich zu den anderen an den Tisch setzte, sprangen die Flohpelze lärmend herum. Doch schon nach wenigen Augenblicken wandten sie die Köpfe witternd Richtung Zaun. Violetta verzog sich schnell, bevor einer von ihnen auf dumme Ideen kommen konnte. Bei diesen Flohbeuteln konnte man das nie so genau wissen. Menschen waren mit ihren Fleischstücken sowieso meistens geizig. Sie würde sich unterwegs noch eine Maus fangen.

      *

      Violetta saß auf ihrem Kissen am Küchenfenster und spähte hinaus. Nach zwei erfolglosen Kuschelversuchen