Название | Tot im Wohnwagen |
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Автор произведения | Elisa Scheer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750253230 |
„Aber zuerst verstecken wir die Tasche oder fragen die Pfister, ob wir das dürfen. Nachher werden wir noch gefeuert, weil wir vier Euro fünfzig unterschlagen haben!“
„Stimmt. Dann fragen wir!“
Frau Dr. Pfister war sogar einverstanden, die Tasche mit den Flaschen vorübergehend in einem ihrer Schränke zu beherbergen und einen Aushang zu machen, dass herrenlos herumstehende Pfandflaschen ab sofort eingesammelt und weggespendet würden. „Aber Sie glauben nicht ernsthaft, dass er daraus etwas lernt?“
„Wenn wir nichts mehr abspülen, vielleicht doch“, hoffte Nele. Die Chefin lachte. „Dann bringt er seinen Kaffee in Pappbechern mit und wir haben hier noch mehr Müllberge. Na gut, ich werde mit ihm sprechen. Und mit Frau Pallmark auch, diese Hilflosigkeit auf Kosten der anderen ist unmöglich!“
6
Die Pressestelle hatte die Handtasche mit einigen Fotos in allen wichtigen sozialen Medien präsentiert und gefragt, wer jemanden mit einer solchen Tasche kenne, vorzugsweise jemanden, der in letzter Zeit nicht mehr gesehen wurde, im Idealfall sogar eine Frau? Mittleren Alters?
Nun konnte man nur noch abwarten. Aus dem Obduktionsbericht hatten sie nichts mehr herausholen können – aber eine einigermaßen gut, aber unauffällig gekleidete Frau mit einer sauteuren Handtasche (und in diesem Alter) hatte doch wohl nichts mit einem Mord im Milieu zu tun?
Eher hatte jemand seine nervende Ehefrau umgebracht, vielleicht eine Frau, die sich scheiden lassen wollte und entweder selbst das Familienvermögen besaß oder von ihrem Mann Unterhalt zu fordern hatte, den dieser nicht zahlen wollte.
Wenn ein solches Ehepaar allerdings keine Kinder oder andere Verwandte hatte, konnte man sich als Ehemann natürlich totstellen. Sofern die lästige – und jetzt tote – Gemahlin nicht am Arbeitsplatz vermisst wurde.
Naja, überraschender Urlaub? Irgendwo gewonnen, sofort anzutreten?
Gemahlin reist dringend zur sterbenskranken Mutter?
Untröstlicher Mann, da Gemahlin mit Liebhaber durchgebrannt?
Das klang alles so nach Dr. Crippen… warum hatte man immer nur solche Klischees im Kopf?
Ab und an klingelte eins der Telefone, aber es war immer das Gleiche: Maggie und Patrick hörten sich geduldig an, was die Anrufer zu sagen hatten, machten sich Notizen und verdrehten die Augen, bevor sie sich höflich verabschiedeten und auflegten.
„Lauter Spinner“, schimpfte Patrick schließlich.
Maggie kicherte. „Ich hatte einen Wahrsager, der uns helfen will. Den Namen hab ich, aber…“
Anne winkte ab.
„Mir hat ein - der Stimme nach - uralter Kerl gesagt, die Leiche ist seine Großmutter und eine Hexe, der man das Handwerk legen musste. Und dann war so ein Aasgeier von der Presse dran.“
„Aber Patrick! Pressefreiheit respektieren!“
„Der war von HOT.“
„Ach so, dann“, nickte Anne besänftigt.
Maggie hatte noch einen Mann, der seine Frau als vermisst gemeldet hatte. Das fanden Anne und Patrick doch immerhin interessant, bis Maggie fortfuhr: „Und dann kam seine Frau an den Apparat und sagte, ihr Mann sei leider dement.“
„Machst du das eigentlich mit Absicht?“ Patrick war empört; Maggie lächelte nur und angelte nach der Brezentüte, die aber schon leer war, was Patrick wiederum sehr freute. Anne schüttelte nachsichtig den Kopf. „Also haben wir gar nichts. Stimmt schon, so ein Aufruf lockt hauptsächlich Spinner an.“
Patricks Telefon schrillte los und er angelte nach dem Hörer. Dann hörte er kurz zu, hob die Augenbrauen, notierte sich etwas und bedankte sich.
„Was?“, fragte Anne ungeduldig. „Ein Schamane oder was?“
„Eine Frau, deren Mutter eigentlich auf einer teuren Studienreise ist, aber genauso eine Tasche besitzt. Hat sie von der liebenden Tochter zum Geburtstag gekriegt. Zum Sechzigsten, da greift man ja doch etwas tiefer in die Tasche.“
„Klang es plausibel?“
„Ziemlich. Fahren wir hin?“
„Komm. Maggie macht den Bürodienst. Und Katrin sucht ja immer noch, ob´s da private Überwachungskameras gibt.“
Sie fuhren nach Birkenried, was Patrick schon einmal für einen guten Fingerzeig hielt, als er merkte, wohin das Navi sie lotste. Dann aber mussten sie doch durch die ganze Megabaustelle hindurch, vorbei an einem weiteren Einkaufszentrum, das vorläufig nur aus Betonplatten im Halbkreis zu bestehen schien, dann einem leeren Platz, der verblüffenderweise aber überdacht war - Busbahnhof, vermutete Anne - und einem fast fertigen Ensemble aus mehreren pastellbunten Häuschen, das sie beide für einen Kindergarten hielten. Schließlich landeten sie in einer Straße, in der relativ kleine Doppelhaushälften standen: Brechtstraße.
Sie haben ihr Ziel erreicht, nölte das Navi und sie parkten vor Nummer fünf.
Der Bürgersteig war noch zementverschmiert, der Garten noch sehr kahl, aber immerhin schien man dort Rasen zu planen und nicht bloß eine Steinwüste. Anne nickte dem Garten anerkennend zu und drückte auf den Klingelknopf.
Fast unmittelbar danach wurde die Tür aufgerissen und sie wurden in eine noch etwas unfertige Wohnung geführt – mit Kisten vollgestelltes Parkett, zwei Sofas, von denen eins in einer halb aufgerissenen Plastikhülle steckte, aufgestapelte Stühle. Alles recht nett, Holz, Leder, schlichte Formen.
Die Frau, die sie hereingebeten und aufs Sofa genötigt hatte, schluckte. „Dann ist etwas dran? Oh Gott!“
„Frau Möhl?“, fragte Anne.
„Oh, ja, entschuldigen Sie – ich bin schon ganz konfus! Marianne Möhl, ich hatte Sie ja angerufen. Darf ich Ihnen etwas anbieten?“
Anne und Patrick lehnten brav ab. „Erzählen Sie bitte noch etwas genauer, wie das mit Ihrer Mutter war?“
„Mama – also meine Mutter – macht gern so richtige Bildungsreisen, sie interessiert sich sehr für Geschichte. Meistens bucht sie bei Historia Reisen. Und jetzt sollte sie eigentlich in Griechenland sein, auf den Spuren der mykenischen Kultur. Oh Gott, vielleicht ist das alles meine Schuld?“
Anne sah verdutzt auf. „Wieso das denn?“
Frau Möhl schluckte. „Ich unterrichte Geschichte. Geschichte und Englisch, am Albertinum in Mönchberg. Und seitdem ich Geschichte studiert habe, hat sich Mama auch dafür begeistert. Zunächst hat sie nur Bücher und Dokumentationen gekauft, dann wollte sie die Schauplätze auch selbst sehen. Seitdem verreist sie mindestens dreimal pro Jahr – und warum schließlich auch nicht?“
Das klang verteidigend, aber Anne und Patrick verstanden nicht recht, warum: Niemand missgönnte der Mutter doch diese Reisen, oder?
„Wann wollte Ihre Mutter denn abreisen?“
„Moment mal – heute ist Donnerstag…am vorletzten Samstag, genau. Am Zweiundzwanzigsten. Drei Wochen durch die Peloponnes. Ich liebe ja Geschichte, aber mir wäre das zu stressig… Mama ist sehr gut zu Fuß und ihr ist kein Tempel und kein Museum zu viel.“
Sie seufzte.
„Sie haben vor allem diese Handtasche erkannt?“, wollte Patrick wissen.
„Ja, ein teures Ding, aber sie hatte es sich zum sechzigsten Geburtstag gewünscht. Diese Sachen von Porter´s sind der letzte Schrei. Mama weiß so etwas.“ Sie grinste leicht verlegen. „Ich benutze einen ganz gewöhnlichen Shopper als Schultasche, da geht wenigstens was rein.“ Sie schluckte wieder. „Mama hat seitdem diese Tasche offenbar täglich bei sich gehabt. Sie hat sich so darüber gefreut. Aber ist ihr denn nun wirklich etwas zugestoßen?“