Du bist böse. Mara Dissen

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Название Du bist böse
Автор произведения Mara Dissen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750252332



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übel, kommt meiner Aufforderung aber nach. Ich drücke ihm einen Schein in die Hand.

      „Stimmt so.“ Er dreht sich um und starrt einen Moment zu lange auf meine ausladenden Brüste, die sich zeigen, als meine Jacke sich öffnet, weil ich zu wenig Hände habe, um sie in diesem Augenblick geschlossen zu halten. Schnell raffe ich meine Revers wieder zusammen. Der Fahrer schüttelt den Kopf, ein Dankeschön oder Abschiedsworte sind von ihm nicht zu vernehmen. Ich muss mich zwingen, netter, verbindlicher zu meinen Mitmenschen zu sein. Das werde ich brauchen, wenn ich gleich mein Haus betrete.

      Schleppend langsam nähere ich mich unserem Grundstück.

      „Guten Morgen, Frau Seewald. Könnten Sie bitte ein Stück zur Seite treten und mich durchlassen?“

      „Bei diesem protzigen Tor ist ja wohl Platz genug“, schnauzt meine Nachbarin von gegenüber, bevor sie sich zu mir umdreht.

      „Oh, Verzeihung, Frau Stolpe. Ich habe gar nicht gewusst, ich meine, habe Sie gar nicht erkannt, dachte, Sie sind im Krankenhaus“, stammelt die neugierige Kuh und macht einen hastigen Hopser zur Seite, nicht ohne auf meine krampfhaft zugehaltene Jacke zu starren. Mein unvollständiges Outfit scheint sie augenblicklich mehr zu interessieren, als die Fragen um den Tod meines Kindes.

      „Nein, wie Sie sehen, bin ich nicht mehr im Krankenhaus. Leider habe ich vergessen, Kuchen einzukaufen. Das sollte ich wohl morgen nachholen, damit wir beim Kaffeeklatsch den Tod meines Kindes ausführlich betratschen können. Schönen guten Tag noch.“ Energisch wende ich mich ab, übersehe das empörte Gesicht meiner Nachbarin und nähere mich meinem Hauseingang. Na, das war doch schon besser. Nett, freundlich und zum Kaffee eingeladen, halte ich mir meinen soeben dargebotenen bösen, bissigen Zynismus vor Augen.

      Ich werde immer langsamer, spüre wie meine Beine anfangen zu zittern, die Angst sich über meinen Rücken bis zu den Haarwurzeln frisst, kalter Schweiß auf der Kopfhaut mich frösteln lässt. Erst als der Mann in dem weißen Schutzanzug mit der großen Plastikkiste vor dem Bauch vor mir steht, nehme ich meine Umgebung wieder wahr.

      „Entschuldigung“, murmele ich und weiche im letzten Moment einem Zusammenstoß mit ihm aus. Der kurze Stopp reicht, um mich ins Bild zu setzen. Die Schaukel haben sie also abgebaut, in diese Kiste verpackt und dieser dicke, schwitzende Mann trägt sie einfach von uns weg. Der schwarze, große Fleck auf der roten Sitzfläche fällt mir ins Auge und löst panikartigen Schwindel bei mir aus.

      „Alles in Ordnung?“, höre ich wie durch Watte den Mann besorgt fragen.

      „Ja, ja, alles gut“, reiße ich mich zusammen und setze meinen Weg fort. Nichts ist gut. Ich habe Angst, unbeschreibliche Angst. Wovor? Vor den Menschen, vor dem Weiterleben, vor mir.

      Ich stehe vor meiner Haustür und suche in der kleinen Reisetasche nach dem Schlüssel, bis mir aufgeht, dass meine Suche idiotisch ist. Sie werden mir gestern nach meinem Zusammenbruch wohl kaum vor dem Transport ins Krankenhaus den Haustürschlüssel zugesteckt haben. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass Elli ihn mir gestern Abend ins Krankenhaus gebracht hat. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als zu klingeln. Verzweifelt versuche ich mir vorzustellen, was mich hinter der Tür erwartet. Ich möchte weg, nur weg und kann nicht, darf nicht.

      Es vergeht eine Ewigkeit, bis ich die Kraft aufbringe, auf den Klingelknopf zu drücken und dem laut tönenden Dreiklang zu lauschen. Der dicke, schwitzende Mann ist auf halbem Weg zum Gartentor stehengeblieben und beobachtet mich ungeniert. Nachdem ich geklingelt habe, setzt er seinen Weg fort, scheinbar überzeugt, dass ich zu den Hauptpersonen dieses Dramas gehöre und nun die Bühne betreten möchte. Ungeduldig starre ich auf meine Eingangstür und schiebe es weit von mir, ein zweites Mal zu klingeln. Es ist mein Haus, mein Garten und mein Anrecht, hier ohne Wartezeit eingelassen zu werden. Verärgert wende ich mich ab und beschließe, mir Zutritt über die Terrasse zu verschaffen, da ich davon ausgehe, dass es im Garten nur so von Polizisten wimmelt. Irgendwo müssen die Beamten ja geblieben sein, nachdem die Fahrzeuge auf der Straße sie ausgespuckt haben. Jedenfalls scheinbar nicht im Haus, rede ich mir auch zur Beruhigung ein. Plötzlich vernehme ich sich nähernde schnelle, klackende Schritte hinter der Tür. Mit angehaltenem Atem starre ich auf den Eingang, habe den Schritten entnommen, dass die Tür nicht von Frank geöffnet werden wird, hoffe auf Elli und weiß doch bereits, dass das Geräusch von Absätzen nicht zu ihr passt. Angst schnürt mir die Kehle zu, als sich die Tür öffnet, und ich einer mir unbekannten Frau gegenüberstehe. Ohne ein Wort, versuche ich mich schwungvoll an ihr vorbeizudrücken.

      „Halt, Sie können hier nicht einfach so rein. Stellen Sie sich doch bitte vor“, werde ich energisch zurückgedrängt.

      „Tja, vorstellen, das fände ich sehr gut. Wer sind Sie also?“ Verdammt, schießt es mir durch den Kopf. Du wolltest verbindlicher sein, du musst verbindlicher sein. Reiß dich zusammen. Nein, ich will mich nicht beherrschen. Ich will mich ganz meinem Schmerz hingeben, weinen, schreien, wüten. Die Widersprüche in mir könnten nicht größer sein.

      „Mein Name ist Butt, Hanna Butt. Ich bin Kommissarin bei der Kripo und leite hier Untersuchungen. Verraten Sie mir nun auch, wer Sie sind?“ Die Frau spricht ruhig, freundlich, ohne auf meinen harschen Ton einzugehen, macht aber auch keinen Hehl daraus, dass sie nicht so ohne weiteres bereit ist, mich durchzulassen.

      „Ich bin die Mutter“, stammele ich und hefte meinen Blick auf die Schuhe der Polizistin. Wie kann man mit diesen Ballerinas nur so laute Gehgeräusche verursachen? Wenn Elli solche Schuhe trägt, und von der Sorte hat sie viele, ist von ihr nur wenig zu hören. Vielleicht ist Elli ja auch im Haus und bewegt sich auf leisen Sohlen flink durch die Räume, wartet auf mich, um mir Halt zu geben. Sie fehlt mir.

      „Frau Stolpe? Frau Bianca Stolpe?“, mischt sich die Frau in meine Gedanken ein. Statt einer deutlich vorgetragenen Bestätigung, nicke ich nur schwach mit dem Kopf, was wahrscheinlich meine Trauer, meine bodenlose Hilflosigkeit aufzeigt.

      „Ich habe angenommen, dass Sie sich noch im Krankenhaus befinden und wollte Sie heute Vormittag noch aufsuchen. Kommen Sie, ich nehme Ihnen die Tasche ab.“

      Wie konnte ich nur wieder mit meinen Gedanken so abschweifen. Ständig passiert mir das. Es scheint sich um ein antrainiertes Muster zu handeln, um der Wirklichkeit zu entfliehen, wenn sie unerträglich wird. Was haben mich die Schuhe der Kommissarin zu interessieren. Mühsam reiße ich mich von ihrem Anblick los und schaue der Frau geradewegs ins Gesicht. Sie sieht nett aus, besorgt und angespannt, aber nett. Zielstrebig und doch zugleich behutsam fasst sie nach den Griffen meiner Tasche und entzieht sie meiner Hand, was ich widerstandslos geschehen lasse. Es entgeht mir nicht, dass die Frau mich dabei kurz aber mit flinken, wachen Augen taxiert. Es ist der Blick eines Profis, schießt mir durch den Kopf, und ich schäme mich augenblicklich für mein unvollständiges Outfit. Nein, sie hat etwas anderes erfassen wollen. Sie interessiert sich nicht für meinen Dresscode. Sie will meine Verfassung, meinen physischen und psychischen Zustand einfangen. Na, dann mal los. In der Hinsicht habe ich nichts zu verbergen. Es darf mir schlecht gehen, darf mich meiner Trauer hingeben. Alles andere geht sie nichts an.

      „Ich habe es im Krankenhaus nicht mehr ausgehalten. Die Medikamente haben wohl angeschlagen, sodass ich einen erneuten Zusammenbruch im Moment nicht befürchte“, lächele ich die Frau gequält an. „Entschuldigung, ich habe Ihren Namen nicht richtig verstanden. Frau...?“

      „Butt, Hanna Butt. Kommen Sie. Ich hake Sie einfach mal unter, und wir beide begeben uns langsam in Ihr Wohnzimmer. Lassen Sie sich einfach von mir ein bisschen stützen.“

      Dankbar blicke ich zu Frau Butt auf und glaube, echtes Mitgefühl bei ihr zu entdecken.

      Frank steht mitten im Wohnraum und schaut in meine Richtung. Ich versuche, in seiner Mimik, seiner Körperhaltung zu lesen. Ich erkenne nichts. Keinen Schmerz, keine Wut, keine Verachtung, keinen verzweifelten Wunsch nach gemeinsamem Halt. Er steht nur da und guckt mich an. Und dann sehe ich es. Es ist Gleichgültigkeit, die er mir entgegenbringt, eines der kältesten Gefühle überhaupt, konstatiere ich für mich.

      „Guten Morgen, Frank“, bringe ich mit rauer Stimme hervor. Ohne meinen Gruß zu erwidern, dreht er mir langsam den Rücken zu und schaut in den Garten, so wie er