Terapolis. Tom Dekker

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Название Terapolis
Автор произведения Tom Dekker
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748514022



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und versuchte herauszufinden, woher die Schmerzen kamen.

      „Ich glaube, du hast Recht, Nici. Seine Arme und Beine bewegen sich.“, hörte er einen Jungen sagen. „Was meinst du, Mara?“

      „Nun, Mav, als die eindeutig begabteste in Sachen Krankenpflege würde ich sagen, dass es möglich ist, andererseits könnte es auch ein böser Traum sein, ein Vorzeichen seines nahenden Todes.“, sagte die tiefe Mädchenstimme in düsterem Tonfall. „Ein interessantes Studienobjekt, wenn du mich fragst.“, setzte sie hinzu und in ihrer Stimme schwang so viel morbide Faszination mit, dass es Greg kalt den Rücken hinunterlief. Er beschloss, möglichen weiteren Prophezeiungen seines baldigen Ablebens zuvor zu kommen und die Augen zu öffnen. Mit dem rechten funktionierte das auch ganz gut, im linken Auge breitete sich aber so plötzlich ein stechender Schmerz aus, der ihm mitten ins Gehirn schoss, dass er dieses sofort wieder schloss. Aus einem Auge, dass sich erst einmal an das matte Licht in seiner Umgebung gewöhnen musste, starrte er an eine Decke aus unbehauenem Stein, die sich etwa 2 Schritt über ihm erstreckte.

      „Seht nur! Er ist wach.“, rief die Stimme, die zu dem Mädchen namens Nici gehörte, begeistert. Greg hörte, wie zwei Hände zusammenklatschten.

      Langsam hatte sich Gregs Auge an die Lichtverhältnisse gewöhnt. Er versuchte, seine Umgebung genauer in Augenschein zu nehmen. Das erste, was er sah, war ein Paar grüner Augen. Sie starrten ihn besorgt an. Das musste diese Mara sein, die seinen Tod befürchtet hatte. Ihr ernstes, verkniffen dreinblickendes Gesicht wurde von einer Mähne aus rotbraunen Locken eingefasst.

      „Kannst du mich hören, Fremder?“, fragte sie Greg mit fast beschwörender Stimme.

      „Er ist doch kein Geist, Mara!“, rief ein Junge belustigt aus dem Hintergrund. „Du kannst ganz normal mit ihm reden!“

      „Erzähl mir nicht, wie ich meine Arbeit zu machen habe, Stan!“, raunzte Mara zurück, ohne den Blick von Greg abzuwenden.

      „Deine Arbeit?“, kicherte der Junge. „Bist du jetzt eine Ärztin? Oder eher Schamanin? Du bist noch nicht mal so alt wie Mav, und selbst der ist noch lange nicht erwachsen. Du hast noch gar keine Arbeit.“

      Mara verdrehte genervt die Augen. „Du hast keine Ahnung von solchen Dingen. Ich habe eine Berufung, da muss ich doch nicht warten, bis ich erwachsen bin.“

      „Könnt ihr euch vielleicht später weiterstreiten?“, fragte ein Junge, der zu Gregs anderer Seite hockte. Das musste wohl dieser Mav sein. Greg versuchte, seinen Kopf zu drehen, um ihn betrachten zu können.

      „Schschschsch.“, machte Mara und legte ihm eine Hand auf die Brust. „Nicht so hastig. Wir müssen erst einmal sehen, ob bei dir alles heil geblieben ist. Hast du Schmerzen?“, fragte sie. Greg war sich nicht ganz sicher, aber für ihn schwang in ihrer Stimme die wage Hoffnung mit, dass er tatsächlich Schmerzen haben könnte.

      „Ja. Kopf, Schultern, Rücken.“, stöhnte er.

      „Er kann reden!“, jubelte Nici hinter ihr.

      „Klar kann er reden.“, entgegnete Stan gereizt. „Jeder kann reden.“

      „Woher willst du das wissen? Bei uns kann jeder reden. Aber vielleicht ja nicht da, wo er herkommt, wo immer das sein mag!“, entgegnete Nici streitlustig. „Wo kommst du her?“, rief sie neugierig in Gregs Richtung.

      „Nici!“, riefen Mav und Mara empört im Chor.

      „Er ist von einem Zug gefallen und hat sich verletzt. Es gibt jetzt wichtigere Dinge als deine Neugier zu befriedigen.“, setzte Mav als Erklärung hinzu.

      In diesem Moment fielen Greg die Ereignisse der letzten Stunden wieder ein. Wie er Jesua Fingery tot in seinem Sessel gefunden hatte, das Treffen mit den Tramps in dem alten Lagerhaus, der alte Nick und der Nachtzug, das metallische Klirren. Er war vom Zug gestürzt? Offenbar konnte er von Glück sagen, wenn ihm nur Kopf, Schultern und Rücken wehtaten. Diese Erkenntnis gab ihm neue Kraft. Er stützte sich auf den linken Arm, dessen Schulter ihm weniger Schmerzen bereitete und blickte in Nicis Richtung. Sie sah Mara so ähnlich, als sei sie ihr aus dem Gesicht geschnitten, nur dass sie mehr Sommersprossen hatte und eine feine Narbe ihre rechte Wange zierte. Außerdem trug sie, wie Greg verwundert feststellte, Jungenkleidung, im Gegensatz zu Mara, die ein grünes Wollkleid mit engem Mieder anhatte, wie er aus dem Augenwinkel bemerkte.

      „City.“, keuchte er. „Ich komme aus der City.“ Die Schmerzen im Rücken wurden beim Sprechen fast unerträglich, so dass er sich wieder nach hinten gleiten ließ und für einen Moment das Auge schloss.

      „Nur nicht einschlafen, Fremder. Wenn du jetzt einschläfst, wirst du nie wieder aufwachen. Dann stirbst du bestimmt.“, hauchte Mara besorgt.

      Greg öffnete das Auge wieder. „Ich sterbe nicht, keine Bange.“ Er versuchte sich an einem ermutigenden Lächeln, was ihm zu seinem Erstaunen ohne zusätzliche Schmerzen gelang. „Wo bin ich hier?“

      „Nicht in deiner City jedenfalls.“, knurrte der Junge namens Stan. „Du bist vom Zug gefallen.“

      „Besser gesagt, sie haben dich losgeeist.“, fügte Mav hinzu.

      Greg drehte seinen Kopf zu ihm. „Sie haben was gemacht?“

      „Loseisen.“, erwiderte Mav mit Unverständnis in der Stimme. „Du weißt schon.“

      „Nein.“, sagte Greg und starrte ihn irritiert an.

      „Er hat keine Ahnung, wovon du sprichst.“, kicherte Stan.

      „Was, ein Tramp der keine Ahnung vom Loseisen hat?“, wunderte sich Mav. „Was bist du denn für ein Irrer?“

      „Heh, jetzt lass ihn mal in Ruhe!“, nahm Mara Greg in Schutz. „Hätte er Ahnung davon, wäre er ja nicht vom Zug gefallen, oder?“

      „Doch, wäre er.“, stellte Stan Maras Behauptung richtig. „Gegen das Loseisen kann man nichts machen. Das ist das Risiko jedes Tramps. Ein Stück Eisen an einer langen Schnur. Das schmeißen sie zwischen den Waggons auf das Gleisbett. Dann prallt es dort ab und knallt gegen die Achsvorrichtungen, auf denen die Tramps reisen. Wenn es dich trifft, hast du keine Chance. Sie machen es bei den Nachtzügen regelmäßig. Ich habe noch nie davon gehört, dass ein Tramp so einen Zug benutzt. Ist doch klar, dass man damit nicht weit kommt.“

      „Ich bin kein Tramp.“, versuchte Greg klarzustellen.

      „Genau, und darum fährst du auf dem Achslager eines Zuges und wirst losgeeist. Alles klar, Mann.“, spottete Mav. „Ich glaube, den hat's ganz schön am Kopf erwischt.“, meinte er in die Runde.

      „Kannst du deine Beine bewegen?“, fragte Mara Greg mit beinahe mütterlicher Sorge.

      Greg probierte es und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass die Beine die einzigen Teile seines Körpers waren, die bei seinem Sturz vom Zug offensichtlich keine Verletzungen davongetragen hatten.

      „Geht schon.“, sagte er matt.

      „Na dann, lasst uns ihn mal hochhieven und nach Hause bringen. Ich habe keine Lust, die Nacht hier draußen zu verbringen.“, drängte Stan daraufhin.

      „Ja, bringen wir ihn nach Hause!“ Nici war von dem Vorschlag Feuer und Flamme. „Die werden Augen machen.“

      „Gut, komm ganz langsam hoch! Wir helfen dir.“, sagte Mara und fasste Gregs rechten Arm. Der Junge biss die Zähne zusammen, als ihn ein brennender Schmerz durchfuhr. Sein linker Arm wurde von Mav gepackt und gemeinsam gelang es ihnen, Greg auf die Beine zu stellen. Vorsichtig, um seinen schmerzenden Kopf nicht noch stärker zu belasten, schaute er sich um. Sie waren in einer Art kleiner Höhle. Drei Schritt vor ihm öffnete sich der Ausgang in eine sonnenbeschienene Landschaft. Mav und Nici setzten sich Fliegerbrillen auf, Mara und Stan zogen ihre Schweißerbrillen über die Augen. Nici kam auf Greg zugehüpft und zog ihm seine Schweißerbrille, die über der Zeitungsjungenmütze klemmte, ins Gesicht.

      „Oh, eines der Gläser hat einen Riss abbekommen.“, stellte sie bekümmert fest.

      Mav musterte