Название | Status Quo |
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Автор произведения | Thorsten Reichert |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847618287 |
Er versuchte, sich auf ihrem Laptop einzuloggen, doch der war nicht auffindbar. Das hieß, dass sie damit gerade nicht online war. Trotz ihres speziell gehärteten Computers war sie vorsichtig und traute dem Internet nicht. Meist loggte sie sich damit nur ein- oder zweimal am Tag kurz ein, um Emails zu empfangen und Daten auf ihren Büro-PC zu senden. Diese kurze Zeit reichte aber aus, damit Mikes Spähprogramm auf ihrer Festplatte alle neuen Daten, Mails und Dokumente an einen Server in den USA schicken konnte, der eine Art Spiegelbild ihres Laptops darstellte. Dort hatte er dann rund um die Uhr Zugriff auf ihre tagesaktuellen Dateien und konnte auch ablesen, wann sie zuletzt mit ihrem Laptop online war. Seit heute früh um halb acht war sie nicht mehr im Netz gewesen. Da sie meist abends gegen 19 Uhr nach hause kam (das wusste er dank seiner in ihrer Wohnung installierten Überwachungskamera) und sich einloggte, um private Emails zu lesen oder zu versenden, bedeutete das vermutlich, dass sie heute Überstunden machte oder eine Verabredung hatte. In ihrer Wohnung brannte kein Licht, das Überwachungsprogramm der Mikrokamera zeigte an, dass seit 7.33 Uhr keine Bewegung registriert worden war. Vielleicht hatte sie einen Kerl kennen gelernt. Dank der Kamera wusste Mike, dass sie keinen festen Freund hatte, aber das würde sich über kurz oder lang ändern. Er hasste diesen Gedanken. Frustriert griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer des Escort-Service.
BKA, Wiesbaden, Montag 21.00 Uhr
Die BKA-Mitarbeiterin Stefanie Wohlfahrt hatte den gesamten Tag in den Tiefen der NSA-Daten verbracht. Sie waren wie ein Ozean, ein Strudel, der sie hinein zog, ohne dass sie wusste, was sich in der Tiefe verbergen würde – oder ob überhaupt irgendetwas Wesentliches dort zu finden wäre. Die Anweisung ihres Vorgesetzten war klar gewesen, sie solle nicht unnötig Staub aufwirbeln oder sich zu emotional mit der Sache beschäftigen, aber das fiel ihr schwerer als erwartet. Es machte sie aggressiv, wie detailliert und umfassend ihr Heimatland über all die Jahre ausgehorcht worden war. Natürlich war sie nicht naiv, sie wusste nur zu gut, dass geheimdienstliche Operationen für die Sicherheit eines Landes notwendig waren und gerade die wirtschaftlich großen Staaten eine Menge Bespitzelung betrieben, aber das Ausmaß dieses Eingriffs in jegliche Instanz der deutschen Exekutive und Legislative war schon erschreckend. Selbst juristische Behörden waren Ziel der NSA gewesen. Gerade in diesen Dokumenten fanden sich fast ausschließlich schwarze Balken oder verzerrte Aufnahmen. Die Amerikaner wussten nur zu gut, dass gerade solche Bereiche besonders sensibel für Spähattacken waren und dass the Germans nicht gerade erfreut abgehörte Telefonate von Verfassungsrichtern zur Kenntnis nehmen würden. Doch gerade die Tatsache, dass die Ermittlerin nun zwar von diesen Mitschnitten wusste, ihren Inhalt aber nicht erfahren durfte, machte sie besonders wütend. In was für einer Welt lebten sie, in der unter Freunden solche Grenzüberschreitungen Usus waren? Sie musste sich eingestehen, dass ein wenig ihrer in ihren Teenagerzeiten recht ausgeprägten Naivität noch tief in ihr steckten und sie gelegentlich noch von einer heilen Welt träumen ließ.
Im Laufe des Nachmittags hatte sie versucht, einige Themen oder Handlungsstränge innerhalb der Daten zu verfolgen, indem sie entsprechende Tags oder Suchbegriffe eingab und die Trefferliste soweit eingrenzte, dass sie die jeweiligen Treffer zumindest kurz überfliegen konnte. Dies nahm allerdings so viel Zeit in Anspruch, dass sie sich kein umfassendes Bild einzelner Themen machen konnte. Da sie Jahrgang 1983 war, hatte sie diese Jahreszahl als Tag eingegeben, um zu sehen, für welche Themen sich die NSA im Jahr ihrer Geburt interessierte. Nach etlichen dutzend ziellosen Klicks in der gigantischen Trefferliste kristallisierten sich ein paar Themen besonders heraus: Die vorgezogenen Bundestagswahlen am 6. März, die Anschläge auf US-Einrichtungen in Beirut und die Stationierung von Pershing 2 Mittelstreckenraketen in Deutschland. Andere große gesellschaftliche Themen wie die die Veröffentlichung der Hitler-Tagebücher, das Thema AIDS, die Volkszählung oder kulturelle Phänomene wie die Neue Deutsche Welle waren kaum in den Stichproben der Trefferlisten enthalten. Die Amerikaner interessierten sich nicht für Kultur und Gesellschaft ihrer Freunde, sondern für deren Politik. An einem Dokument, war die Ermittlerin etwas länger hängen geblieben, eine interne Abhör-Anordnung des Bundesnachrichtendienstes für die Geschäftsstelle der Partei „Die Grünen“ in Bonn. Nachdem die Grünen bei den Wahlen erstmals in den Deutschen Bundestag eingezogen waren, landeten sie offenbar auf direktem Wege auf der schwarzen Liste des deutschen Geheimdienstes. Man schien den Linksradikalen (was sie in der damaligen politischen Landschaft ja noch waren) nicht zu trauen, daher wurde von oberster Stelle ihre geheime Überwachung angeordnet. Stefanie Wohlfahrt war keine Anhängerin linksökologischer Politik, aber das war schon ein beunruhigender Einblick in die Frage, wie Demokratie und Freiheit in ihrer Heimat definiert und gehandhabt wurden. Von diesem BND-Dokument war sie über Tags zu anderen, nicht minder schockierenden BND-Tätigkeiten gelangt; zu Dokumenten, die sie einhundertprozentig für Fälschungen gehalten hätte, wäre nicht die Unterschrift des Bundeskanzlers darunter zu sehen gewesen, oder zu Tonbandaufnahmen, in denen Leute abgehört wurden, die im allgemeinen, gesellschaftlichen Verständnis als absolut neutral und vertrauenswürdig gegolten hatten. Dass der deutsche Innenminister einen beliebten Talkmaster des öffentlich-rechtlichen Fernsehens überwachen ließ, weil er glaubte, dieser habe Kontakte zur Stasi, das war schon ein ziemliches Brett.
Es war nun kurz nach 9, ihre Augen brannten vom unentwegten Starren auf Bilder und viel zu klein gedruckte Texte auf ihrem Monitor, und Stefanie Wohlfahrt war ernüchtert. War sie im ersten Moment enttäuscht gewesen, dass die