Название | VIRDULA Endlosgeschichten Band 1 |
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Автор произведения | Jay H. Twelve |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844292756 |
Die Aborigines dagegen beachteten das gespeicherte Wissen ihrer Ahnengeister vieler Generationen, das sie wie eine unerschöpfliche Bibliothek für das tägliche Überleben verwendeten. Genau diese Bibliothek wollte Don José eingehend erforschen.
Alsbald entdeckte er dass Begriffe, die die Aborigines für einen bestimmten Sachverhalt verwendeten, eine gezielte Denkrichtung in Gang setzten, womit hierfür benötigtes Wissen in der Bibliothek der Geisterwelt abgefragt werden konnte. Schon Jahrtausende zurück malten sie auf Felsen an ihren heiligen Plätzen die gleichen Begriffe, die sie für ihre spirituelle Kommunikation untereinander verwendeten. Für Außenstehende, die in einer anderen Kultur groß geworden waren, die durch andere Begriffe und Zeremonien geprägt worden waren, war es nicht möglich diese Kommunikation zu verstehen, geschweige denn irgend etwas Sinnvolles aus dem Gesang und Tanz der Aborigines zu gewinnen.
Der junge Don José nutzte solche seltenen Gelegenheiten, die sich bei Begegnungen mit den „noch wilden Aborigines“ ergaben, um unvoreingenommen und mit geschlossenen Augen aufmerksam zuzuhören. Hinterfragen konnte er diese Menschen kaum, weil ihm deren Welt so fremd und doch so vertraut vorkam. Fast so vertraut, als schlummerte irgendwo eine Welt in seinem Gedächtnis, die er nur vorübergehend vergessen hatte.
Nach solchen Erlebnissen mit den Ureinwohnern Australiens beschäftigten ihn seltsame Träume, die von solcher Intensität waren, dass er sie im wachen Zustand als Wirklichkeit empfand. Er träumte von wunderschönen Landschaften und Felsen, von deren Höhen er diese Gegenden weit überblicken konnte. Von einem großen See, so dunkelgrün von Wäldern umringt, still, als gäbe es keinen Wind, der die glasklare Oberfläche in ihrer Farbharmonie stören könnte. Von einem Felsen, von welchem er immer seinen imaginären Flug über den See startete.
Er war sich seiner menschlichen Gestalt im Traum bewusst, auch die abgewetzte lederne Umhängetasche die ihn überallhin begleitete, die quer über die Schulter hing. Bevor er seinen Flug startete, band er diese, für ihn wichtige Tasche gewissenhaft an seinem Hosengürtel fest, damit sie nicht während des Fluges herumwirbelte. Als er sich dann schließlich in die Schlucht hinein stürzte und mit zunehmender Geschwindigkeit den grünen See und die dahinter stehenden Bäume überflog, wurde er von einem unbeschreiblich erhabenen Gefühl erfasst. Dieses Gefühl, über Landschaften zu fliegen und alles wie mit Adleraugen wahrnehmen zu können, zugleich das ganze Bild als auch die winzigen Details, waren unbeschreiblich schön anzusehen. Sobald er den See und die Wälder überflogen hatte, fand er sich plötzlich in der realen Welt des australischen Outbacks wieder. Er setzte seinen Flug weiter fort, als wollte er die Landschaft vorab erkunden, damit er morgen genau wissen würde, wohin er mit seinem Land Rover fahren sollte.
Diese Träume begleiteten ihn die ganze Reise lang, Nacht für Nacht, ohne Ausnahme. Er stellte allerdings mit Verblüffung fest, dass die geträumten Landschaften mit der Realität übereinstimmten und er sich bei der Navigation durchaus auf die Traumroute verlassen konnte. Er nahm diese Erfahrung als selbstverständlich an und freute sich wie ein kleiner Junge, wenn die geträumte Landschaft mit der Strecke, die er gerade mit dem Auto fuhr, gänzlich identisch war. Ihm erschien hier in der Wildnis alles anders und vieles Utopische möglich, weil die Einsamkeit in der unberührten Natur eine eigene geistige Welt beherbergte, deren Einwirkung auf seinen seelischen Zustand berauschende Erkenntnisse zu Tage förderte.
Mit der Zeit festigte sich in ihm die Überzeugung, dass er anfing sich an Empfindungen zu erinnern, die in laufenden Generationen seiner Ahnenreihe verloren gegangen schienen. Der junge Don José verinnerlichte allmählich den Rhythmus der Wildnis. Er empfand Eindrücke an bestimmten Plätzen der endlosen Wildnis, die ihm Wohlbefinden oder Unbehagen bereiteten. Immer vor Sonnenuntergang suchte er eine geeignete Stelle, wo er sein Nachtlager herrichten konnte und befragte die Umgebung im Geiste, ob er da auch willkommen sei. Das äußerte sich darin, dass er an bestimmten Plätzen entweder eine merkwürdig liebliche Geborgenheit des Ortes wahrnehmen konnte, oder ein kribbelndes Unbehagen empfand, als wenn er in diesem Moment mit der Erde kommunizierte.
Diese real gewonnenen Erfahrungen übertrug er in seine nächtlichen Träume. Er befragte die Landschaft, während er sie im Traum überflog. Das machte er nicht auf visuelle Weise, sondern rein gefühlsmäßig. Wenn sich Don José in einer bestimmten Gegend mehrere Tage aufhielt, weil ihn die Bodenbeschaffenheit und die Umgebung besonders interessierten, stellte er bald fest, dass gerade in solchen einladenden Gebieten keinerlei Spuren von Erzvorkommen lagen, dafür aber unterirdische Wasservorräte vermuten ließen.
Zu seiner Ausrüstung gehörten auch ein ausziehbares Thermometer und ein Feuchtigkeitsmessgerät, die in einem Behälter aus Glas und emailliertem Blech untergebracht waren. Der senkrecht gelagerte Zylinder des Messgerätes, den man wöchentlich mit einem neuen vorgedruckten Papier bespannte, funktionierte wie ein Uhrwerk, das man mit einer Spiralfeder aufziehen konnte. Zwei seitlich hängende Tintenschreiber zeichneten über einen Arm jeweils die Temperatur und die Feuchtigkeitsschwankungen auf.
In dem australischen Outback verhielt es sich ähnlich wie in allen anderen Wüstenlandschaften. Tagsüber kletterte das Thermometer bei extrem trockener Luft auf 45° bis 50° C und in der Nacht fiel die Temperatur bis auf 10° bis 15° C, wobei die Feuchtigkeit erst kurz vor Sonnenaufgang spürbar anstieg. Die Messungen an solchen speziell angenehmen Plätzen zeigten wesentlich geringere Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen. Man sah, dass die Aborigines bei ihren ständigen Wanderungen gerade solche Plätze als Raststätten bevorzugten; Spuren verloschener Lagerfeuer und herumliegende Tierknochen bestätigten dies.
Ganz am Anfang seiner Exkursion in das Landesinnere kannte sich der junge Don José kaum in Zoologie und Biologie der neuen Heimat aus. Seine Kenntnisse waren auf wenige Eukalyptusbaumsorten, Dingos, Kängurus, Schlangen, Krokodile und Kakadus beschränkt. Mit der Zeit und insbesondere durch den Kontakt mit den Aborigines, Viehzüchtern sowie Abenteurern, denen er unterwegs begegnete, lernte er schnell die Vielfalt der scheinbar spärlichen Vegetation und Tierwelt kennen. Dieser Lernprozess vollzog sich vorwiegend am Lagerfeuer oder auf einer Veranda bei den Viehzüchtern, die mangels sonstiger Themen gerne über giftige Spinnen, Schlangen und verschlagene Dingos erzählten. Der unterhaltsame Unterricht durch die weißen Siedler und Landstreicher unterschied sich gravierend von der Betrachtungsweise der Aborigines. Die weißen Siedler selektierten die Lebewesen in nutzbar oder schädlich, harmlos oder gefährlich. Nach diesen Kriterien wurden diese Wesen verbraucht, vernichtet oder ignoriert.
Die Aborigines dagegen betrachteten die Umwelt als eine scheinbar materielle Welt, von geistigen Wesen, die sich als Felsen, Pflanzen, Wasserquellen, Insekten oder Tiere verkleideten und die Kraft hatten, eine Traumwelt hervorzuzaubern. Ihre ständigen Wanderungen durch die Endlosigkeit des Kontinents nannten sie Traumreisen und den bevorstehenden Weg, den sie morgens antreten würden, träumten sie sich im Voraus. Für alle Dinge hatten sie einen Namen und dazu passende spirituelle Zeichen, die sie mit großem Respekt verehrten. Die Auswahl und Aufnahme der Nahrungsmittel vollzog sich in Form von Zeremonien, deren strenge Einhaltung die Ältesten mit Argusaugen überwachten. Die Abweichler, die diese rituellen Regeln missachteten, wurden streng bestraft. Nicht selten wurden Stammesmitglieder ausgestoßen oder verstarben an unerklärlichem Herzversagen.
Für den jungen Don José eröffnete sich hier eine neue Welt, die ihn zwar faszinierte, aber mangels Kenntnis der komplexen Aboriginessprache nur bruchstückhaft zugänglich war. Mit der Zeit lernte er einige Sätze, die ihm im alltäglichen Umgang Zutritt zu den scheuen Ureinwohnern verschafften. Insbesondere Geschenke, die er von einem Stamm bekam, schienen bei dem nächsten Stamm wie Passierscheine zu funktionieren. Manche Geschenke bewirkten aber auch helle Aufregung bei den Stammesältesten und er lernte schnell solche Geschenke lieber in der Kiste zu belassen und nur allgemein populäre Geschenke anzubieten. Von diesen seltsamen Menschen, die von der hochnäsigen Akademikerwelt als Steinzeitmenschen deklariert wurden, lernte er, wie wenige Dinge ein Mensch im Leben wirklich braucht. Er war erstaunt zu erfahren, wie viel Wissen sich die Aborigines über die komplexe Welt der australischen Flora und Fauna angeeignet hatten, um zu überleben. Würde man eine Langzeitprüfung ansetzen, könnte man jedem heranwachsenden Aborigine nach Maßstäben der europäischen Universitäten bedenkenlos