Название | Der Dichter und der Tod |
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Автор произведения | Joana Goede |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847606888 |
Schon klingelte es an Kromnagels Tür. Er hastete in den kleinen Flur und bemerkte, dass die Gegensprechanlage nicht leuchtete, so wie sie es tat, wenn unten vor dem Haus jemand bei ihm geklingelt hatte. Somit öffnete er irritiert die Tür und blickte in das freundliche Gesicht des Hausmeisters Igor.
„Entschuldige die Störung“, sagte dieser in ein wenig Berlinerisch, weil er ursprünglich aus Berlin kam. „Ich müsste da mal eben an deinen Wasserzähler.“ Russisch sprach Igor fast gar nicht, obwohl er in Russland geboren worden war. Er meinte nämlich, die Sprache sei zu schnell und zu verwaschen, um sie sich auf Dauer merken zu können. Allerdings hatte Igor auch nach eigener Aussage keinen Kontakt zu seinen Landsleuten. Igor hatte eine Deutsche geheiratet und sein Sohn Alexander sprach selbst kein Wort Russisch. Trotzdem sah man Igor seine russischen Wurzeln deutlich an.
Kromnagel fragte ungläubig: „Wasserzähler?“
Igor trat von einem Bein auf das andere, bevor er etwas umständlich erklärte: „Die Leute haben sich beschwert. Einige meinen, dass der Wasserzähler bei ihnen letztes Jahr falsch abgelesen wurde.“ Sein dunkelgrauer Schnurrbart wackelte lustig hin und her, wenn er sprach.
Kromnagel: „Und? Was hat das mit mir zu tun?“
„Ich habe versprochen, bei allen heute den Wasserstand aufzuschreiben. Morgen Vormittag kommt ja der Typ, der ihn abliest. Ich hatte extra einen Zettel unten hingehängt, schon vor ein paar Tagen.“
Kromnagel kratzte sich am Kopf und trat zur Seite: „Ja, dann bitte. Komm rein und tu, was du tun musst. Der Zettel muss mir irgendwie entgangen sein.“ Kromnagel beachtete niemals die Aushänge am Schwarzen Brett im Eingangsbereich des Hauses. Ob da was hing oder nicht – er sah es nicht. Solche Dinge schossen in der Regel durch Kromnagels Augen in den Kopf und unverarbeitet zu den Ohren wieder hinaus. Zumindest behauptete das Sixtus.
Der dickliche Igor huschte an Kromnagel vorbei, zog einen zusammengeknickten Zettel und einen Kugelschreiber aus der Tasche der verwaschenen Jeans, ging schnurstraks ins Bad und schrieb konzentriert die richtige Zahlenreihenfolge auf den Zettel. Danach sagte er zu Kromnagel, der in der Badezimmertür lehnte und ihm zusah: „Wir wollen ja nicht, dass jemand übers Ohr gehauen wird, nicht? Ich werde morgen, wenn der Typ alles abgelesen hat, die Werte vergleichen. Die sollten sich dann ja nicht zu sehr von meinen unterscheiden. Mehr kann ich nicht machen. Morgen werde ich kaum Zeit haben, mit dem Typ mitzugehen und ihm ständig über die Schulter zu gucken. Außerdem wäre ihm das sicher nicht recht.“
Kromnagel nickte und meinte: „Ja, das ist wirklich nett von dir Igor, vielen Dank.“
Igor betrachtete Kromnagel nun etwas genauer, wie er da lehnte, und erkundigte sich: „Ist bei dir alles ok? Du siehst geschafft aus. Du solltest mehr schlafen. Arbeitest du immer noch nachts?“
Kromnagel zuckte hilflos mit den Schultern: „Manchmal, wenn es sich nicht anders machen lässt. Nachts habe ich die besten Ideen. Tagsüber sieht es eher mau aus.“
Igor bewegte den Kopf voll Zustimmung, als ob er genau wüsste, wovon Kromnagel sprach. Er kannte den kauzigen Dichter schon so lange, wie er hier als Hausmeister tätig war. Über zwanzig Jahre. Zwar sprachen sie nicht viel miteinander, aber sie wechselten hier und da ein paar Worte auf der Treppe oder im Garten, wenn sie sich begegneten. Kromnagel fragte deshalb der Form halber: „Und, was macht dein Sohn?“
Igor knirschte mit den Zähnen, steckte Zettel und Kugelschreiber weg und meinte: „Ach, der. Alex. Er war so ein liebes Kind. Alle haben gesagt, dass mal was aus ihm wird. Nun macht er mir nur Sorgen. Hat schon wieder abgebrochen, dieser Spinner. Dabei lief alles so gut. Jetzt zieht er zurück zu mir. Hat gestern schon sein ganzes Zeug gebracht. Will jetzt eine neue Lehre machen, in der Apotheke oder so. Oder Arzthelfer. Der mit seinen zwei linken Händen. Und dann Blut abnehmen wollen. Der Junge hat sie echt nicht alle. Aber was soll ich machen? Er lässt sich von mir ja nichts sagen. Er ist fast fünfundzwanzig und hat immer noch nichts. Keine Ausbildung.“
Kromnagel nickte mitfühlend: „Aber immerhin hat er sein Abitur. Damit stehen ihm ja alle Türen offen.“
Igor lachte finster und zog die buschigen Augenbrauen hoch: „Ich sag dir, aus dem wird nichts mehr. Den hab ich jetzt bis zum meinem Tod an der Backe kleben. Jetzt macht der sich erstmal schön in seinem alten Zimmer breit. Schleppt Mädchen an. Und arbeitet nichts. Sei froh, dass du von sowas verschont bleibst.“
Kromnagel gab ehrlich zu: „Ja, Igor. Du kannst mir glauben, das bin ich auch. Mein Bruder hat ja auch nur Schwierigkeiten mit dem Benni.“
Igor nickte und zischte: „Dieser Bengel. Der hat mir schon vor Jahren den ganzen Garten in Unordnung gebracht. Jetzt schleppt er ständig sein dreckiges Rad ins Treppenhaus, lässt es mitten im Weg stehen und rempelt alle Leute an, die ihm auf der Treppe entgegen kommen. Dein Bruder hat mein Mitgefühl. Und ich weiß, wovon ich rede.“
Igor machte sich nun nach diesen Herzensergießungen wieder auf. Kromnagel verabschiedete ihn an der Tür, warf einen Blick auf die Uhr und versuchte es noch einmal bei Anabells Handy. Er hasste die Mailbox. Immer, wenn es wichtig war, war es die Mailbox.
Und kaum hatte Kromnagel sein nervöses Gehen im Wohnzimmer wieder aufgenommen, kaum hatte er wieder an Mehrings Karte gedacht und an die Telefonnummer: „Ich könnte sie wenigstens neben das Telefon legen, für den Notfall...“ – da klingelte es wieder an der Tür.
Dieses Mal war es Anabell. Kromnagel fühlte sich regelrecht belagert von Menschen, die heute permanent etwas von ihm wollten. Außerdem war Anabell deutlich zu früh dran. Auch typisch für sie.
Anabells Stimme in der Gegensprechanlage war die erste an diesem Tag, über die er sich freute. Er wollte sie zuerst schnell wegschicken, damit sie nicht die Aufmerksamkeit des Mörders auf sich zog. Aber als Kromnagel ihre liebe, fröhliche Stimme in der Gegensprechanlage hörte, konnte er es nicht. Er brauchte sie. Und sie freute sich so, ihn zu sehen. „Winni, mach die Tür auf, das Essen wird ganz kalt, hier in dem blöden Regen!“
Kromnagel drückte auf den Knopf, es surrte und Anabell betrat das Haus. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in Kromnagel aus. „Wenn ihr etwas passiert“, dachte er und sein Magen krampfte sich zusammen, „dann bist du schuld.“
Ungeduldig wartete er, bis er ihre Schritte im Treppenhaus hörte. Dann riss er die Tür auf, fiel dabei fast über Tristan, der Anabell ebenfalls liebte und sofort zur Tür gestürmt war, als er sie hörte. So tief konnte Tristan gar nicht schlafen, dass ihm Anabells Schritte entgangen wären.
„Na, da seid ihr zwei ja!“ Anabell umarmte Kromnagel, riss den Kater an sich und kraulte ihm heftig das Brustfell. Der Kater hing selig in ihren Armen und schnurrte. Kromnagel hatte Anabell die Tüte abgenommen, in der sie das Essen transportierte, und den klatschnassen Regenschirm in seinem kleinen Flur ausgebreitet. Mit diesem Schirm war der Flur gut gefüllt. Es war fast unmöglich, an ihm vorbeizugehen.
Geschwind warf Anabell ihren Mantel über den Küchentisch, quetschte sich am Schirm vorbei und setzte sich mit dem Kater auf dem Schoß in einen Sessel im Wohnzimmer. Kromnagel holte zwei große und einen kleinen Teller, Besteck und Gläser sowie eine Flasche angebrochenen Weißwein.
Anabell sagte zu ihm: „Du solltest nicht so viel Wein trinken, ehrlich. Das ist nicht gut für den Blutdruck.“
Kromnagel entgegnete: „Erstens hatte ich nie Probleme mit dem Blutdruck, zweitens brauche ich den Wein zur Steigerung der kreativen Energie. Davon lebe ich. Zumindest fast.“
Er fiel schwer in den Sessel, schenkte Anabell und sich ein Glas ein und leerte das seine in einem Zug. Anabell starrte ihn an. Sie hatte schöne blaue Augen und dunkle, kurze Haare. Die standen in alle Richtungen ab und umrahmten ein hübsches, niedliches Gesicht, dessen Wangen rot leuchteten. Der Kopf war insgesamt ein wenig zu klein geraten und die Ohren standen leicht ab. Manchmal hatte sie dadurch etwas Zwergenähnliches an sich. Das konnte man mögen oder nicht. Ihr Kleid lag eng an und präsentierte ihren schmalen, nicht sonderlich weiblich anmutenden