Название | Der Dichter und der Tod |
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Автор произведения | Joana Goede |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847606888 |
„Nichts.“ Kromnagel nahm nun doch einen Bissen, dann zwei. Beim langsamen, gründlichen Kauen dachte er angestrengt an das Kaninchen und die tote Frau. „Sie beide“, dachte er, „sie beide findest du an einem Tag. Kurz hintereinander. Aber was soll so ein toter Hase mit einem toten Menschen zu tun haben? Kann ein Mensch einen Grund haben, ein Kaninchen zu töten? Erst das Tier, dann den Menschen? Ein herrenloses Wildkaninchen, das friedlich auf dem Friedhof unter seinen Artgenossen lebt?“
Nun bemerkte Kromnagel Anabells Blick, mit dem sie ihn beobachtete. „Woran denkst du?“, fragte sie. Dem Lyriker fehlten die Ideen. Er hätte etwas erfinden müssen, aber er wusste nichts. Er dachte nur an das Kaninchen. Somit musste er das einzige sagen, das sein Kopf enthielt: „Ich, ich denke an Kaninchen.“
Anaball gluckste vor Freude und rief: „An Kaninchen? Wie kommst du denn nun plötzlich darauf? Du hast dich doch nie für andere Tiere als für deine Katzen interessiert?“ Tristan hob den Kopf, als das Wort Katze fiel. Er hatte sich wieder auf dem Sofa eingerollt und war hochzufrieden weggedöst. Trotzdem bekam er immer mit, wenn von ihm die Rede war.
Kromnagel bemühte sich nun um einen unbeschwerten Ton, um von dem risikoreichen Thema des frühmorgendlichen Leichenfunds abzulenken: „Es ist so, dass ich überlege, ob Tristan und ich uns auf unsere alten Tage ein Kaninchen anschaffen sollten. Ich mag sie jetzt recht gern, diese kleinen Tierchen mit den lustigen Ohren. Irgendwie sind die immer gut drauf.“
Anabell staunte. Sie hakte nach: „Aber wie kommst du denn dazu? Hast du irgendwo eins gesehen, das dir gefiel? Im Zoogeschäft?“
Kromnagel schüttelte den Kopf und stellte klar: „Ich sehe nur die ganzen Häschen im Park. Weißt du, natürlich besonders im Sommer. Aber im Winter kriegt man auch welche zu Gesicht. Und wenn dann die ganzen Kleinen rauskommen, ist das schon toll. Auf dem Friedhof gibt es ja auch Massen. Jedes Mal, wenn man um eine Ecke biegt, sieht man eins. Oder gleich mehrere.“
Kromnagel glaubte sich damit gut aus der Affäre gezogen zu haben und erzählte Anabell so viel über die Kaninchen, die er ständig sah, kam dann zu den Eichhörnchen und schließlich zu Hunden, dass Anabell sich zu langweilen begann. Ihr ging wohl auf, dass Kromnagel, der ansonsten Katzen über alles stellte, in diesem Moment ablenken wollte. Er wollte von etwas ablenken, über das er auf keinen Fall reden wollte. Und Anabell akzeptierte das. Sie vermutete, dass er erst selbst mit sich die Sache mit der Leiche ausführlich bereden musste, bevor er sie, Anabell, in seine Gedanken und Gefühle einweihen konnte. Denn Kromnagel war ein Mensch, der viel mit sich selbst und wenig mit anderen sprach. Zumindest behauptete das Anabells Mutter, die sich unter anderem aus diesem Grund von dem merkwürdigen Dichter getrennt hatte. Sie meinte, dass sie an ihn nie hätte herankommen können. Nicht einmal über seine Lyrik.
Bei Kromnagel musste man immer das Gefühl haben, dass dieser Mann etwas verbarg. Anabell selbst störte sich nicht daran, denn sie wusste, dass es sich bei Kromnagel um nichts Schlimmes handeln konnte. Er verbarg lediglich sich selbst vor den Blicken der anderen. Sein gutes Recht, fand sie. Auch in seinen Gedichten entblößte er sich niemals vollständig. Und Anabell glaubte, dass zu einem guten Dichter, für den sie Kromnagel hielt, auch ein bisschen Geheimnis gehörte.
Als Anabell ging, atmete Kromnagel hörbar auf. Er lud sie ein, in ein paar Tagen noch einmal zu kommen, wenn er sich etwas beruhigt hatte. „Es ist alles noch so frisch. Tut mir leid, wenn ich heute Abend nicht so lustig war.“
Anabell umarmte ihn fest. „Es macht nichts, Winni. Wirklich nicht. Mach dir keine Gedanken darüber. Ich ruf an, wenn ich zwischendurch Zeit habe, damit ich hören kann, wie es dir geht. Und du kannst dich natürlich auch melden, wenn was sein sollte. Wenn du einen zum Reden brauchst oder so.“
Kromnagel schloss die Tür hinter ihr, lehnte sich dagegen, sackte langsam an dem dunklen Holz herunter, bis er auf dem Boden saß.
Vor ihm zeigten sich kleine Pfützen, die Anabells nasser Regenschirm hinterlassen hatte. Kromnagel dachte an seinen Regenschirm, der noch irgendwo auf dem Friedhof liegen musste. Wenn die Spurensicherung ihn nicht einkassiert hatte. Er nahm sich vor, Mehring zu fragen, ob er ihn zurückkriegen könnte. Es war immerhin sein einziger Regenschirm. Ohne ihn konnte er im Grunde gar nicht nach draußen bei dem schrecklichen Wetter. Ein Blick aus dem Fenster, wo die Sonne untergegangen war, bestätigte seine Vermutung, dass es noch immer in Strömen goss. „Was für ein Wahnsinn“, dachte Kromnagel. Er meinte damit sowohl das Wetter als auch den Fall, in den er ohne sein Zutun verstrickt worden war.
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