Schatten und Licht. Gerhard Kunit

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Название Schatten und Licht
Автор произведения Gerhard Kunit
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738021592



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und lenkte sie in eine konzentrierte Feuerkugel. Dann wartete sie, bis Harazzin seinen Flug für eine enge Wende verlangsamte. Verlust, durchzuckte es sie schmerzhaft, als das letzte Quäntchen ihrer magischen Kraft in den Zauber floss. Dennoch konnte sie die Konzentration lange genug halten, um die weißglühende Feuerkugel erst an ihrem Ziel zu entfalten.

      Trotz der beträchtlichen Entfernung spürte Sylva die zurückschlagende Hitze, als der Djinn von weißem und blauem Feuer verschlungen wurde. Ein erschrockenes Raunen lief durch die Schüler, doch Harazzin flitzte knisternd aus der verglühenden Wolke. Das Flammenwesen nahm die Gestalt eines winzigen Drachen an, schlug zwei Loopings und, nach einer wilden Schraube, einen dritten. Es jagte in wilden Kurven über den Platz und sprühte vor Begeisterung, doch in seinem Fall war das wörtlich zu nehmen. Schüler und Lehrerin brachten sich vor seinem ausgelassenen Funkenregen in Sicherheit. Magistra Feuerstaub applaudierte begeistert und die Anderen fielen ein.

      Sylva war stolz. Die Anerkennung half über die Leere hinweg, welche die verbrauchte Magie in ihr hinterließ. Satina umarmte sie spontan und Nikki gratulierte ihr. Nur Farin wandte sich missmutig ab. Als er aufsah, erkannte sie unverhohlenen Neid in seinem Blick.

       * * *

      Zwei Wochen später vollendete Sylva einen sorgfältiger gearbeiteten Waffengürtel, aber sie trug den Dolch nur noch selten. Obwohl ihre Faszination für die schlanke Klinge ungebrochen war, respektierte sie die allgemeine Abneigung gegen scharfe Waffen.

      Die Fechtstunden mit Reuben, Serena und Torin wurden indes zu einer lieben Gewohnheit, und sie machte dabei gute Fortschritte. Nach einem anstrengenden Nachmittag im Kupferkrug trottete sie müde zur Akademie hinauf. Ihre Muskeln schmerzten, da Serena sie ordentlich gefordert hatte.

      Eine Bewegung am Straßenrand ließ sie aufsehen. Magister Reimer musste hier auf sie gewartet haben. „Sylva, ich muss mit Dir sprechen.“

      Seine Ernsthaftigkeit beunruhigte sie.

      „Es geht um Deinen Dolch“, fuhr er fort. „Und um Deine Prüfung für das Noviziat.“

      Sylva verstand nicht.

      „Das Tragen von Waffen mit scharfer Klinge ist bei Magiern verpönt, bei strenger Auslegung sogar verboten. Ausnahmen gibt es nur für die kleinen Messer, die in der Pflanzenkunde oder in der Alchimie verwendet werden. Das Gesetz wird nicht oft angewendet, da die meisten Magier Klingenwaffen von sich aus meiden, aber in Deinem Fall haben sich einige Schüler bei Magistra Südfahrer beschwert und …“

      Er unterbrach sich, als sie ihn mit großen Augen ansah. „Also genau genommen ein Schüler“, fuhr er fort, „aber das ist nicht von Belang. Das Tragen des Dolches am Akademiegelände und in der Öffentlichkeit ist Dir untersagt. Ich muss Dir die Waffe abnehmen.“

      Ein Kloß machte sich in Sylvas Hals breit. Wieso machen sie mir alles kaputt, dachte sie, während sie zögerlich die Schnalle des Gürtels öffnete. Zumindest haben sie Reimer geschickt. Wenn ich der Südfahrer den Dolch geben müsste, würde ich heulen wie ein kleines Mädchen.

      „Ich werde den Dolch im Kupferkrug deponieren“, überlegte Reimer halblaut und rieb sich das Kinn. „Torins Vater ist ein ehrlicher Mann. Dem kann ich die Waffe anvertrauen, und wenn ich‘s recht bedenke, kann man seinen Schuppen auch nicht als öffentlich bezeichnen. Da stimmst Du mir doch sicher zu?“

      Er strahlte die verdutzte Schülerin an: „Außerdem habe mich erboten, Dir eine Strafarbeit aufzubrummen“, meinte er gönnerisch und weidete sich an ihrer Verwirrung. „Weißt Du, was ein ‚Ridik‘ ist?“

      Sylva nickte mechanisch und wiederholte den Absatz aus dem Lehrbuch: „Ein Ridik ist ein magischer Gegenstand, der als Fokus und Verstärker für bestimmte Aufgaben dient. Ursprünglich für den Kampf gegen dämonische Kräfte gedacht, finden Ridiks in vielen Bereichen der Magie Verwendung, allen voran bei Alchimie und Hellsicht.“

      „Gut. Wer darf ein Ridik besitzen?“

      „Im Gegensatz zu einem Artefakt ist das Ridik ein personifizierter Gegenstand. Es ist nur seinem Erschaffer von Nutzen.“

      Sylva zögerte, doch er bedeutete ihr fortzufahren. Sie kramte in ihrem Gedächtnis. „Ein Magier darf nur eigene Ridiks mitführen, dies kann ihm aber keinesfalls untersagt werden. Diese Bestimmung ist dominant und steht damit in ihrer Wertigkeit über anderslautenden Verboten weltlicher oder magischer Autoritäten.“

      „Sehr gut“, lobte der Lehrer. „Du schreibst mir eine Abhandlung über Ridiks. Achtzehn Pergamente dürften genügen. Sieh zu, dass Du vor Deiner Prüfung fertig wirst, dann hat die Sache keinen weiteren Einfluss auf Deine Beurteilung. Ach ja, vergiss nicht ausführlich zu beschreiben, welche Gegenstände als Ridik in Frage kommen. Jetzt mach‘, dass Du nach Hause kommst, bevor es finster wird. Ich bringe noch den Dolch in den Krug.“

      Fröhlich pfeifend marschierte er los. Sylva sah ihm wütend hinterher. Sie ballte die Fäuste und stampfte mit dem Fuß. „Achtzehn Pergamente, so ein Mist“, schimpfte sie. Sie tat sich mit dem Schreiben immer noch schwer und er wusste das. Für eine so umfangreiche Arbeit würde sie Stunden über Stunden in der Bibliothek verbringen. Er hatte ihr die schlechte Nachricht persönlich überbracht, und er würde den Dolch in den Kupferkrug bringen. Dafür war Sylva ihm dankbar, aber die ausgelassene Stimmung, mit er ihr die Arbeit aufgebrummt hatte, wurmte sie. Wütend stapfte sie den Karrenweg hinauf und trat einen Kiesel beiseite. Achtzehn Seiten! Was denkt der sich eigentlich.

      Bald darauf erreichte sie die Akademie. Wahrscheinlich hatte Reimers gute Laune gar nichts mit ihr zu tun und er freute sich nur auf einen Abend in der Stadt.

       * * *

      Am Abend vor ihrer Prüfung war Sylva fertig. Ihre Rechte schmerzte vom Schreiben und ihr Rücken war steif. Zum wiederholten Mal fragte sie sich, warum gerade ihr die Handhabung des Federkiels solche Mühe bereitete. Noch einmal überflog sie die Pergamente. Etliche, nur oberflächlich beseitigte Tuscheflecken zeugten von ihrer Ungeschicklichkeit, aber sie hatte es geschafft. Ihr Blick blieb an jener Passage hängen, die ihr Magister Reimer besonders ans Herz gelegt hatte. Halblaut las sie die Stelle noch einmal durch:

      „Oftmals werden Kristalle oder Glaskugeln als Ridik verwendet. Letztere profitieren überdies davon, dass die permanent eingebrachte Magie das Artefakt annähernd unzerstörbar werden lässt. Neben den bekannten Formen wird leicht übersehen, dass jeder Gegenstand ridiziert werden kann. Die Codizes sehen hier keine Einschränkungen vor.“

      Satina sah irritiert auf, als Sylva zu lachen begann. Ihr Dolch gäbe ein gutes erstes Ridik ab, aber in ihrer Vorstellung sah sie sich mit einem langen, schmalen Schwert am Gürtel und keine Magistra Südfahrer dieser Welt könnte sie daran hindern, es zu tragen.

       * * *

      Verbotenes Wissen

      Jahr 24 des Kaisers Polanas, Frühling

       Geron der Wandler, Magister und Lehrmeister an der Akademie zu Rand

      „Darrian!“ Gerons Stimme hallte durch die nächtliche Bibliothek. Zögernd schob sich eine schlaksige Gestalt zwischen den Regalen hervor. „Was machst Du hier?“ herrschte der Magier den Novizen an.

      „Ich wollte etwas nachlesen.“

      „Und das wäre?“ Darrians schwankende Stimme entging dem Lehrer nicht. Er unterrichtete seit dreißig Jahren und kannte alle Anwandlungen und Streiche der angehenden Magier. Zuletzt hatte man ihn vor fünfzehn Jahren erfolgreich hinters Licht geführt, doch damals hatte sich die Novizin durch ihre Prahlerei selbst verraten.

      „Ich, ich ...“, stammelte der Schüler. Sein Gesicht lief rot an. „Ich habe die, ... die Thesis zum Beenden metallischer Verwandlungen gesucht.“

      Der Zauberer glaubte ihm kein Wort, ging aber auf die fadenscheinige Erklärung ein. „Du solltest im Schlafsaal sein. Was denkst Du Dir dabei, Nächtens durch die Bibliothek zu streifen?“