Grundreinigung. Elisa Scheer

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Название Grundreinigung
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737559751



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denn?“ Ich erzählte von der Museenverwaltung und wir stellten fest, dass wir beide die gleichen Vorlesungen in Kunstgeschichte gehört hatten. Damit waren wir im Handumdrehen per du, und Karen war von meinem ulkigen Studiengang sehr beeindruckt. „Da kommt man sich als popliger Lehrer ganz ordinär vor. Wie nennt sich das?“

      „Kulturfachwirtin. Das gibt es so nur hier an der Uni. In Passau gibt´s was Ähnliches, ich glaube, da heißt es Kulturmanagement.“

      Wir vereinbarten Montag und Freitag von zwei bis vier. „Dann kann Jens mit dem Kleinen spazieren gehen, der brüllt sich sonst die Seele aus dem Leib, wenn hier ein Staubsauger läuft.“

      „Wie alt ist er denn?“, fragte ich und fuhr mit einem vorsichtigen Finger über die kleine krebsrote Wange. So weich... „Drei Wochen. Das Brüllen lässt hoffentlich bald etwas nach, er hat eben Blähungen, der arme Zwerg. Gell, Svenni, du bist ein ganz, ganz Armer?“ Das Baby sah sie konsterniert an und verstummte für einen Moment, dann legte es mit unverminderter Kraft wieder los. Ich verabschiedete mich hastig und trabte zum Waldburgplatz.

      Frau von Jessmer war ungefähr einen Meter fünfzig groß und mager wie ein altes zähes Hühnchen. Aber energisch war sie, das musste man ihr lassen, sie schleifte mich sofort durch eine reichlich vollgestopfte Vierzimmerwohnung mit altmodischem Mobiliar. Angesichts der üppigen Schnitzereien befürchtete ich schon das Schlimmste, was das Staubwischen betraf, aber sie zeigte mir triumphierend einen Staubwedel, wie ihn Zimmermädchen in Boulevardkomödien benutzten. So was hatte ich schon mal im Fernsehen gesehen. Wahrscheinlich, als Heiner gerade nicht da war, er wäre empört gewesen und hätte sofort auf irgendeinen authentischen mongolischen Erstlingsfilm mit Wackelkamera umgeschaltet und dann nie zugegeben, dass er auch nichts verstanden hatte.

      Immerhin gab es hier reichlich Perserteppiche, die sich leichter pflegten als Parkett, ein altmodisches, aber blitzsauberes Bad und eine große, altertümliche Küche. Ich sah mich anerkennend um. „Das ist aber eine schöne Wohnung!“

      „Nicht? Alles so, wie es war, als mein seliger Mann noch lebte. Nicht dieser moderne, seelenlose Plastikkram. Aber keine Sorge, Sie müssen die Teppiche nicht klopfen, nur saugen. Ich habe nämlich einen Staubsauger.“

      Oh ja. Der Staubsauger war fast so alt wie sie, der hatte sicher schon im Zweiten Weltkrieg gute Dienste geleistet. Den Staubbeutel aus Stoff musste man im Müllhäuschen ausleeren und ihn dann waschen, bevor man weiter putzen konnte. Hier gab es auch richtige Staubtücher, nicht diesen neumodischen antistatischen Kram, wie mir eifrig versichert wurde. Und für Marmor war Bohnerwachs immer noch das Beste! Ich schluckte, dachte an die sechzig Euro jede Woche und sagte zu – ab nächstem Donnerstag hätte ich hier einmal in der Woche von eins bis fünf zu tun. Um fünf kamen dann Frau von Jessmers Freundinnen zum Tee, und bis dahin musste die Wohnung blinken und blitzen.

      Na toll – worauf hatte ich mich da denn eingelassen? Die Schillmeiers schenkte ich mir, Henting und vier Kinder, das war wirklich zu hart.

      Ich fuhr nach Hause und rief bei JobTime an. Dass ich zwei Kunden gewonnen hatte, wurde beifällig vermerkt, ab nächster Woche würden dann jede Woche hundertzwanzig Euro auf meinem Konto eintrudeln. Das reichte knapp für die Fixkosten. Wenn ich etwas essen, Waschpulver kaufen oder tanken wollte, musste ich mehr arbeiten. Aber erst sollte ich feststellen, ob ich das überhaupt konnte – vielleicht putzte ich Karen oder Frau Jessmer ja zu schlampig oder brauchte zu lange?

      „Na, hast du jetzt einen Job?“, fragte Heiner, der mit dem Kulturteil der Süddeutschen auf dem ungemachten Bett lag. „Ja, aber nichts Tolles. Bis jetzt sind es nur acht Stunden in der Woche. Putzen.“

      Die Zeitung glitt zu Boden. „Putzen??“

      „Ja, putzen. Es gab nichts anderes. Mensch, Heiner, wir haben eine Wirtschaftskrise, da bringen die Sekretärinnen die Ablage selbst in Ordnung, um unentbehrlich zu wirken!“

      „Putzen... Meine Freundin ist eine Putzfrau... Bei wem?“

      „Bei einer alten Dame und bei einem Lehrerehepaar.“

      „Lehrerehepaar... Gott, wie bürgerlich. Und die alte Dame? Ist die wenigstens schräg drauf? So was wie Lotti Huber?“

      „Wer ist Lotti Huber? Nein, dass ist eine ganz feine und ziemlich altmodische kleine Person. Schräg drauf ist da nur der Staubsauger, eine echte Antiquität.“

      „Du kennst Lotti Huber nicht?“ Entsetzen klang aus seiner Stimme.

      „Nein.“ Desinteressiert wühlte ich im Schrank herum. Was sollte ich zum Putzen anziehen? Alte Jeans und ein Sweatshirt, am besten. Schürze? Hatte ich nicht. Und Putzkittel – das ging wirklich zu weit.

      Heiner erklärte mir nicht, warum ihm Lotti Huber so am Herzen lag, sondern kehrte seufzend zu seiner Zeitung zurück. „Was gibt´s denn zu essen?“

      „Nichts, ich bin pleite. Ich esse das letzte Knäckebrot. Geld krieg ich erst nächste Woche, und du hast mir keinen Cent gegeben.“

      Heiner grinste. „Welches Knäckebrot?“

      „Hast du mir das etwa weggefressen?“

      „Ich hatte Hunger, und etwas anderes war nicht da. Komm, Schätzelchen, ist doch egal. Wenn du ein paar Tage weniger isst, schadet das auch nichts.“

      „Ach ja?“, fuhr ich auf. „Wie meinst du das, bitte?“

      „Na, du jammerst doch immer herum, dass deine Oberschenkel zu dick sind, oder?“

      „Sind sie wirklich zu dick?“ Ich musterte mich kritisch im Spiegel.

      „Ach, lass doch. Gut, weiße Jeans solltest du lieber nicht tragen, aber diese schwarzen kaschieren ja ziemlich.“ Blöder Hund, aber leider hatte er Recht. Der Rest meiner Figur ging einigermaßen, wenn ich auch eigentlich nicht wirklich schlank war. Zweiundsiebzig Kilo auf einen Meter achtundsiebzig, das war zwar ein Body Mass Index von 22,7, also ziemlich okay, aber mein Idealgewicht lag doch bei sechs bis acht Kilo weniger, wenigstens, wenn man den einschlägigen Frauenzeitschriften glauben wollte.

      Aber diese Oberschenkel! Gut, die Taille war auch nicht gerade die von Scarlett O´Hara, aber die Oberschenkel! Wenn ich gerade dastand, dann gingen sie richtig etwas nach außen, anstatt die Hüftlinie fortzusetzen. Sie schwabbelten zwar nicht, aber sie waren eindeutig zu dick. Wo hatte ich denn das Maßband? Heiner hatte nach seinem Tiefschlag wieder das Interesse verloren und sich den Theaterkritiken zugewandt, wie man seinem entrüsteten Schnauben und den halblauten Kommentaren über die Ahnungslosigkeit seiner Kollegen entnehmen konnte. In Jeansstoff hatte ich sechzig Zentimeter Oberschenkelumfang. Durfte ich für den dicken Stoff wohl einen Zentimeter abziehen, oder hielt der die Massen bloß fester zusammen? Ich sollte dringend Gymnastik für die Beine machen. Und für die Taille. Und für feste Oberarme. Und einen straffen Busen. Und einen knackigen Po. Und elegante Hüften. Ich sollte mir einen neuen Körper kaufen, das wäre einfacher. Nur wovon?

      Hunger hatte ich trotzdem, immerhin hatte ich ja heute schon etwas geleistet. Im Küchenregal fand ich noch ein Glas sauer eingelegten Blumenkohl; ich öffnete es, goss die Essiglake ab und futterte die Röschen direkt aus dem Glas. Heiner sah missmutig auf. „Du traust dich was!“

      „Wieso? Die können praktisch keine Kalorien haben.“

      „Nein, aber was, wenn du die ganze Nacht furzen musst?“

      „Muss ich nicht. Außerdem musst du gerade reden!“

      „Man soll so was nicht unterdrücken, das ist ungesund.“

      „Doch, wenn direkt daneben jemand einen Rest Sauerstoff zum Schlafen braucht, sollte man so was schon unterdrücken. Außerdem – was soll das eigentlich heißen? Du darfst, wegen deiner Gesundheit, und ich darf nicht?“

      „Bei Frauen ist so was unästhetisch.“

      „Blödmann.“

      „Tolles Argument.“

      Ich drehte mich um und aß den Blumenkohl auf. Gelegentlich hatte ich schon Sättigenderes gegessen, musste ich zugeben,