Sünden von einst. Elisa Scheer

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Название Sünden von einst
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562799



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Bilanz. Besuch von der Polizei, endlose Gespräche mit Nathalie, die auch zu nichts geführt hatten, teilnahmsvolle Anrufe von Julia und Bernie, die in den Nachrichten gehört hatten, dass der bekannte Unternehmer Hartmut Lamont von einem oder mehreren Unbekannten in seiner repräsentativen Hentinger Villa erschossen worden war (repräsentativ? Ha!), manisches Aufräumen, Putzen, Waschen und Wegschmeißen. Ich hatte tatsächlich die ganze Wohnung nach etwas abgesucht, das mich an die ersten achtzehn Jahre meines Lebens erinnerte, aber nichts gefunden. Sogar die Geburtsurkunde hatte ich mir bei Studienbeginn neu ausstellen lassen. Kein Schmuck, kein Teddy, keine Kinderbücher, kein einziger Legostein. Hatten wir eigentlich überhaupt Spielzeug gehabt? Mussten wir wohl, aber das lag alles unter einem merkwürdigen Nebel.

      Nachdem meine Suche nach etwas, was ich so richtig mit Genuss vernichten konnte, erfolglos geblieben war, hatte ich mir frustriert eine große Pizza mit extra viel Knoblauch kommen lassen und schmeckte jetzt immer noch das Essen von Sonntagabend. Wenigstens war die gelbe Wand ziemlich gut gelungen.

      Und hier waren alle mit bedripsten Gesichtern herumgelaufen und hatten ganz offensichtlich überlegt, ob und wie sie mir kondolieren sollten. Frau Schneider aus der Personalabteilung hatte mich eindeutig giftig gemustert, weil ich nicht Schwarz trug, aber ich hatte nur ein schwarzes Kostüm, und das brauchte ich für die Beerdigung. Irgendwann würden sie die Leiche – seltsam, an Vater als Leiche zu denken – ja wohl freigeben!

      Ich brütete unkonzentriert über dem neuen Anzeigenaquise - Konzept, das mir zunehmend verfehlt vorkam, sortierte die Stifte im Köcher neu, warf zwei ausgeschriebene Marker weg, strich im Konzept einige Fehler an, blätterte durch die Post (konnte fast alles gleich ins Altpapier), spielte eine Runde Freecell, bastelte weiter an dem Konzept herum, erledigte ein paar andere Vorgänge, die eindeutig schneller gingen, und war heilfroh, als die Mittagspause nahte, obwohl ich gar keinen Hunger hatte. Gabi winkte mir mit Beileid-Gesicht zu, und Max, der kleine Schleimer, hielt mir höflich die Tür auf, als ich zum Aufzug strebte. Bevor ich nach draußen verschwinden konnte, kam der Chef auf mich zu und wedelte mit mehreren großen Umschlägen.

      „Frau Lamont, Frau Lamont – wo wollen Sie denn hin?“

      „Mittagspause?“, schlug ich vor.

      „Ach so, ja... Sagen Sie... wäre es Ihnen nicht lieber, diese Woche frei zu haben? Das Anzeigenkonzept kann ja auch Herr Körner übernehmen.“

      Ich warf Max einen raschen Blick zu und sah, wie er geschmerzt das Gesicht verzog. Gute Option! „Naja... wissen Sie, nachdem ich noch dauernd von der Kripo heimgesucht werde, wäre das vielleicht wirklich das Beste... aber dann würde ich einfach Urlaub nehmen, ja? Nur diese Woche, bis dahin sind die Kripoleute bestimmt schon ein gutes Stück weiter.“

      „Eben. Wissen Sie, wenn die Kripo womöglich hierher kommt und ein Anzeigenkunde...“ Seine Stimme erstarb verlegen. Ich überlegte, wann schon mal ein Anzeigenkunde hierher gekommen war statt in die Anzeigenabteilung und woran man Kerner und Grünbauer ansehen konnte, dass sie von der Polizei waren, aber ich widersprach nicht. Schließlich brauchten wir wirklich jeden Kunden - und wenn Max das Konzept machte, konnte ich mich auf etwas Besseres konzentrieren.

      „Ja, wenn Sie meinen... das finde ich sehr nett von Ihnen, Herr Zwerkl.“ Ich schlug treuherzig die Augen auf. Er reichte mir die Umschläge und eine große Mappe: „Ja, und wenn Sie gerade mal Zeit haben oder sich ablenken wollen, dann wäre hier ein neues Projekt... eine Ratgeberrubrik... und hier die Sache mit der Fernsehpräsenz... ach ja, und einige Informationen, die für Sie vielleicht interessant sein könnten...“

      Ich nahm alles entgegen und setzte ein tapferes Lächeln auf. Er tätschelte mir die Schulter und entfloh. Ich unterdrückte mein Grinsen, bevor ich mich zu Max umdrehte. „Na, dann komm mal mit, wegen der Unterlagen. Essen kann ich dann ja auch später.“

      „Tut mir ja alles sehr Leid für dich“, murrte Max, „aber dass ich jetzt diesen Mist machen muss, finde ich schon fies.“

      „Das liegt dem Zwerkl aber sehr am Herzen, da kannst du punkten. Und schau, ich hab hier schon reingeschrieben, wo meiner Ansicht nach die Fehler liegen.“

      „Zur Strafe musst du dann vor die Kamera“, drohte er und nahm den Stapel Unterlagen entgegen. „Ich werde vorschlagen, dafür einen Profi zu nehmen“, entgegnete ich gleichmütig, setzte mich wieder an meinen Schreibtisch und fuhr den Rechner herunter.

      Dann sah ich die Umschläge flüchtig durch. Bessere Werbung, was sonst – und einer trug nicht einmal eine Anschrift. Hatte Zwerkl mir einfach sein Altpapier eingepackt?

      Ich stopfte sie alle in meine Tasche und wünschte Max frohes Schaffen, was er mit einem Grunzen quittierte. Ich musste lachen. „Da sieht man, wie hauchdünn dein viel gerühmter Charme ist! Jetzt mach dich dran, ich hab doch sowieso schon die Vorarbeiten erledigt. Und viel Vergnügen in der Sitzung. Wenn was Spannendes passiert, du hast ja meine Handynummer.“

      „Wir könnten essen gehen“, schlug er vor. „Ein Arbeitsessen.“

      Ich legte den Kopf schief. „Wenn deine Frau auch mitkommt?“

      „Du bist so blöd!“

      „Weil ich mir dieses Angebot entgehen lasse? Lieber so blöd als anders blöd. Und tschüss!“ Ich schwang mir die Tasche über die Schulter, warf einen letzten Kontrollblick auf den Schreibtisch – alles ordentlich – und verzog mich.

      Frei! Eine Woche lang Urlaub! Gut, es ging vom Jahresurlaub ab, aber ich hatte sowieso keine großartigen Reisepläne gehabt, und das Wetter war strahlend schön. Außerdem konnte ich mich nicht richtig auf meine Arbeit konzentrieren, solange der Mörder nicht gefasst war. Wer wusste schließlich, ob nicht jemand hinter allen Lamonts her war?

      Unangenehmer Gedanke.

      Ich sollte vielleicht erst einmal was essen gehen. Auf dem Weg zum Parkplatz schaltete ich mein Handy ein, falls die Polizei wieder etwas von mir wollte; dann guckte ich tatsächlich unter mein Auto, ob jemand eine Bombe daran befestigt hatte. Da ich ohnehin nicht sicher war, ob ich eine Bombe als solche erkennen konnte, kam ich mir dabei ziemlich blöd vor, aber ein rascher Blick überzeugte mich, dass mich niemand gesehen hatte.

      Beim Anlassen hielt ich kurz den Atem an, aber der Wagen sprang an wie immer und ich fuhr in die Innenstadt und quetschte mich am Fuggerplatz in eine arg kleine Parklücke. Strahlend schönes Wetter – und vor dem Dolce far niente waren tatsächlich noch Tische frei! Wenn ich eine ganze Woche frei hatte, konnte ich wieder etwas mit ordentlich Knoblauch essen – das hatte ich mir jetzt verdient, fand ich.

      Ich machte es mir unter einem orangen Sonnenschirm gemütlich, orderte Spezi, Rucolasalat mit Parmesan und spaghetti alio e olio und packte dann diese ominösen Umschläge wieder aus.

      Tatsächlich fast nur Mist. Was sollte ich mit dem Hinweis auf einen neuen Online-Wirtschaftsdienst anfangen? Ihn besprechen? Und das da, das war doch bloß ein Reiseprospekt – Camargue, die berühmten weißen Pferde, Arles – ach ja, und die Teilnahme an einem Kurs für Wirtschaftsfranzösisch. Ich konnte Französisch, verflixt! Der dritte, unbeschriftete Umschlag enthielt zwei Webseitenausdrucke, die sich mit unseren Publikationen befassten. Recht freundlich, fand ich. Gut so!

      Ich schichtete um und packte den Camargue - Krempel in den jungfräulichen Umschlag. Bei Gelegenheit in den nächsten Papierkorb, den Rest konnte ich mir ja noch mal anschauen.

      Mit wem hatte Vater überhaupt noch Kontakt gehabt? Was hatte er eigentlich den ganzen Tag getrieben – außer im Garten herumgewerkelt? Zugegeben, der Garten war sehr schön angelegt, soweit man das aus dem Fenster des Arbeitszimmers sehen konnte. Hinausgedurft hatte ich schon lange nicht mehr.

      Smaragdfarbene Rasenflächen, streng nach Farbwirkung angelegte Beete, besonders schön der Rosenhügel im Hintergrund, geschickt platzierte Sträucher, die im Frühling und Sommer üppig blühten... aber konnte das einen Menschen ausfüllen? Vor allem, wenn er die Pracht nie jemandem zeigte? Nicht einmal Passanten hatten etwas davon, dafür war die dunkelgraue Mauer zur Straße hin zu hoch. Und wer kam da auch schon vorbei... alle drei Tage mal ein Spaziergänger, wenn es hochkam.

      Hatte